Politik

Uneinigkeit über Testpflicht für Einreisende aus China

  • Mittwoch, 4. Januar 2023
/picture alliance, AP, Andy Wong
/picture alliance, AP, Andy Wong

Berlin – In Brüssel beraten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) heute weiter über eine mögliche Corona­test­pflicht für Einreisende aus China. Es gibt zwar viele Befürworter, aber auch Skeptiker einer solchen Rege­lung. Auch in Deutschland gibt es keine Einigkeit.

Die Europäische Union (EU) hatte bei Beratungen zur Coronawelle in China am vergangenen Donnerstag noch keine gemeinsame Linie beschlossen. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hatte die Staaten dazu aufgerufen, ihre nationalen Maßnahmen zur Überwachung des Virus zu überprüfen und gegebenenfalls wie­der hochzufahren.

Für heute hatte die schwedische EU-Ratspräsidentschaft weitere Beratungen angesetzt. Diese sollen bis in den Abend gehen. Ob es eine einheitliche Linie geben wird, ist unklar. Angesichts der massiven Coronawelle in China unterstützt aber ein Großteil der EU-Staaten nach Angaben der Europäischen Kommission Corona­tests für Reisende aus der Volksrepublik.

„Die überwältigende Mehrheit der Länder befürwortet Tests vor der Abreise“, teilte ein Sprecher der Brüsseler Behörde gestern nach einem Treffen von Vertretern der nationalen Gesundheitsministerien mit. Grundsätzlich habe man sich auf ein „koordiniertes Vorgehen“ verständigt.

Nach Angaben des Sprechers hatte die Kommission für das gestrige Treffen eine Stellungnahme vorbereitet, die nun auf Basis der Diskussion überarbeitet werden soll. Neben Coronatests vor Abflug werden darin dem­nach Maßnahmen wie die Überwachung des Abwassers von Flugzeugen, eine verstärkte Sequenzierung von Coronaproben sowie das Tragen von Masken auf Flügen aus China vorgeschlagen.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides schrieb nach dem Treffen gestern auf Twitter, man sei sich bei Maßnahmen wie Tests vor der Abreise und einer verstärkten Überwachung des Abwassers nähergekommen. Die europäische Einigkeit bleibe das stärkste Instrument gegen COVID-19.

Deutschland für einheitliches Vorgehen

Deutschland will sich bei den EU-Beratungen über den Umgang mit Einreisenden aus China für eine einheit­liche europäische Regelung einsetzen. Das sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums in Berlin.

„Wir sind vor allen Dingen daran interessiert, ein Virusvariantenmonitoring aufzustellen“, fügte er hinzu. Die bisher aus China bekannten Varianten des Coronavirus seien noch die, die auch in Deutschland zirkulierten, „aber wir möchten natürlich frühzeitig wissen, ob sich daran irgendetwas ändert“.

Dem Sprecher zufolge geht es um Abwasseruntersuchungen an Flughäfen. Am Frankfurter Flughafen gebe es das bereits. Dies könne man noch ausbauen, indem beispielsweise das Abwasser einzelner Flugzeuge unter­sucht werde.

Zuletzt hatten etliche EU-Staaten allerdings auf eigene Faust die Regeln für Einreisen aus China verschärft. So sind etwa in Frankreich künftig PCR-Tests nach der Ankunft vorgeschrieben. Österreich will das Abwasser von Flügen aus China untersuchen. Und Spanien hat die 3G-Regel eingeführt – Reisende aus China müssen also geimpft, getestet oder genesen sein. Deutschland wollte die Lage weiter beobachten.

In London hieß es, dass Reisende aus China von morgen an wieder einen negativen Test vorlegen müssen, bevor sie ein Flugzeug nach England besteigen. Österreich will ab nächster Woche das Abwasser von allen Flü­gen aus China auf neue Coronavirusvarianten untersuchen, verzichtet aber weiterhin auf Tests für Einrei­sende.

Sorgen und Skepsis

Die deutsche Regierung hatte zuletzt bekräftigt, dass sie zunächst noch abwarten will. Die Gesundheitsexper­tin der FDP-Bundestagsfraktion Christine Aschenberg-Dugnus sagte: „Eine allgemeine Testpflicht für Einrei­­sen­de aus China halte ich derzeit nicht für notwendig. Wir haben keine Hinweise, dass eine gefährliche Muta­tion aus China eingeschleppt wird.“

Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen hält Stichprobenkontrollen von Reisenden aus der Volks­republik für sinnvoll. „Es würde beispielsweise Sinn machen, mit Stichprobentests gerade Mutationsvarianten frühzeitig zu identifizieren und ein Variantenmonitoring auszuweiten“, sagte Dahmen heute im ARD-„Morgen­magazin“.

Eine generelle Testpflicht mache hingegen nur dann Sinn, wenn sie auf gemeinsamer europäischer Ebene beschlossen werde. Es gebe im Moment keine Hinweise darauf, dass das Virus, das aktuell in China grassiere, gefährlicher sei als die Virusvarianten in Europa. „Nach alledem, was man im Moment weiß, ist es das gleiche Coronavirus der gleichen Omikronstämme, die dort verbreitet sind, wie auch hier“, sagte Dahmen.

Deutsche Mediziner forderten hingegen eine EU-weite Testpflicht für Einreisende aus der Volksrepublik. Bei einer explosionsartigen Ausbreitung wie derzeit in China müsse man damit rechnen, dass das Virus mutiere, sagte Johannes Nießen, Vorsitzender des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesund­heits­dienstes (BVÖGD), den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

„Wir brauchen jetzt ein europaweit einheitliches Schutzkonzept“, forderte Nießen. „Jeder Reisende aus China sollte bei der Einreise in die EU per Schnelltest getestet werden.“ Wer sich infiziert habe, solle in jedem Fall in Isolation gehen müssen. Auch der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sprach sich in der Rheinischen Post für einen verpflichtenden PCR-Test für Chinareisende aus.

Der Epidemiologe Klaus Stöhr hält das Testen von Reisenden aus der Volksrepublik für nicht zielführend, um die Ausbreitung neuer Virusvarianten zu verhindern. „Das Monitoring ist keine so schlechte Idee, wissen­schaft­­­lich sicherlich interessant, aber rein praktisch müsste man ja dann sehen, wie sich diese Variante auch in der Population verhält“, sagte der ehemalige Leiter des Influenzaprogramms der Weltgesundheitsor­gani­sa­tion (WHO) im Deutschlandfunk.

Es gehe darum, welche Eigenschaften sich neben den genetischen geändert hätten, ob auch andere Alters­gruppen betroffen seien oder der Immunschutz unterlaufen werde. „Alles das dauert ja eine gewisse Zeit und dann ist die Variante dann auch schon durchgeschlüpft. Selbst Testen kann das ja nicht verhindern“, sagte Stöhr. Die Tests würden nicht jeden Infizierten ermitteln.

Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), hält es nicht für angemessen, in der aktuellen Situation Einreisekontrollen für Reisende aus China oder woanders her zu COVID-19 einzuführen.

„Wir sind in Bezug auf COVID-19 schon längst in der Phase der gezielten Schadensmilderung (mitigation) be­zieh­ungsweise sollten wir uns dessen auch endlich bewusst sein und auch entsprechend handeln“, sagte er. Maßnahmen zur Eindämmung (containment) wie Einreisebegrenzungen oder -kontrollen seien für eine kurze anfängliche Phase einer Epidemie oder Pandemie sinnvoll, aber nicht mehr jetzt. Die Identifizierung neuer molekularer Varianten ändere dies auch nicht per se.

„Natürlich ist es möglich, dass eine neue, besorgniserregendere Variante entsteht, aber die könnte auch aus einem anderen Teil der Welt kommen, aus denen wir wenig Sequenzen erhalten“, sagte Isabella Eckerle, Lei­te­rin der Forschungsgruppe Emerging Viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten, Universität Genf.

Da aus China selbst kaum Information zu den dort zirkulierenden Varianten oder dem Infektionsgeschehen allgemein verfügbar sind, mache die Sequenzierung von Reisenden aus China durchaus Sinn. „Bei dem, was bisher an solchen Sequenzen verfügbar ist, ist bislang aber nichts Ungewöhnliches oder Überraschendes zu entdecken. Und die Sequenzen, die man in China detektiert, findet man auch an anderen Orten der Welt.“

Eckerle hält Einreisebeschränkungen, Quarantäne oder Isolation von infizierten Reiserückkehrern aus China vor diesem Hintergrund nicht für angemessen. Die Diskussion verdeutliche aber, wie wichtig es sei, dauerhaft verlässliche Sequenzierungsdaten zu haben – nicht nur aus China, sondern aus jedem Land.

Statt kurzfristiger, isolierter Anstrengungen für ein einzelnes Land wäre es viel sinnvoller, hier in dauerhafte Strukturen zu investieren. Eine Möglichkeit könnte zum Beispiel die Sequenzierung vom Abwasser der Flug­zeuge sein.

China hatte nach fast drei Jahren mit Lockdowns, Massentests und Zwangsquarantäne am 7. Dezember abrupt ein Ende seiner Null-COVID-Politik verkündet. Seitdem erlebt das bevölkerungsreichste Land eine massive Coronawelle. Nach internationalem Druck hat China nun damit begonnen, SARS-CoV-2-Sequenzen in grö­ße­rer Zahl in der Genomdatenbank GISAID EpiCoV zu hinterle­gen. Eine neue Variante wurde bisher nicht ent­deckt.

Die EU-Gesundheitsbehörde ECDC hatte mit Blick auf die Lage in China Entwarnung gegeben. Diese habe vo­raussichtlich keine Auswirkungen auf die epidemiologische Situation in Europa, hieß es. Die Varianten in China zirkulierten auch schon in der EU und stellten keine Herausforderung für die Immunantwort von Bürgern in der EU dar.

may/afp/dpa

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