Ärzteschaft

„Während der Behandlungen sind Sicherheitskräfte dazwischen gegangen, um die Leute wegzuzerren“

  • Freitag, 11. November 2022

Berlin – Seit Mitte September gehen im Iran viele Menschen auf die Straße, um gegen die iranische Regie­rung zu protestieren. Auslöser war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die in Polizeigewahrsam gestorben ist, nachdem sie angeblich ihr Kopftuch nicht vorschriftsmäßig getragen haben soll.

Die Demonstrationen fordern einen Systemwechsel und die Einhaltung von Freiheits- und Menschenrechten. Sicherheitskräfte des Regimes gehen mit aller Härte gegen die Protestie­renden vor. Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg, ist in Teheran geboren und kam mit 14 Jahren nach Deutschland. Das Deutsche Ärzteblatt () sprach mit ihm über die aktuelle Lage und die Situation der Ärztinnen und Ärzte vor Ort.

Pedram Emami /Ilan Hamra
Pedram Emami /Ilan Hamra

5 Fragen an Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg

Deutsches Ärzteblatt: Herr Emami, Sie haben viele Kontakte in den Iran. Was berichten Ihre Kontakte aus der Ärzteschaft von der Situa­tion gerade vor Ort?
Pedram Emami: Im Zuge der Demonstrationen sind viele Leute ver­letzt worden. Das versucht die Regierung aber immer wieder zu negie­ren. Es kommen Leute zu Schaden, sie werden verletzt und in Gesundheitseinrichtungen gebracht oder gehen selbst in die Ein­richtungen, um sich versorgen zu lassen.

Häufig waren sogenannte Sicherheitskräfte vor Ort, die die Verletzten aufgegriffen haben. Die haben regelrecht dort gewartet, bis Verletzte vorbeikommen, um sie als Teilnehmende von Protesten zu identifizie­ren und mitzunehmen.

Das war unabhängig davon, ob sie schon in Behandlung waren oder nicht. Sogar während der Behandlungen sind die Sicherheitskräfte dazwischen gegangen, um die Leute wegzuzerren.

Wenn Kolleginnen und Kollegen sich gewehrt haben, sind sie selbst zur Zielscheibe geworden. Denn die Be­handlung der Protestierenden wird als Unterstützung der Demonstrationen aufgefasst und deshalb wird es gleichermaßen als Straftat angesehen.

Ich möchte aber auch auf ein anderes Problem hinweisen. Auslösendes Moment für die Proteste waren erste Fälle von Misshandlungen, die tödlich ausgegangen sind. In den öffentlichen Gutachten der Regierung wurde inhaltlich nicht darauf hingewiesen, was es für Verletzungen gab und dass das Versterben eine Folge der Misshandlungen war.

Hier wurden ganz andere Dinge als Todesursache vorgegaukelt. Beim Fall von Mahsa Amini war es laut Gut­achten angeblich ein unbekanntes Herzleiden. Viele Kolleginnen und Kollegen vor Ort – unter anderem Betei­ligte – sahen aber eindeutig schwere Verletzungen als Todesursache und hatten den begründeten Verdacht, das Gutachten sei manipuliert worden.

Für die Ärztinnen und Ärzte war das ein auslösendes Moment, weil sie gesehen haben, dass die Berichte potentiell verfälscht oder in der Öffentlichkeit anders wiedergegeben werden. Oder sie wurden sogar selbst gedrängt, die Berichte anders zu verfassen, als es unser ärztliches Verständnis erfordern würde. Das sind Mo­mente, die in der praktischen Berufsausübung ein großes Problem darstellen und zu großer Unzufriedenheit seitens des Kollegiums führt.

DÄ: Sind Ärztinnen und Ärzte auch bei den Protesten gegen die iranische Regierung dabei?
Emami: Als die Demonstrationen auf der Straße gestartet sind, haben sich die Studierenden und zum Teil auch ihre Dozierenden als Erstes angeschlossen. Mit unter den ersten Fakultäten waren auch die medizini­schen.

Die angehenden Kolleginnen und Kollegen und ihre Dozierenden sind mit weißen Kitteln zu den Protesten gegangen, sowohl auf dem Gelände der Universität als auch auf der Straße. Da scheint ein sehr großes Be­wusstsein vorhanden zu sein innerhalb der medizinischen Community für die politischen Missstände und auch ein großes Bedürfnis, sich zu diesen Änderungswünschen zu bekennen.

Zudem haben die Kolleginnen und Kollegen vor wenigen Wochen in Teheran vor der dortigen Ärztekammer gegen die Umstände, dass Verletzte teils aus der Behandlung weggezerrt werden, protestiert. Das hat zu massiven Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften geführt, die auch mit Tränengas gegen die Kolleginnen und Kollegen vorgegangen sind und sie mit Knüppeln niedergeschlagen haben.

Man hört von ähnlichen Protesten aber auch aus Schiras und Maschhad, dass es nicht nur vor den Ärztekam­mern, sondern auch während der Sitzungen Proteste gab. Dort haben Kolleginnen und Kollegen mit den De­monstrierenden offen sympathisiert und den Umgang mit der Ärzteschaft beklagt.

DÄ: Haben die Proteste auch Auswirkungen auf das Medizinstudium im Iran?
Emami: In den öffentlichen Räumen wird offiziell Geschlechtertrennung betrieben. Das heißt, die Vorlesungen werden zwar nicht getrennt gehalten, aber der Raum ist zweigeteilt. Auf der einen Seite sitzt das eine und auf der anderen Seite das andere Geschlecht. Auch in der Mensa gibt es eine Art spanische Wand, um die Ge­schlechter zu trennen.

Dagegen kommen die Aufsichtspersonen in den Universitäten aber nicht mehr an. Da ist der Druck der Basis so groß, dass die Studierenden demonstrativ die Geschlechtertrennung überwinden und nicht mehr in ge­trennten Mensen essen, sondern sich in gemeinsamen Räumen zusammenfinden. Die Kolleginnen, mutig wie sie sind, legen zudem ihre vorgeschriebene Kopfbedeckung ab. Sie nehmen sich ihr Recht und davor habe ich großen Respekt.

DÄ: Die Ärzteschaft hat sich erst kürzlich mit den iranischen Kolleginnen und Kollegen solidarisch gezeigt. Helfen solche Aktionen und wie könnte den iranischen Ärztinnen und Ärzten weiter geholfen werden?
Emami: Es ist ein kleiner bescheidender Beitrag, den wir leisten, weil die Leute dort vor Ort unter Feuer ste­hen. Wir haben nichts zu verlieren, in dem wir uns solidarisch zeigen. Dennoch ist es ein immens wichtiger Schritt zu zeigen, dass deren Stimme überall gehört wird und keiner dieser Regierung mit ihren Lügenmär­chen Glauben schenkt. Das ist hinsichtlich der Rückendeckung der Bevölkerung dort sehr wichtig.

Es ist außerdem der erste Schritt damit die Bevölkerung weiß, dass wir es mit der Solidarität so ernst meinen, dass wenn sie andere Wünsche an uns adressieren, das auch Gehör finden würde. Auf der anderen Seite ist es auch wichtig für die dortige Regierung zu wissen, dass sie in der internationalen Gemeinschaft isoliert dasteht in der Art und Weise, wie sie mit dem Freiheitswunsch ihrer eigenen Bevölkerung umgeht.

DÄ: Wie sieht die medizinische Versorgung im Iran generell aus, wie hoch ist etwa der Frauenanteil und gibt es hier Einschränkungen für die Kolleginnen?
Emami: Es waren schon Mitte der 1990er mehr Frauen als Männer, die die medizinischen Hochschulen verlas­sen haben. Und es sind tatsächlich viele Kolleginnen dort berufstätig. Sie üben den Beruf weitestgehend so aus, wie wir es in Deutschland auch kennen. Allerdings gibt es auch Einschränkungen. Männer dürfen zwar als Gynäkologen arbeiten, Frauen aber nicht als Urologinnen für Männer. Was andere Fachdisziplinen betrifft, ist die Situation aber ähnlich wie hier.

Was die medizinische Versorgung der Bevölkerung betrifft, gibt es alles an aktuellen Erkenntnissen, Technolo­gien und Behandlungsverfahren wie in Deutschland auch. Die Frage des Spektrums der Behandlungsmöglich­keiten ist aber nicht der Punkt. Was hochproblematisch ist, ist der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen. Dieser ist sehr stark davon abhängig, wie wohlhabend man ist.

Es gibt zwar eine öffentliche allgemeine Krankenversicherung, diese deckt aber nicht alle Leistungen ab und bietet auch nicht den Zugang zu allen Einrichtungen, sondern nur zu den staatlichen. Diese machen aber nur einen ganz kleinen Teil der medizinischen Institutionen aus. Das meiste ist privat organisiert, also ein sehr marktwirtschaftliches System. Es gibt hier keine Grenzen wie die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) bei uns, so dass jeder fast so abrechnen kann, wie er eben beliebt.

cmk

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