Infektiologe: Vogelgrippe-Ausbruch bei US-Kühen als reelle Gefahr behandeln

Berlin – Beim Ausbruch der hochpathogenen Vogelgrippe H5N1 bei Milchkühen in den USA ist aus Sicht des Berliner Infektiologen Leif Erik Sander eine genauere Überwachung von Infektionen nötig. Der Forscher plädiert zudem für eine verstärkte Nutzung von Tierimpfungen.
Das dortige Geschehen müsse ernst genommen werden, aber er denke nicht, dass es innerhalb kürzester Zeit zu einer Pandemie im Menschen komme, sagte der Direktor der Charité-Klinik für Infektiologie und Intensivmedizin dem Deutschen Ärzteblatt. „Aber es ist sicherlich ein Virus mit der größten Wahrscheinlichkeit, dass es passieren kann.“
Sander betonte, der Ausbruch müsse als reelle Gefahr behandelt werden, auch wenn das Virus noch nicht von Mensch zu Mensch übertragen werde und die bisherigen Fälle bei Menschen in den USA nicht schwer verlaufen seien. „Aber es ist klar, dass wir jetzt noch vor dem Geschehen sind und Maßnahmen ergreifen könnte.“ Man dürfe nun nicht nur die Entwicklung beobachten: „Sonst haben wir es alle gesehen und verschlafen, das kann nicht sein.“
Allgemein plädiert Sander dafür, aus einer One-Health-Perspektive auch in der Veterinärmedizin noch mehr auf Impfungen zu setzen. „Zum einen, um Zoonosen vorzubeugen, die sich über unsere Nutztierbestände verbreiten können.“ Zum anderen könne Antibiotikaresistenzen vorgebeugt werden. „Die Tiere werden gegen Keime mit Antibiotika behandelt, gegen die man theoretisch auch impfen könnte. Deshalb sehe ich ziemlich großen Bedarf für veterinärmedizinische Impfstoffe.“
Auch gegen H5N1 schätzt Sander Impfungen von Kühen als nützlich ein: „Ich hielte es für sinnvoll, dass man Tiere in nicht infizierten Beständen impft, beziehungsweise Tiere, die neu in Bestände kommen oder die um infizierte Bestände herum gehalten werden. Das ist für mich der beste Weg, wie man diesen Ausbruch sinnvoll eindämmen könnte.“
Auch der Virologe Christian Drosten, ebenfalls von der Charité, hatte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland kürzlich gesagt, es solle in den USA über die Impfung von Kühen nachgedacht werden. Einem gestern veröffentlichten Artikel im Fachblatt Science zufolge gibt es auch in den USA Fachleute, die dies vorschlagen, da sie ein Eliminieren des Virus nicht mehr für ein realistisches Ziel hielten.
Der Ausbruch betrifft nachweislich bislang 12 US-Bundesstaaten und 139 Herden (Stand 3. Juli 2024), wie die Seite des Animal and Plant Health Inspection Service des US-Landwirtschaftsministeriums zeigt.
FLI: Gibt noch keinen für Rinder angepassten Impfstoff
Das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), geht davon aus, dass das Ausbruchsgeschehen mit dem gezielten und umfassenden Einsatz klassischer Bekämpfungsmaßnahmen gestoppt werden könnte, wie eine Sprecherin mitteilte.
Dazu gehörten etwa ein umfassendes Monitoring aller Milchviehbetriebe in den USA, die Sperrung betroffener Betriebe, die Isolierung infizierter Tiere, verstärkte Hygiene beim Melken, strikte Transportverbote aus betroffenen Herden und eine generelle Testung von Kühen vor dem Verbringen.
„Der Einsatz von Impfstoffen wäre aus Sicht des Friedrich-Loeffler-Instituts eine sinnvolle Ergänzung von klassischen Bekämpfungsmaßnahmen, insbesondere wenn eine weitere Anpassung des Geflügelpestvirus an Rinder beobachtet wird oder das Geschehen mit den genannten Maßnahmen nicht gestoppt werden kann“, hieß es weiter.
Dann müsse allerdings auch festgelegt werden, welche Tiere geimpft werden sollen und es müsste eine ausreichende Impfabdeckung in der Rinderpopulation erreicht werden. „Einen für Rinder angepassten Impfstoff gibt es allerdings noch nicht und Studien zur Wirksamkeit dieser Impfstoffe fehlen bisher auch. Das bedeutet unter Umständen erhebliche Verzögerungen“, erklärte die FLI-Sprecherin. Vor dem Hintergrund sei einer umgehenden Umsetzung der klassischen Maßnahmen „im Moment eindeutig der Vorzug zu geben“.
Dass H5N1 Infektionen bei Rindern hervorrufen kann, galt bis zu den Fällen in den USA als unwahrscheinlich. Dabei scheinen Infektionen des Euters und die Verbreitung über Melkgeschirre eine wesentliche Rolle zu spielen. Wie das Magazin Science kürzlich berichtete, sollen mehrere Unternehmen begonnen haben, an H5N1-Impfstoffkandidaten für Kühe zu arbeiten, etwa ausgehend von bestehenden Vakzinen für Geflügel. Demnach bestehen dabei aber auch einige Herausforderungen.
Impfungen bei Risikogruppen sollen in Finnland im Sommer beginnen
Bei Impfstoffen für Menschen wurde besser vorgesorgt. Hier stünden bereits mehrere, für den Fall der Fälle zugelassene H5N1-Impfstoffe zur Verfügung, die bei Bedarf adaptiert werden könnten, sagte Sander. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete.
„Da gibt es einen neuen zellbasierten Impfstoff, den man auch hochskalieren könnte. Bei den traditionellen Totimpfstoffen, die in Hühnereiern gezüchtet werden, hat man im Fall einer Pandemie ein Kapazitätsproblem, da geschätzt nur circa 1,5 Milliarden Impfdosen im Jahr produziert werden können und die Produktion auch einen längeren Vorlauf hat“, sagte Sander. Diese Vakzine könnten daher zunächst nur für bestimmte Berufsgruppen und zum Eindämmen von Ausbrüchen eingesetzt werden.
Sander hält auch die Entwicklung eines monovalenten pandemischen mRNA-Impfstoffes gegen H5N1 für möglich. „Die Firma Moderna in den USA hat von der amerikanischen Regierung kürzlich 176 Millionen Dollar erhalten und bereits mit der Impfstoffentwicklung begonnen“. Die Produktionskapazitäten für die Produktion solcher Impfstoffe seien mittlerweile auch größer als zu Beginn der Coronapandemie.
Vor dem Hintergrund der H5N1-Ausbreitung bei Rindern in den USA hat eine Gruppe europäischer Länder vorsorglich 665.000 Impfdosen für Menschen gegen die H5-Viren bestellt. Die Beschaffungsbehörde der EU habe im Auftrag von 15 Staaten einen entsprechenden Vertrag mit dem britischen Pharmaunternehmen Seqirus unterzeichnet, teilte die EU-Kommission kürzlich mit. Die ersten Impfdosen sind demnach für Finnland bestimmt.
Dort wird bestimmten Risikogruppen vor dem Hintergrund der Pelztierzucht auf Farmen neuerdings eine Vogelgrippeimpfung empfohlen. Noch im Sommer soll das Impfen beginnen, wie Fachleute kürzlich im Journal Eurosurveillance berichteten. Fragen gebe es aber etwa noch zum Grad und der Dauer des Impfschutzes. (DOI: 10.2807/1560-7917.ES.2024.29.25.2400383).
Zu den Risikogruppen zählen demnach etwa Personen, die auf diesen Farmen mit den Tieren beziehungsweise mit Geflügel in Kontakt kommen, aber auch Veterinäre im öffentlichen Gesundheitsdienst und Laborpersonal, das Testungen auf das Virus durchführt. Finnland ist der Veröffentlichung zufolge vermutlich das erste Land der Welt, das mit Impfungen gegen dieses bestimmte Virus beginnen könnte.
2023 hatte es auf finnischen Pelztierfarmen eine große Zahl an H5N1-Ausbrüchen gegeben. Diese sind laut dem Journalbeitrag aber schon länger eingedämmt. Der wirtschaftliche Schaden, der mit der Keulung von 485.000 Tieren auf 72 Farmen einherging, wird auf 50,7 Millionen Euro beziffert. 2024 habe es bis Juni in dem Land nur einen Virusnachweis bei einem Wildvogel gegeben.
Zusätzlich zu nicht pharmazeutischen Maßnahmen gelten Impfungen aus finnischer Sicht nun als Werkzeug, um schwere Fälle beim Menschen zu vermeiden und um das Risiko einer Mischung von saisonalen Influenza- und Vogelgrippeviren zu minimieren. Die Entscheidung, diese Impfung – sobald von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zugelassen – anzubieten, fiel laut dem Bericht bereits im Frühjahr 2023.
Charité-Experte Sander sagte, dass er für Deutschland keine Dringlichkeit für eine derartige Impfempfehlung für Risikogruppen sehe. „Als Dairy Worker auf einer amerikanischen Farm würde ich mir allerdings wünschen, geimpft zu werden. Über die Melkmaschinen kann man sich infizieren. Für Deutschland wünsche ich mir vor allem eine höhere Impfquote gegen die reguläre saisonale Influenza, denn diese ist momentan gefährlicher als die Vogelgrippe.“
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