Vertragsärzte fordern drastische Reduzierung von Operationen in Kliniken

Berlin – Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dazu aufgerufen, die Zahl der Klinikoperationen deutlich zu reduzieren und mehr Möglichkeiten für ambulante Behandlungen zu schaffen.
Von den rund 16 Millionen stationären Operationen im Jahr könnten drei bis vier Millionen ambulant vorgenommen werden, also auch von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, sagte der Vorstandsvorsitzende der KBV, Andreas Gassen, der Bild.
Demnach summiert sich das Einsparpotenzial auf mehrere Milliarden Euro im Jahr. Gassen hält deshalb nach eigenen Worten eine „Kehrtwende bei den OPs“ für erforderlich. Es gebe „unverändert viel zu viele stationäre Behandlungen in Deutschland“, sagte er.
Der KBV-Chef sieht den Gesundheitsminister am Zug: Lauterbach müsse endlich definieren, welche Operationen „auch in Zukunft im Normalfall für eine einheitliche Vergütung ambulant durchgeführt werden sollen“, sagte er. Als Beispiele nannte Gassen Leisten- und Gelenkoperationen, die künftig von niedergelassenen Ärzten übernommen werden sollten.
„Dadurch könnten rund zehn Milliarden Euro perspektivisch im günstigsten Fall Milliarden pro Jahr gespart werden“, sagte Gassen der Bild. Die für 2024 angekündigte Beitragserhöhung könne damit ausfallen. Er betonte darüber hinaus, bei ambulanten Behandlungen könnten Patienten unmittelbar nach den Eingriffen zurück in ihre gewohnte Umgebung. Dadurch könnten unter anderem auch Infektionen durch gefährliche Krankenhauskeime reduziert werden.
Rückendeckung bekam Gassen aus der FDP-Bundestagsfraktion. „Im internationalen Vergleich haben wir überdurchschnittlich viele stationäre Behandlungen“, erklärte Christine Aschenberg-Dugnus, die Gesundheitsexpertin der Fraktion. „Wir leisten uns also eine teure und ineffiziente Krankenhausversorgung, die an der falschen Stelle wichtige Ressourcen bindet.“
Der FDP-Gesundheitspolitiker Andres Ullmann forderte das Bundesgesundheitsministerium auf, die Bedingungen für mehr ambulante Operationen bei Ärzten zu verbessern. Diese Verbesserungen müssten sich im Abrechnungssystem für die Ärtze – den so genannten Hybrid-DRGs – niederschlagen, erklärte Ullmann.
Dabei müsse „daran gedacht werden, dass die niedergelassenen Praxen keine Investitionskosten durch die Länder bekommen, sondern Investitionen aus den eigenen Einnahmen stemmen müssen“. Deswegen müsse das Abrechnungssystem „Investitionsanreize“ für die niedergelassene Ärzteschaft schaffen, forderte Ullmann.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht die Forderung skeptisch. „Der Vorschlag klingt gut, ist aber völlig unrealistisch“, sagte der DKG-Vorsitzende Gerald Gaß der Bild. Er verwies schon jetzt lange Wartezeiten bei Fachärzten.
„Schon heute müssen gesetzlich Versicherte viele Monate, zum Teil weit über ein halbes Jahr auf einen Termin beim Facharzt warten“, sagte Gaß. „Wir wollen uns gar nicht vorstellen, wie sich dieser Zustand noch weiter verschlechtern würde, wenn jetzt noch zusätzlich Millionen von Patientinnen und Patienten aus den Krankenhäusern auf ambulante Operationen in den Arztpraxen warten müssten.“
Gaß zeigte sich offen dafür, niedergelassene Ärzte in Kliniken operieren zu lassen. Gerade komplexere ambulante Operationen sollten an den Krankenhäusern durchgeführt werden, um dort in einem für Patienten gesicherten Umfeld auf mögliche medizinische Risiken gut und qualitativ hochwertig reagieren zu können, sagte er.
Die Krankenhäuser müssten sich in den kommenden Jahren ohnehin darauf einstellen, immer mehr Patienten ambulant zu behandeln, sagte Gaß. „Denn die Altersstruktur der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zeigt, dass in den kommenden Jahren viele Arztpraxen nicht mehr nachbesetzt werden können und damit die Versorgungslücken im ambulanten Bereich noch größer werden.“
Auch die Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) ist skeptisch. „Wenn Gassen von drei bis vier Millionen Operationen jährlich spricht, die ambulant statt im Krankenhaus durchgeführt werden sollen, frage ich mich ernsthaft, ob das ambulante System dies auch abbilden kann“, sagte ÄKWL-Präsident Johannes Albert Gehle.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: