Organspende: Bundestag beschließt Zustimmungslösung

Berlin – Der Bundestag hat sich in namentlicher Abstimmung für die Zustimmungslösung in der Organspende ausgesprochen. In der Schlussabstimmung gab es 669 abgegebene Stimmen. 432 Parlamentarier waren für die Reform, 200 stimmten dagegen und 37 Abgeordnete enthielten sich.
Die Zustimmungslösung von Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Linken-Chefin Katja Kipping fordert eine ausdrückliche Zustimmung des Spenders und sieht zugleich eine bessere Information der Bürger vor. Wer nach seinem Tod Organe spenden möchte, muss dem im Vorfeld also wie bisher auch weiterhin aktiv zustimmen. „Damit bleibt es aber nicht beim Status quo“, betonte Baerbock.
Künftig sollen nun alle Bürger mindestens alle zehn Jahre direkt auf das Thema Organspende beim Abholen oder Verlängern eines Personalausweises oder Passes angesprochen werden. Auf den Bürgerämtern oder auch später zu Hause soll man dann freiwillig seine Einstellung zur Organspende in ein neu zu schaffendes Online-Register eintragen können.
Selbst beraten sollen Ämter ausdrücklich nicht, dafür sollen Hausärzte bei Bedarf alle zwei Jahre Beratungsgespräche von Patienten zu diesem Thema durchführen und auch abrechnen können.
Zuvor hatte der Bundestag den ebenfalls interfraktionellen Gesetzentwurf für eine doppelte Widerspruchslösung, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gemeinsam mit dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach vorgelegt hatte, abgelehnt.
Von 674 Abgeordneten, die bei dieser ersten Abstimmungsrunde ihr Votum abgaben, stimmten bei drei Enthaltungen 292 Parlamentarier für die Widerspruchslösung und 379 gegen den Vorschlag, dass künftig jeder automatische als Spender gelten sollte – außer er widerspricht.
Für die Annahme des Vorschlags und einer Abkehr vom derzeitig geltenden Prinzip der Zustimmungspflicht zur Organspende wären eine einfache Mehrheit – in diesem Falle also 338 Ja-Stimmen – notwendig gewesen. Über den dritten Entwurf einer Vertrauenslösung, den die AfD vorgelegt hatte, wurde aufgrund der großen Mehrheit für die Zustimmungslösung nicht mehr abgestimmt.
Vorausgegangen war der Entscheidung des Bundestages eine breite gesellschaftliche Debatte sowie auch heute nochmals eine emotionale, mehr als zweistündige Debatte im Bundestag, die fair und würdevoll unter Beachtung gegenteiliger Meinungen geführt wurde.
Zumutbare Pflicht
Deutlich stellte Lauterbach klar, dass nach seiner Ansicht die Widerspruchslösung die einzige Möglichkeit sei, die Zahl der Organspenden in Deutschland zu erhöhen. „Dies ist mit keiner einzigen Variante einer Zustimmungslösung möglich.“
Bei der Widerspruchslösung handele es sich um eine einfache, unbürokratische Form, aber keine Pflicht zur Spende. Es gebe jedoch die zumutbare Pflicht, sich zu äußern. „Es ist unethisch, ein Organ nehmen zu wollen, aber nicht bereit zu sein, zumindest Nein zu sagen, wenn ich nicht bereit bin, zu spenden“, sagte Lauterbach.
„Wir sind in Deutschland Schlusslicht bei der Anzahl der gespendeten Organe – trotz hoher Spendenbereitschaft. Die Organisation der Organspende ist nicht das Problem – sie ist nicht schlechter als anderswo. Aber wenn man keine Organe zur Verfügung hat, ist auch keine Organisation möglich.“ Auch Dieter Janecek von den Grünen sieht einen deutlichen Zusammenhang zwischen Widerspruchslösung und Spendezahlen.
„Sicher ist da die Widerspruchslösung keine Wunderwaffe“, räumte Spahn ein. Aber eine Prozessverbesserung sei dies alleine auch nicht. „Wir brauchen die Widerspruchslösung als Ergänzung.“ Dies sieht Baerbock anders: Nur bei 8,2 Prozent der Hirntoten würden in Deutschland Organe explantiert, die meisten Spender würden nicht gemeldet, erklärte sie. „Da müssen wir ran.“
Die Vertreter der Widerspruchsregelung würden zudem verkennen, dass man nicht einfach die Situation aus anderen Ländern kopieren kann, meinte Baerbock. „Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Widerspruchslösung und Organzahl“, unterstrich auch Hilde Matheis (SPD).
In Ländern mit hoher Spenderate wie beispielsweise Spanien gelte der Herztod und nicht der Hirntod als Entnahmekriterium. „Spende muss Spende bleiben“, betonte sie. Und Angehörige dürften nicht zu Zeugen degradiert werden wie es bei der Widerspruchslösung der Fall wäre.
Auch Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) betonte: „Schweigen ist keine Zustimmung, das missachtet unseren gesellschaftlichen Konsens.“ Kirsten Kappert-Gonther wies darauf hin, dass sich viele Menschen auch nicht äußern könnten. „Diese Schwächsten in der Gesellschaft müssen wir schützen. Deshalb ist aktive Zustimmung ist die richtige Basis für die Organspende.“
Auch die ehemaligen Bundesgesundheitsminister Ulla Schmidt (SPD) und Hermann Gröhe (CDU) sind der Ansicht, dass man mit positiver Zustimmung mehr erreichen könne. Für Gröhe ist die Widerspruchslösung ein völlig untaugliches Mittel: „Das Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit darf nicht neu erworben werden müssen“, betonte er. „Gerade bei schweren Entscheidungen müssen sich unsere ethischen Grundpfeiler als Leitplanken bewähren.“
Respektvoller Umgang
Trotz des Dissenses in der Sache war die Debatte von einem respektvollen Umgang miteinander geprägt. „Auch wenn ich davon überzeugt bin, dass wir mit der Widerspruchslösung mehr hätten erreichen können, akzeptiere ich natürlich die Entscheidung des Bundestages“, sagte Spahn im Anschluss. „Allein die gesellschaftliche Debatte war hier schon ein Wert an sich.“
Als Bundesgesundheitsminister werde er alles dafür tun, dass die vom Bundestag beschlossene Entscheidungslösung ein Erfolg wird. In drei, vier oder fünf Jahren sollte dann geschaut werden, ob sich an der Lage der Patienten, die auf Organe warten, tatsächlich etwas geändert habe. „Ich würde gern eines Besseren belehrt werden, dass es uns gelingt, tatsächlich die Zahl der Organspenden signifikant zu erhöhen“, sagte Spahn.
Bedauern bei Ärzten
Viele Ärzte bedauern, dass es nach dem heutigen Beschluss zu keiner radikalen Änderung der Organspenderegeln kommen wird. „Die heutige Entscheidung des Bundestages ist sicher nicht das, was sich die schwerkranken Menschen auf der Warteliste erhofft haben“, sagte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK).
Er betonte, die Ärzteschaft habe sich für die Widerspruchslösung ausgesprochen. Diese hätte die Bürger in die Pflicht genommen, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden und so zu einer deutlichen Steigerung der Spenderzahlen führen können.
„Trotzdem ist das heute beschlossene Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft ein Fortschritt gegenüber der bisherigen Regelung“, so Reinhardt. Sinnvoll sei insbesondere das vorgesehene Online-Register zur schnellen Feststellung der Spendebereitschaft.
Die regelmäßige Abfrage der Organspendebereitschaft kann aus seiner Sicht dazu beitragen, die Menschen stärker als heute für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren. „Auch wenn wir uns eine andere Entscheidung gewünscht hätten, werden wir alles daran setzen, dieses Gesetz zu einem Erfolg zu machen.“
Das Ergebnis der heutigen Abstimmung verdeutliche, dass die vom MB bevorzugte doppelte Widerspruchslösung derzeit nicht realisiert werden könne, sagte Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes (MB). „Jetzt gilt es, die Chancen zu nutzen, die sich aus der neuen Zustimmungsregelung ergeben, die der Bundestag beschlossen hat.“
Das vorgesehene Online-Register zur Organspendebereitschaft sei eine echte Verbesserung gegenüber dem Status quo. „Wir hoffen, dass mehr Menschen durch Gespräche mit ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten motiviert werden können, ihre Entscheidung zur Organ- und Gewebespende im Register zu dokumentieren. Auch die Möglichkeit zur Abgabe einer Erklärung in Ausweisstellen bietet neue Chancen“, erklärte die Ärztin.
Zudem müsse weiterhin mehr dafür getan werden, die Organisation der Organspende in den Krankenhäusern zu verbessern und potenzielle Organspender auch tatsächlich zu identifizieren. Dazu gehöre auch eine aufgaben- und personalgerechte ärztliche Personalbesetzung auf den Intensivstationen und ausreichende Zeitkontingente für die Transplantationsbeauftragten.
„Mit dem im vergangenen Jahr vom Bundestag beschlossenen Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende sind wichtige Weichenstellungen vorgenommen worden. Nun sind diese Regelungen so umzusetzen, dass die damit verbundenen Hoffnungen schwerstkranker Menschen nicht enttäuscht werden“, forderte die MB-Vorsitzende.
Chance vertan
Heute hätten die Parlamentarier die Chance vertan, einen wichtigen Baustein zur Erhöhung der Spenderzahlen auf europäisches Niveau gesetzlich zu zementieren, sagte der Präsident der Hamburger Ärztekammer, Pedram Emami.
Er forderte die Politik auf, bundesweit die Abläufe in den Entnahmekliniken zu verbessern, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, Personal besser zu schulen sowie Transplantationsbeauftragte besser zu bezahlen und für die Arbeit von ihrer regulären Medizinertätigkeit freizustellen. „Die Spenderzahlen der kommenden Jahre werden Beleg dafür sein, wie gut die Umsetzung tatsächlich auch ohne Widerspruchslösung gelingt“, so Emami.
Der hessische Ärztekammerpräsident Edgar Pinkowski bedauert Ablehnung der doppelten Widerspruchslösung und fordert Anstrengungen zur Erhöhung der Organspenderzahlen. Dass sich der Bundestag intensiv mit möglichen Neuregelungen der Organspende in Deutschland auseinandergesetzt hat, zeige aber, wie sensibel und wichtig das Thema sei, erklärte er.
Die Ärztekammer Schleswig-Holstein begrüßet das Vorhaben des Bundestags, die Organspende durch eine Neuregelung zu stärken. Ein „Weiter-wie-bisher“ dürfe es jedoch nicht geben. Die erweiterte Zustimmungslösung müsse in Zukunft beweisen, ob sie zu einer zunehmenden Spenderzahl führt. „Dazu sind mit Sicherheit weitere Anstrengungen notwendig.“
Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher begrüßte ebenfalls den Bundestagsbeschluss zur moderaten Reform der Organspende. „Ohne Frage müssen wir angesichts der langen Wartelisten die Spendenbereitschaft bei Organ- und Gewebespenden erhöhen“, sagte sie. Aber das Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen Menschen muss gewahrt bleiben.“
Die Bundesvorsitzende Christdemokraten für das Leben, Mechthild Löhr, zeigte sich ebenfalls zufrieden mit der heutigen Entscheidung: „Der Bundestag hat heute in einer außergewöhnlich beeindruckenden Nachdrücklichkeit positiv über die Zukunft der freiwilligen Organspende entschieden“, sagte sie. Dies sei ein sehr wichtiges und erfreuliches Signal an alle, die im einzelnen Menschen am Lebensende nicht primär einen zur solidarischen Organabgabe verpflichteten Bürger sehen.
Ähnlich äußerten sich die christlichen Kirchen: „Wir glauben, dass das heute beschlossene Gesetz geeignet ist, die erfreulich große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung praktikabel und nachhaltig in eine individuelle Bereitschaft zur Organspende zu überführen“, hieß es in einer weitgehend wortgleichen Erklärung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland.
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