Vorhaltepauschale kann zu Verlusten, Versorgungspauschale zu Regressen für Hausärzte führen

Berlin – Der Gesetzgeber will die Finanzierung der Hausärzte künftig auch über eine Versorgungs- und eine Vorhaltepauschale abwickeln. Berechnungen zeigen jetzt, dass das eine zu Regressforderungen der Kassen, das andere zu Einnahmeverlusten für die meisten Hausarztpraxen führen könnte. Die Vertragsärzte rufen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in einem Schreiben, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, zum Nachbessern auf.
In dem Brief an den Minister weisen die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und alle Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) auf Simulationen hin, die sie auf der Grundlage des Referentenentwurfs für das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) erstellt haben.
Zur Erinnerung: Die Höhe der Vorhaltepauschalen für die hausärztliche Grundversorgung soll vom Bewertungsausschuss in Stufen festgesetzt werden und sich an verschiedenen Kriterien orientieren.
Dazu sollen unter anderem eine Mindestanzahl von mindestens 450 zu versorgenden Patienten je Arzt und je Quartal, eine „bedarfsorientierte Erbringung“ von Haus- und Pflegeheimbesuchen sowie „bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten“ gehören. Letztere sollen regelmäßige monatliche Abendsprechstunden und ein ergänzendes Angebot an Samstagssprechstunden“ umfassen.
Die Berechnung der KBV kommen vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass von den 32.538 Hausarztpraxen ein großer Teil mit finanziellen Einbußen zu rechnen hätte. „Zur Veranschaulichung der signifikanten Umverteilungseffekte haben wir entsprechende Berechnungen beigefügt, aus denen sich – je nach konkreter Ausgestaltung – durchschnittliche Verluste von über 80.000 Euro im Jahr für einen erheblichen Teil der Praxen ergeben“, schreibt die KBV an Lauterbach.
Die Verluste variieren je nachdem, wie viele Kriterien von den einzelnen Hausarztpraxen erfüllt werden. Möglich sind aber auch erhebliche Gewinne – aber meist nur für wenige Praxen. So hat die KBV zum Beispiel errechnet, dass etwa drei Prozent aller Praxen (1.097) bundesweit, die mindestens sechs Kriterien erfüllen, durchschnittliche Gewinne in Höhe von 2,5 Millionen Euro erwirtschaften könnten, während 97 Prozent (31.445 Praxen) mit durchschnittlichen Verlusten in Höhe von 87.852 Euro rechnen müssten.
Die KBV betont darüber hinaus, dass Praxen, die die Kriterien erfüllen, auch schon maximal ausgelastet seien. Diese könnten kaum weitere Patienten versorgen. Insoweit konterkariere auch die vorgesehene Einführung einer Vorhaltepauschale in der dargestellten Form die im Gesetzentwurf genannte Zielstellung, die hausärztliche Versorgung zu stärken, so die Niedergelassenen.
KBV und KVen regen an, das Instrument der Vorhaltepauschalen nicht auf Bundesebene, sondern regional einzuführen. Ansonsten führten die Regelungen zu „teils erheblichen Umverteilungseffekten“ für die man „keine Spielräume“ sehe. „Gebraucht werden jede Praxis und jedes Praxisteam.“
Bedenken löst auch die Regelung für die jahresbezogene Versorgungspauschale auf, die einmal jährlich von nur einer Arztpraxis abrechnungsfähig sein soll. Die Niedergelassenen weisen in dem Brief an den Minister darauf hin, dass derzeit durchschnittlich etwa 35 Prozent der gesetzlich versicherten chronisch erkrankten Patienten mehr als einen Hausarzt in Anspruch nehmen, der die Versichertenpauschale berechnet.
Es sei „somit keine seltene Ausnahme, wie es der bekannt gewordene Referentenentwurf suggeriert, dass die hausärztliche Versorgung durch mehrere Ärzte erfolgt“. Das Problem: Dadurch wäre die neue Pauschale entweder bei einigen Patienten doppelt zu vergüten – oder die Hausärzte müssten mit möglichen finanziellen Rückforderungen der Krankenkassen in Prüfverfahren rechnen. „Hiervon wären nach unseren Auswertungen praktisch alle hausärztlich tätigen Praxen betroffen.“
Darüber hinaus könnte die geplante Regelung nach Ansicht der KBV und der KVen dazu führen, dass eine Steuerung von schwereren chronischen Erkrankungen hin zu weniger betreuungsintensiven Patienten mit chronischen Erkrankungen erfolgen würde. Das würde dem „offenbar angestrebten Zweck der Regelung zuwiderlaufen“.
KBV und KVen schlagen Lauterbach statt der bisherigen Regelung ein tarifliches Einschreibemodell für die Jahresbindung chronisch kranker Patienten vor. Dies würde den Einstieg in eine echte Steuerung erlauben und sicherstellen, dass geeignete Patienten mit der nötigen Compliance adressiert werden können, heißt es.
Sorgen bereiten KBV und KVen auch mögliche Umverteilungen, die zwischen den Arztgruppen durch die vorgesehenen Regelungen für die Entbudgetierung der Hausärzte entstehen könnten.
So werde „im Extremfall die Trennung der Vergütung in einen hausärztlichen und fachärztlichen Teil“ überschrieben, sodass Fachärzte für Hausärzte zahlen müssten, heißt es in dem Schreiben. Das sei „zwingend durch eine Umstellung des Aufsatzwertes auf das hausärztliche Honorarvolumen des Vorjahresquartals, gesteigert um die Veränderung des Behandlungsbedarfs, zu korrigieren.“
Ebenso seien Korrekturen bei Fördermitteln vorzusehen. Ziel der Förderzuschläge sei es, den Hausärzten die bisher zur Sicherung der hausärztlichen Versorgung ausgeschütteten Fördergelder auch in Zukunft bereitzustellen.
Daher könnten diese Finanzmittel nicht bei der Bestimmung der Nachzahlungen gegengerechnet werden und seien aus der Bedingung herauszunehmen. „Die Einbeziehung der Förderzuschläge entspricht nicht der Vorgehensweise bei der Entbudgetierung der Kinderärzte und zerstört das hier gewählte Konstrukt der Entbudgetierung“, moniert die KBV.
Die Niedergelassenen stellen klar, dass ihre Kritik sich nicht grundsätzlich gegen die Entbudgetierung richtet. Man halte eine schnellstmögliche Einführung der Entbudgetierung der hausärztlichen Vergütung „für unabdingbar“. Sollten sich weitere Änderungen bei genauer Betrachtung aber „als zu komplex zur sofortigen Einführung“ erweisen, sollten diese im Verfahren abgetrennt und mit aller gebotenen Sorgfalt entwickelt werden.
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