Ausland

Schweiz will Präimplantations­diagnostik in großem Umfang zulassen

  • Dienstag, 9. September 2014

Bern – Genetische Untersuchungen an im Reagenzglas erzeugten Embryonen sollen in der Schweiz künftig in großem Umfang erlaubt werden. Bislang waren sich die beiden Parlamentskammern – National- und Ständerat – lediglich einig, das bislang geltende Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) aufzuheben, bei der Embryonen auf schwere Erbkrankheiten untersucht werden. Offen war aber, wie vielen von jährlich rund 6.000 betroffenen Paaren diese genetische Untersuchung erlaubt werden soll.   

Der Ständerat, in dem Vertreter der Kantone sitzen, hatte bislang ebenso wie die Schweizer Regierung für eine restriktive Linie plädiert: Er sprach sich dafür aus, dass die PID nur angewendet werden dürfe, wenn bei einem Paar eine familiäre Vorbelastung für eine unheilbare, schwere Erbkrankheit besteht. Das entspricht in etwa der Rechtslage in Deutschland.

Überraschende Kehrtwende
Am Montagabend aber kam die überraschende Kehrtwende: Wie zuvor schon der Nationalrat, sprach sich der Ständerat mit 27 gegen 18 Stimmen für eine weit liberalere Haltung aus. Künftig sollen nicht nur Paare mit genetischer Vorbelastung die Methode durchführen lassen dürfen.

Alle im Reagenzglas erzeugten Embryonen sollen auf chromosomale Anomalien untersucht werden dürfen. Mit diesem sogenannten Aneuploidie-Screening können etwa Embryonen mit Trisomie 21 entdecket werden, die zum Downsyndom führt.

Entscheiden wird letztlich allerdings das Schweizer Volk: Die Neuregelung erfordert eine Verfassungsänderung und damit eine Volksabstimmung. Zudem denken insbesondere kirchliche Kreise laut über ein Referendum nach.

Gegener der Liberalisierung warnen vor Belastungen für die Eltern
Die Gegner der Liberalisierung befürchten, dass Gentests damit bei den im Reagenzglas erzeugten Embryonen zu einer üblichen Untersuchungsmethode werden. In der Debatte warnten Kritiker aus Christlicher Volkspartei CVP und Schweizerischer Volkspartei SVP deshalb davor, dass die Zulassung der Gentests die Eltern unter Druck setzt. Behinderte Kinder würden immer mehr als "vermeidbare Last" angesehen. Gesundheitsminister Alain Berset warnte, dass die genetischen Untersuchungen eine Selektion nach bestimmten Kriterien ermöglichten, was zur Eugenik führen könne.

Befürworter einer Liberalisierung argumentieren dagegen, dass umfangreiche Präna­tal-Tests an Embryonen im Mutterleib längst Standard seien. Dann dürfe man sie auch bei Embryonen im Reagenzglas nicht verbieten. Gentests an Embryonen außerhalb des Mutterleibs seien außerdem weniger belastend für die Frau als in der 11. oder 12. Woche der Schwangerschaft. Nach Ansicht der Screening-Befürworter könnten viele Schwangerschaftsabbrüche vermieden werden, wenn der Embryo schon vor der Einpflanzung untersucht würde.

Noch keine Einigung über die Anzahl der Embryonen
Noch nicht einig sind sich National- und Ständerat über die Zahl der Embryonen, die in einem Behandlungszyklus hergestellt werden dürfen. Der Nationalrat unterstützt die Forderung der Fortpflanzungsmediziner, die keine Höchstzahl mehr wollen. Der Ständerat beschloss nun als Kompromiss, die Obergrenze von drei auf fünf anzuheben, wenn der Embryo nicht untersucht wird. Findet eine Untersuchung statt, sollen künftig zwölf Embryonen hergestellt werden dürfen.

Auch in Deutschland hatte es über die Einführung der PID eine langjährige und intensive ethische Debatte gegeben. Im Juli 2011 beschloss der Bundestag ein Gesetz, das die PID grundsätzlich verbietet, sie aber Paaren erlaubt, bei denen beide eine Veranlagung für eine schwere Erbkrankheit in sich tragen oder die mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Tot- oder Fehlgeburt rechnen müssen. In Kraft getreten ist das Gesetz erst Anfang 2014, nachdem eine ebenfalls heftig umstrittene Durchführungsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums in Kraft trat.

kna

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