WHO warnt vor Risiken durch lückenhafte Überwachung von Vogelgrippe

Genf – Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat davor gewarnt, dass lückenhafte Überwachung des Vogelgrippevirus H5N1 bei Tieren die Möglichkeiten zur Kontrolle des Risikos für den Menschen verringert.
„Bislang wurde keine Übertragung von Mensch zu Mensch gemeldet, weshalb die WHO das Risiko für die Allgemeinheit weiterhin als gering einstuft“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus gestern. „Unsere Fähigkeit, dieses Risiko einzuschätzen und zu bewältigen, wird jedoch durch die weltweit begrenzte Überwachung von Influenzaviren bei Tieren beeinträchtigt.“
Nach WHO-Angaben hatten die USA in der vergangenen Woche einen vierten Fall eines an Vogelgrippe erkrankten Menschens nach Kontakt zu infizierten Milchkühen gemeldet. Kambodscha hatte zwei Krankheitsfälle bei Kindern gemeldet, die mit kranken oder toten Hühnern in Kontakt gekommen waren.
„Zu verstehen, wie sich diese Viren bei Tieren ausbreiten und verändern, ist wichtig, um Veränderungen zu erkennen, die das Risiko von Ausbrüchen beim Menschen oder das Potenzial für eine Pandemie erhöhen könnten“, sagte der WHO-Chef weiter.
Die WHO rief alle Länder dazu auf, die Influenzaüberwachung und -meldung bei Tieren und Menschen zu verstärken sowie grenzüberschreitend Proben und Gensequenzen auszutauschen. Auch forderte sie mehr Forschung zur Vogelgrippe und einen besseren Schutz für Beschäftigte in der Landwirtschaft, die mit infizierten Tieren zu tun haben könnten.
In einem gestern veröffentlichten Editorial in Science rufen die Direktorin des Worldwide Influenza Centre (Francis Crick Institute, London), Nicola Lewis, und der Vizepräsident des deutschen Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), Martin Beer, zu strengeren Eindämmungsmaßnahmen in den USA auf.
Unter der Überschrift „Stop H5N1 influenza in US cattle now“ („Stoppt H5N1-Influenza bei Rindern in den USA jetzt“) werfen sie unter anderem die Frage auf, warum es kein größeres Gefühl der Dringlichkeit gebe, diese Infektionen unter Kontrolle zu bringen.
Zu den entscheidenden Maßnahmen, die nun initiiert oder sofort verstärkt werden müssten, gehörten die Überwachung aller US-Milchviehbetriebe etwa durch Milchtestungen auf Influenzavirus-RNA, strenge Quarantäne für infizierte Kühe und eine Beschränkung des innerstaatlichen Transports, um die Zirkulation des Virus bei Kühen zu stoppen.
„Nur ein paar Staaten versuchen dies derzeit“, schreiben Lewis und Beer. Zudem müssten die Biosicherheits- und Hygienemaßnahmen in den Betrieben verbessert werden, um die Verbreitung des Virus und Spill-Over-Infektionen zu vermeiden.
Lewis und Beer mahnen über den Sommer ebenfalls eine verstärkte Überwachung von Influenza beim Menschen an, was auch die Europäische Seuchenschutzbehörde ECDC kürzlich betont hatte. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete. Sie fordern außerdem die rechtzeitige Entwicklung von Impfstoffkandidaten für Nutztiere wie Menschen und Verteilungsstrategien für diese Präparate.
Das Vogelgrippevirus H5N1 hat in den vergangenen Monaten zunehmend auf Säugetiere übergegriffen, unter anderem auf Milchvieh in den USA. In mehreren US-Bundesstaaten sind zahlreiche Kuhherden infiziert, die Epidemie wurde erstmals im März festgestellt. Maria Van Kerkhove, Leiterin der WHO-Abteilung für Epidemie- und Pandemievorsorge, gab an, dass H5N1 nun in 145 Herden in zwölf US-Bundesstaaten nachgewiesen worden sei.
Auch mehrere Menschen infizierten sich bereits, was Befürchtungen einer drohenden Pandemie weckte. Der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, bezeichnete angesichts der Ausbreitung von H5N1 in den USA das Vogelgrippevirus als möglichen Auslöser für eine kommende Pandemie.
Die WHO warnte gestern auch, dass die Viruserkrankung Mpox weiterhin eine weltweite Gesundheitsbedrohung darstelle. Besondere Sorge äußerte WHO-Chef Tedros über die Situation in der Demokratischen Republik Kongo, wo sich ein neuer Virusstamm seit September ausbreitet. In diesem Jahr seien 11.000 Fälle gemeldet worden, darunter 445 Todesfälle, sagte Tedros. Kinder seien am stärksten betroffen.
Bei Mpox handelt es sich um eine von infizierten Tieren auf den Menschen übertragbare Viruserkrankung. Die WHO hatte die jahrelang als Affenpocken bekannte Krankheit zur Vorbeugung von Stigmatisierungen vor gut einem Jahr umbenannt.
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