Seltene Erkrankungen in einem Drittel der Fälle diagnostizierbar

Berlin – In den vergangenen Jahren haben sich die Pathomechanismen vieler seltener neurologischer Erkrankungen geklärt, was die Grundlage für die Entwicklung kausaler Therapien ist. Das berichtete heute die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) zum morgigen Tag der seltenen Erkrankungen.
Demnach können mittlerweile bis zu 35 Prozent aller seltenen Erkrankungen diagnostiziert werden. „Eine entscheidende Rolle dabei hat die Neurogenetik gespielt“, erläuterte die DGN-Expertin Christine Klein.
Heute würden nicht nur ausgewählte Gene analysiert, die mit einer bestimmten Krankheit assoziiert seien – Stichwort „Genpaneldiagnostik“ – sondern immer häufiger bereits die gesamte kodierende Sequenz des Genoms. Neu sei zudem die Einbeziehung nicht kodierender Genabschnitte in die Analyse, also sogenannter Introns.
Im April startet zudem ein Gesamtgenomsequenzierungsprojekt für seltene Erkrankungen. Es ist der Fachgesellschaft zufolge zu erwarten, dass es viele neue Befunde generieren wird, die seltene Krankheitsbilder erklären, neue aufdecken, mögliche genetische Ursachen aufzeigen und so die Entwicklung neuer Therapien ermöglichen.
Seltene Erkrankungen sind in der EU als Krankheiten definiert, von denen fünf Personen pro 10.000 Einwohner betroffen sind. Insgesamt sind rund 7.000 bis 8.000 verschiedene seltene Krankheitsbilder beschrieben. In der Europäischen Union gibt es etwa 40 Millionen Betroffene, das heißt, bis zu acht Prozent der Bevölkerung haben eine seltene Erkrankung. Allein in Deutschland geht man von 4,8 Millionen Betroffenen aus.
„Das zeigt, wie wichtig Forschung auf dem Gebiet der seltenen Erkrankungen ist, und es ist bei weitem nicht so, dass wir damit nur ganz wenigen Menschen helfen“, erklärte Peter Berlit, DGN-Generalsekretär. Eine große Herausforderung ist laut DGN, seltene Erkrankungen rechtzeitig zu erkennen.
„Keiner kann 8.000 seltene Krankheitsbilder kennen, und bei bestimmten Symptomkonstellationen geht man zunächst von häufigeren Krankheiten aus, bei denen diese Symptome ebenso typisch sind. Eine weitere Herausforderung ist, dass sich seltene Erkrankungen auch hinter bekannten Krankheitsbildern verstecken können“, erläutert Klein. Ein Beispiel dafür seien genetisch-bedingte Parkinson-Subtypen, die oft nur bei sehr frühem Erkrankungsalter erkannt würden.
Dennoch habe sich auch im Bereich der Diagnostik viel getan: „Wir haben heutzutage ein besseres Handwerkszeug als noch vor wenigen Jahren, um seltene Erkrankungen zu erkennen“, so Klein.
Die ehemalige Präsidentin der DGN verweist unter anderem auf Fortbildungsprogramme ihrer Fachgesellschaft und auf Netzwerke wie die Deutsche Akademie für seltene neurologische Erkrankungen (DASNE), die Neurologinnen und Neurologen beratend zur Seite stehen. „Unser Ziel ist es, den Weg zur Diagnose von seltenen Krankheiten zu verkürzen“, betonte sie.
Ein Stufenkonzept für die Diagnostik empfiehlt der Verband „Akkreditierte Labore in der Medizin“ (ALM). In der Differentialdiagnostik sollte der Fokus zunächst auf den häufigen Erkrankungen liegen.
„Findet sich damit keine Diagnose, so darf in einer Stufendiagnostik natürlich nicht das Ende erreicht sein“, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Verbandes, Jan Kramer. Häufig sei der interdisziplinäre Dialog entscheidend für eine erfolgreiche Diagnostik, betont er.
Es bedürfe dann sowohl am Krankenbett, beim Patientengespräch in der Praxis als auch im medizinischen Labor, Ärztinnen und Ärzte, die weiterhin der Ursache einer Erkrankung auf der Spur bleiben würden.
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