Wie Prävention in Deutschland gestärkt werden könnte

Berlin – Zum Stärken der Prävention in Deutschland haben sich verschiedene Fachleute für mehr Mut zu unbequemen Maßnahmen, für verbindliche Ziele und eine bessere Kommunikation ausgesprochen. Es müsse diesbezüglich mehr passieren als bisher, betonten Teilnehmende einer Podiumsdiskussion bei der gestrigen Gesundheitsziele-Konferenz der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung (GVG) in Berlin.
„Wir müssen Dinge ändern“, sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther, Präsidentin der Bundesvereinigung Prävention & Gesundheitsförderung (BVPG). Sie bezog sich auch auf Deutschlands schlechtes Abschneiden in einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Ranking von AOK-Bundesverband und Deutschem Krebsforschungszentrum (DKFZ).
Dieser „Public Health Index“ kommt zu dem Ergebnis, dass hierzulande in Hinblick auf Alkohol, Tabak, Ernährung und Bewegung im Vergleich zu anderen Ländern in Europa besonders wenig wissenschaftlich empfohlene Präventionsmaßnahmen umgesetzt sind. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete.
Wolle man diese Ergebnisse ändern, brauche es konsequent politische Veränderungen, betonte Kappert-Gonther: „Das heißt Tabaksteuer, das heißt Zuckersteuer, das heißt Alkoholsteuer, das heißt Alkoholwerbeeinschränkung und das heißt, Städte für Menschen bauen.“ Auch wenn es derzeit keine politische Mehrheit für eine Umsetzung gebe, könne aus der Beschäftigung mit dem Thema ein Impuls für Veränderung werden.
Zentrale nötige Schritte seien etwa ein Verbot von Raucherkneipen in allen Städten und eine Erhöhung der Tabaksteuer, wobei Einnahmen teilweise dem Gesundheitssystem zugutekommen könnten, sagte Oliver Blatt für die Nationale Präventionskonferenz (NPK), der er als Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes aktuell vorsteht. Das Thema Alkohol müsse man „mit Augenmaß“ angehen und dabei die Menschen mitnehmen.
Debatte um mögliche Änderungen des Präventionsgesetzes
Blatt und weitere Diskussionsteilnehmer plädierten für eine Überarbeitung des Präventionsgesetzes. Wichtig sei, dass Schritte außerhalb des V. Sozialgesetzbuches verankert würden. „Was wir nicht brauchen, ist ein Präventionsgesetz, das wieder an SGB V rumdoktert“, sagte er. Sonst komme man nicht weiter. Wichtig seien vielmehr klare Ziele und eine Beteiligung aller Ressorts sowie von Bund und Ländern. In der Prävention schlummerten auch erhebliche Einsparpotenziale.
Kappert-Gonther plädierte für die BVPG dafür, im Präventionsgesetz einen verbindlichen Gesundheitscheck für alle relevanten Gesetzgebungen zu verankern: Damit beispielsweise auch bei wirtschafts- oder sozialpolitischen Vorhaben die Wirkung auf die Gesundheit geprüft werde. Auch verbindliche Governance-Strukturen könnten darin festgehalten werden.
Bisher stehen weitergehenden staatlichen Präventionsansätzen auch Lobbyinteressen und befürchtete Diskussionen um Verbote, Bevormundung und Freiheitseinschränkungen entgegen, wie in der Diskussion deutlich wurde. Bei manchen Themen kochen die Gemüter hoch. Zu Zeiten ihres Engagements für den Nichtraucherschutz in Bremen vor mehr als zehn Jahren habe sie erstmals eine Morddrohung erhalten, sagte Kappert-Gonther.
Als ein Versäumnis der vergangenen Jahre machte Timm Genett, Leiter des Geschäftsbereiches Politik beim Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV), aus, dass keine ganzheitliche Strategie implementiert worden sei, sondern sich die Politik in Teildiskussionen verloren habe. Er rief dazu auf, sich bei knappen Ressourcen vor allem auf die wirklich zielführenden Maßnahmen zu konzentrieren.
Sehr gute, schon existierende Programme von Kommunen, Kitas und Schulen müssten skalierbar werden, damit sich der Mitteleinsatz flächendeckend rentiere, sagte Genett. Kommunen und Einrichtungen, an denen es bisher keine solchen Angebote gebe, müssten künftig „über eine transparente digitale Infrastruktur“ bundesweit nach zertifizierten Programmen suchen können. Ergänzend brauche es ein Angebot an digitalen Beratungs- und Schulungsmöglichkeiten.
Genett rief die Politik darüber hinaus dazu auf, mehr an die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger zu appellieren. Die Aufgabe der Politik sei sehr anspruchsvoll: großer Aufwand, viele Player, viele Verantwortlichkeiten „und Ertrag vielleicht erst in zwei oder drei Legislaturperioden“.
Den Nutzen besser erklären
Prävention habe immer noch ein Marketing- und Kommunikationsproblem, sagte Blatt. Er sprach sich dafür aus, den Nutzen, etwa einer höheren Steuer auf Alkohol oder von Rauchverzicht, klarer herauszustellen. In der NPK habe man auch kommunikative Veränderungen besprochen. „Wir müssen den Menschen mehr erklären, was wir da tun.“ Wichtig seien logische Schritte entlang der gesamten Kette: Neben der Ernährungsbildung für Kinder brauche es auch die Investition in gesundes Schulessen.
Ulrike Elsner, Vorsitzende des Vorstandes des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), zeigte sich für das Forum Gesundheitsziele auch „ein bisschen desillusioniert“ darüber, dass zum Beispiel vulnerable Gruppen nach wie vor relativ wenig mit Präventionsansätzen und Mindset-Veränderungen erreicht würden. Hier müsse man sich auch selbstkritisch fragen, wie Ansätze verbessert und wirkmächtiger werden könnten. Grundsätzlich sprach sie sich dafür aus, gemeinsame Forderungen an die Politik zu formulieren.
Für eine Stärkung von Lebenskompetenzen, vor allem in Bildungssettings, plädierte bei der Konferenz Thomas Altgeld, der Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen. Statt sich bei Zielen thematisch immer weiter zu verzetteln, brauche es besser drei, vier zentrale Botschaften, die man wiederholt einbringen müsse.
Zur Arbeit des Forums Gesundheitsziele sagte Altgeld, ein Shift sei gelungen: Man habe neue Organisationen an Bord geholt und die Strukturen modernisiert. Seit dem Jahr 2000 wurden zehn Gesundheitsziele veröffentlicht. „Wir diskutieren gerade darüber, ob wir die alle überarbeiten“, sagte Altgeld. Nach GVG-Angaben wird für 2026 die Aktualisierung eines bestehenden Gesundheitsziels angestrebt, voraussichtlich zum Reduzieren des Alkoholkonsums.
Forderung nach Gründung einer Bundesstiftung
In Berlin ist unterdessen heute ein Konzept zur Gründung einer „Bundesstiftung für Prävention und Gesundheit“ vorgestellt worden. Diese soll sich der nachhaltigen Umsetzung konkreter Präventionsprojekte widmen und die bestehende Versorgung nach dem SGB V ergänzen. Es solle zum Beispiel darum gehen, dass Modellprojekte auch in die Fläche kommen. Den Vorschlag präsentierte unter anderem der Leiter des Berliner Instituts für Gesundheitssystem-Entwicklung, Albrecht Kloepfer.
Mit weiteren Partnern setzt er sich für einen Paradigmenwechsel vom Reparaturbetrieb hin zur Gesunderhaltung ein. Hinter dem Appell stecken auch wirtschaftliche Überlegungen: Prävention sei nicht mehr „nice to have“, sondern strategisch notwendig, sagte Sandra Zimmermann vom WifOR Institute in Darmstadt. Es sei ein Gebot der Stunde, in die Gesunderhaltung von Menschen zu investieren, damit sie gesund und damit auch produktiv bleiben. Gesundheit müsse als Wachstums- und Beschäftigungsmotor gesehen werden.
Bundesstiftungen zu anderem Themen sind bisher bei unterschiedlichen Ministerien und auch beim Bundeskanzleramt verortet. Nach Kloepfers Worten wird mit einem Finanzbedarf von einer Milliarde Euro gerechnet. Die gewünschte Bundesstiftung verstehe sich als Ergänzung zur Arbeit des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG), mit dessen Leitung man ebenso wie mit der Politik im Austausch sei, sagte Kloepfer. Einen politischen Workshop soll es 2026 geben.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: