Ärzteschaft

KBV warnt vor fünfstelligen Verlusten pro Praxis durch Versorgungspauschale

  • Montag, 6. Mai 2024
/picture alliance, Philipp Znidar
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Berlin – Die Organisationen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen haben dem Bundes­gesundheitsministerium (BMG) im Rahmen einer nicht öffentlichen Verbändeanhörung erneut ihre Kritik an den Plänen im Gesundheitsver­sor­gungsstärkungs­gesetz (GVSG) dargelegt. Die Front verläuft wie so oft zwischen Ärzteschaft und Krankenkassen.

So hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) vor den im Entwurf des GVSG vorgesehenen Versorgungs- und Vorhaltepauschalen im ambulanten Sektor. Sie könnten durchschnitt­liche Verluste im fünfstelligen Bereich verursachen.

Der Gesetzentwurf trifft in der Ärzteschaft auf gemischte Reaktionen. So begrüßt die Bundesärztekammer (BÄK) die bei­den geplanten Pauschalen als „grundsätzlich sachgerecht“, wobei jedoch dringend vermieden werden müsse, „dass die hausärztliche Vergütung eine bloße Umverteilung erfährt“.

Zudem bestehe die Gefahr, dass ein der Teil der hausärztlichen Praxen zukünftig Umsatzeinbußen erfahre, weil sie be­stimmte Kriterien für die Zahlung der Vorhaltepauschale nicht erfüllten oder weil sie unwissentlich Patienten behandel­ten, die bereits in einer anderen Praxis vorstellig gewesen seien und die Jahrespauschale entsprechend bereits abge­rech­net worden sei.

Die KBV habe „zur Veranschaulichung der signifikanten Umverteilungseffekte“ entsprechende Berechnungen durchge­führt, aus denen sich – je nach konkreter Ausgestaltung – durchschnittliche Verluste im fünfstelligen Eurobereich im Jahr für einen nicht unerheblichen Teil der Praxen ergeben würden.

Auch müsse ausgeschlossen werden, dass Ärzte, die besonders schwer kranke Patienten mit hohem Versorgungsbedarf behandelten, finanziell schlechter gestellt seien als diejenigen, deren Patientenklientel jünger und gesünder sei.

Die KBV hält die Einführung einer Versorgungspauschale für chronisch erkrankte Patienten zwar für „grundsätzlich denkbar“, um die derzeitige Systematik im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abzulösen. Dem nun vorgesehenen Modell steht sie jedoch deutlich kritisch gegenüber, da die geplante jährliche Versorgungspauschale dazu führen könnte, dass eine Steuerung von schwereren chronischen Erkrankungen hin zu weniger betreuungsintensiven Patienten mit chronischen Erkrankungen erfolgt. Dies würde dem offenbar angestrebten Zweck der Regelung zuwiderlaufen.

Zudem würden für die Praxen finanzielle Risiken entstehen, da sie bei der Abrechnung der Pauschale nicht einsehen können, ob diese bereits einmal von einer anderen Praxis abgerechnet wurde.

So hätten derzeit laut KBV-Berechnungen durchschnittlich rund 35 Prozent der gesetzlich versicherten chronisch erkrankten Patienten mehr als einen Hausarzt, der die derzeitige Versichertenpauschale berechnet. Daraus ergebe sich die Herausforderung, dass eine jahresbezogene Vergütung der behandelnden Hausärzte entweder bei diesen Patienten doppelt zu vergüten ist oder eine gegebenenfalls jahrelange Unsicherheit bei den behandelnden Hausärzten besteht, ob die Krankenkassen Rückforderungen gegen sie erheben.

„Hiervon wären nach unseren Auswertungen praktisch alle hausärztlich tätigen Praxen betroffen“, erklärt die KBV in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf. „Beide Optionen stellen gleichsam die Quadratur des Kreises dar, die auch der Bewertungsausschuss nicht lösen kann.“

Deshalb brauche es „gesetzliche Leitplanken“, die unter anderem sicherstellten, dass die Vergütungen für die Behandlung eines chronisch erkrankten Patienten trotz Einführung der Pauschale nicht sinken würden. Da die Versorgungspauschale nicht den medizinisch erforderlichen Behandlungsbedarf pro Patienten reduziere, dürfe ihre Bewertung nicht geringer sein als die Summe der bisherigen Gebührenordnungs­positionen, die der Versorgungspauschale zugrunde lägen.

Zudem könnten Ärzte Mehrfachinanspruchnahmen nicht ausschließen. Deshalb müssten diese in medizinisch erforderli­chen Fällen sowohl bei der Quartals- als auch bei der Jahrespauschale bezahlt werden, beispielsweise bei paralleler Be­handlung durch Hausarzt und Diabetologische Schwerpunktpraxen, HIV-Schwerpunktpraxen, Substitutionsbehandlung, Schmerztherapeuten und Psychotherapie. In anderen Fällen müsse zumindest die Versichertenpauschale abrechenbar bleiben.

Entbudgetierung richtig ausgestalten

BÄK und KBV begrüßen die Entbudgetierung der Hausärzte – allerdings auch hier verbunden mit Warnungen. Entscheidend sei, dass die Entbudgetierung so geregelt werde, dass eine vollstän­dige Bezahlung aller erbrachten Leistungen gewährleistet sei.

„Auch hier muss die Expertise der Ärztinnen und Ärzte aufgegriffen werden, um sinnvolle gesetzliche Rahmenvorgaben zu schaffen, die der Selbstverwaltung eine adäquate Umsetzung und ausreichende Flexibilität zur Ausgestaltung einräu­men“, mahnt die BÄK an. „Angesichts des Mangels an Ärztinnen und Ärzten ist zudem eine entsprechende Regelung für alle Fachgebiete unabdingbar.“

Die KBV begrüßt die Entbudgetierung der Hausärzte grundsätzlich, geht aber davon aus, dass die im Entwurf vorgese­hene Umsetzung zu einigen Verwerfungen führen würde. Denn dieser sehe ein komplexes Verfahren vor, bei dem Finanzmittel der hausärztlichen Morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) zugeführt werden, die gegebenenfalls von anderen Arztgruppen bereitgestellt werden müssten.

„Dies entspricht nicht der in der Gesetzesbegründung dargestellten Intention, dass andere Arztgruppen nicht betroffen sein sollen, und kann im Extremfall die Trennung der Vergütung in einen hausärztlichen und fachärztlichen Teil über­schreiben, sodass Fachärzte für Hausärzte zahlen müssten“, warnt die KBV und empfiehlt stattdessen eine Entbudge­tierung nach dem Vorbild der Kinderärzte.

Kritik von Kassen

Auf Kassenseite treffen die Pläne zur Entbudgetierung und Einführung neuer Pauschalen unterdessen auf Kritik. Das BMG wolle, dass mehr finanzielle Mittel „gießkannengleich in die vorhandenen Strukturen fließen“, kritisierte beispielsweise der Geschäftsführer des IKK e.V., Jürgen Hohnl: „Angesichts der finanziellen Situation der GKV sind die Zurverfügungstellung von weiteren finanziellen Mitteln und die Abschaffung von Steuerungsoptionen der falsche Weg.“

Das Gesetz könne auch als „Vergütungssteigerungsgesetz“ in den Bundestag eingebracht werden, schmähte der stell­vertretende Vorsitzende des AOK-Bundesverbands, Jens Martin Hoyer, den Entwurf: „Offenbar zeigt hier die monatelange Kampagne der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte Wirkung.“ Allein die Entbudgetierung der Hausärzte werde die Beitragszahlenden 300 Millionen Euro pro Jahr kosten.

Die jährliche Versorgungspauschale wiederum werde keine Probleme lösen, sondern eher für zusätzliche Verwerfungen beim Zugang von chronisch kranken Versicherten zur Versorgung führen, indem sie starke Anreize schaffe, diese Patien­ten seltener zu behandeln. Zudem drohe durch die Pauschale eine „Unwucht im Risikostrukturausgleich zwischen den Kassen, die ebenfalls auf Kosten der chronisch kranken Versicherten und deren Krankenkassen geht“.

Der Verband der Ersatzkassen (vdek) wiederum kritisiert, dass die Entbudgetierung vor allem in Ballungsgebieten zur Anwendung komme – im ländlichen Raum würden die Budgets zum Teil nicht einmal ausgeschöpft. Auch die beab­sich­tigten Bonuszahlungen von 30 Euro pro Patient für die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung (HZV) seien „ein Irrweg“, der der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei den aktuellen Teilnehmendenzahlen von über sechs Millionen Versicherten jährliche Mehrkosten von rund 180 Millionen Euro verursachen würde.

Kosten durch HZV-Bonus

„Es ist davon auszugehen, dass die Kosten durch den geplanten Bonusanreiz massiv ansteigen würden. Zielsetzung für die Teilnahme an der HZV soll in erster Linie ein reell erlebter Versorgungsmehrwert für die Versicherten sein“, erklärte die Vorstandsvorsitzende des vdek, Ulrike Elsner. „Hier braucht es keine ergänzenden finanziellen Anreize.“

Demgegenüber unterstützt die BÄK diese Pläne. „Die Attraktivität einer solchen Anbindung dürfte insbesondere dann steigen, wenn sich durch die Teilnahme für die Patientinnen und Patienten merkbare positive Effekte bei den Versor­gungsabläufen ergeben“, schreibt sie in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf. „Dies erfordert eine Stärkung der koordinativen Möglichkeiten der Hausärztinnen und Hausärzte.“

Das primäre Anliegen der Maßnahme sei nicht in einer Kostendämpfung zu sehen, sondern in der Verbesserung der Versorgungssituation der eingeschriebenen Patienten, von denen insbesondere die geriatrischen profitieren würden. Es bedürfe daher einer sorgfältigen wissenschaftlichen Evaluation, die nicht primär auf wirtschaftliche Faktoren fokussiert ist.

Eine Erleichterung soll den Ärzten die Einführung einer Bagatellgrenze von 300 Euro bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen bescheren. Die KBV begrüßt das ausdrücklich, moniert aber, dass die Regelungen zu saisonalen Impfstoffen nicht ver­ändert werden sollen. Sie fordert, zukünftig auf Regresse bei mengenbezogenen Überschreitungen von saisonalen Influenzaimpfstoffen sowie bei der Verordnung von Einzeldosen aufgrund von Lieferengpässen zu verzichten.

Die BÄK begrüßt die geplante Bagatellgrenze ebenfalls, fordert jedoch, sie schrittweise weiter anzuheben. Weniger erfreut über die Pläne ist hingegen der Virchowbund. Er hält sie in ihrer jetzigen Form für eine Mogelpackung.

Unwirksame Bagatellgrenze

Denn die Prüfungen einzelner Arznei- oder Heilmittelverordnungen würden entsprechend regionaler Vereinbarungen auf einen Arzt und nicht auf die Betriebsstätte bezogen erfolgen. Die von einer bundeseinheitlichen Bagatellgrenze über­haupt nur betroffene Prüfart „Einzelfallprüfung auf Antrag“ würde also in aller Regel arztbezogen erfolgen. Mit der ge­planten Regelung würde hingegen eine Bagatellgrenze in Höhe von 300 Euro betriebsstättenbezogen bei Einzelfall­prüfungen eingeführt.

Der Virchowbund sagt deshalb voraus, dass die Anträge für Einzelverordnungen, die bisher aufgrund der arztbezogenen regional vereinbarten Bagatellgrenze nicht gestellt werden durften, dann künftig durch das Sammeln und Zusammen­führen der einzelnen arztbezogenen Fehler innerhalb einer Betriebsstätte gestellt werden.

Die bisherigen Einzelfallprüfungen, die nicht auf Antrag, sondern von Amts wegen erfolgen, würden jedoch von der geplanten Neuregelung unberührt bleiben – für diese Prüfmethode bleibe es den regionalen Vertragspartnern deshalb weiterhin überlassen, eine Bagatellgrenze zu vereinbaren.

Deshalb finde durch die geplante gesetzliche Regelung ein Bürokratieabbau bei den Krankenkassen dahingehend statt, dass die arztbezogenen oder betriebsstättenbezogenen Anträge quartalsweise zusammengefasst und gesammelt gestellt würden. Digitale Analysen zur Rezeptprüfung würden den Kassen diesen Vorgang noch erleichtern und zu einer Ausweitung des „Prüfgeschäfts“ führen.

„Die geplante Regelung ist demnach eine Regelung zur Ausweitung der Regresse durch die Gesetzlichen Krankenkassen mit entsprechenden Mehreinnahmen auf Krankenkassenseite zu Lasten der Ärzteschaft“, warnt der Virchowbund in seiner Stellungnahme.

Weniger kontrovers ist dagegen die geplante Einführung einer neuen Arztgruppe: Psychotherapeutisch tätige Ärzte und Psychotherapeuten, die überwiegend oder ausschließlich Kinder und Jugendliche psychotherapeutisch betreuen, sollen zukünftig eine eigene Arztgruppe bilden.

Sowohl BÄK als auch KBV begrüßen das ausdrücklich. Letztere merkt aber an, der vorgesehene Zeitrahmen von einem Jahr sei in Anbetracht der Anhörungs-, Genehmigungs- und Veröffentlichungsvorgaben unangemessen kurz.

lau

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