Triage: Medizinische Fachgesellschaften aktualisieren Empfehlungen

Berlin – Für eine Gleichbehandlung aller Patienten bei einer möglichen Triage im Rahmen der COVID-19-Pandemie sprechen sich erneut acht medizinische Fachgesellschaften aus. Ein höheres Lebensalter, Grunderkrankungen oder Behinderungen seien keine Kriterien, die zur Entscheidung herangezogen werden sollten, welche Patienten bei knappen Ressourcen intensivmedizinisch behandelt und welche palliativmedizinisch versorgt werden, betonen sie explizit in ihren überarbeiteten klinisch-ethische Empfehlungen.
Diese basieren auf dem Papier „Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall-und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie“, welches die Fachgesellschaften vor einem Monat vorlegten und das inzwischen auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, praktischer Erfahrungen sowie weiterer relevanter Entwicklungen in Form einer medizinischen S1-Leitlinie weiterentwickelt wurde.
Dazu sichteten die federführenden Autoren und Medizinethiker Georg Marckmann, Gerald Neitzke und Jan Schildmann in den vergangenen Wochen zahlreiche Kommentare zu den bisherigen Empfehlungen.
Wichtig ist den Fachgesellschaften nach wie vor, dass die Entscheidungen bei einer Triage medizinisch begründet sein müssen. Als Orientierungsmaßstab soll die klinische Erfolgsaussicht gelten, also die Wahrscheinlichkeit, ob der Patient die Intensivbehandlung überleben wird.
Neu sind jedoch Konkretisierungen, um Missverständnisse zu vermeiden: „Wir haben unter anderem deutlicher klargestellt, dass Grunderkrankungen und Behinderungen kein legitimes Kriterium für Triage-Entscheidungen sind. Zudem wurde die Prüfung des Patientenwillens vor der Aufnahme auf die Intensivstation stärker hervorgehoben“, erklärte Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv-und Notfallmedizin (DIVI).
Der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler betont dabei, dass Ärzte eine fachliche wie rechtliche Sicherheit bei der Patientenbehandlung in Extremsituationen brauchen. Dabei sollen die aktualisierten Empfehlungen helfen. Grundsätzlich gelte aber: Die Entscheidung bei der Triage sollte in einem Team aus mindestens drei Experten mit unterschiedlichen Blickwinkeln gefällt werden.
Zudem stellt das überarbeitete Papier deutlich klar, dass die in den Empfehlungen genannten Krankheitszustände keine Ausschlusskriterien darstellen, sondern im Einzelfall hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Erfolgsaussicht der Therapie berücksichtigt werden sollen. Grunderkrankungen, das kalendarische Alter, soziale Aspekte und Behinderungen seien keine legitimen Kriterien für Triage-Entscheidungen. Es gelte der Gleichheitsgrundsatz.
„Wir betonen ganz deutlich, dass aus Gründen der Gleichberechtigung im Falle einer notwendigen Triage immer eine Auswahl unter allen Patienten erfolgen soll, die eine Intensivbehandlung benötigen. Und das auch ganz unabhängig davon, ob der Patient gerade in der Notaufnahme, der Allgemeinstation oder der Intensivstation versorgt wird“, so Janssens.
Es werde differenziert: Der Schweregrad der aktuellen Erkrankung und relevante Begleiterkrankungen wie zum Beispiel schwere vorbestehende Organdysfunktion mit prognostisch eingeschränkter Lebenserwartung spielten bei der Triage eine wesentliche Rolle, so die Autoren.
„Bei der klinischen Erfolgsaussicht geht es um die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient die aktuelle Erkrankung mithilfe der Intensivtherapie überleben wird. Die längerfristige Überlebenswahrscheinlichkeit und Lebensqualität spielen dabei keine Rolle“, erläuterte Georg Marckmann, Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürften Menschenleben nicht gegen Menschenleben abgewogen werden, betonen die Autoren. Gleichzeitig müssten Behandlungsressourcen verantwortungsbewusst eingesetzt werden.
Diese Empfehlungen beruhen auf den nach Einschätzung der Verfasser am ehesten begründbaren ethischen Grundsätzen in einer tragischen Entscheidungssituation: Sie sollen die Anzahl vermeidbarer Todesfälle durch die Ressourcenknappheit minimieren. Eine abschließende juristische Einordnung ist jedoch nicht Gegenstand der Empfehlungen.
In der überarbeiteten Leitlinie werden allerdings die Empfehlungen für den ambulanten Behandlungsbereich konkretisiert: Es sei notwendig, dass noch vor der Aufnahme auf die Intensivstation die Indikation und der Patientenwille geprüft würden, heißt es.
Unter Einbeziehung des Hausarztes müsse ermittelt und verlässlich dokumentiert werden, ob eine Krankenhauseinweisung und Verlegung auf Intensivstation bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes medizinisch indiziert und vom Betroffenen gewünscht sei.
Eine mögliche Priorisierung von Patienten müsse hingegen in den jeweiligen Krankenhäusern erfolgen, da Notarzt und Rettungsdienst nur über eingeschränkte diagnostische Möglichkeiten verfügten und keinen hinreichenden Überblick über die aktuell verfügbaren Intensivkapazitäten und Zuteilungskriterien hätten.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: