Bundestag beschließt Digitalisierungsgesetz für das Gesundheitswesen

Berlin – Der Bundestag hat heute abschließend über den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf für das nicht im Bundesrat zustimmungspflichtige Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) beraten. Der Gesetzentwurf wurde mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Grünen und Die Linke sowie bei Enthaltung von AfD und FDP angenommen.
Die wichtigsten Regelungen: Mit dem Gesetz sollen gesetzlich Versicherte künftig Gesundheits-Apps auf Rezept beziehungsweise Verordnung erhalten, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zuvor auf Funktion, Qualität, und Datensicherheit geprüft hat.
Die Telematikinfrastruktur (TI) als Datenautobahn für das Gesundheitswesen wird weiter ausgebaut. So werden Apotheken und Krankenhäuser verpflichtet, sich an die TI anzuschließen. Hebammen und Physiotherapeuten sowie Pflege- und Rehabilitationseinrichtungen sollen sich freiwillig anbinden können. Die Kosten dafür werden ihnen erstattet.
Ärzte, die sich weiterhin nicht an das sichere Datennetz anschließen wollen, werden mit einem Honorarabzug von 2,5 Prozent ab dem 1. März 2020 sanktioniert. Krankenkassen können die Entwicklung digitaler Innovationen fördern.
In einem Forschungsdatenzentrum sollen künftig die bei den Krankenkassen vorliegenden Abrechnungsdaten pseudonymisiert zusammengefasst und der Forschung auf Antrag anonymisiert zugänglich gemacht werden.
Zudem sollen offene und standardisierte Schnittstellen geschaffen werden, sodass vorhandene IT-Systeme im Gesundheitswesen interoperabel werden und Informationen künftig schneller und auf Basis internationaler Standards ausgetauscht werden können. Die Selbstverwaltung erhält den Auftrag, in einer IT-Sicherheitsrichtlinie Sicherheitsstandards verbindlich festzulegen.
Apps auf Rezept als Weltneuheit
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verteidigte seine Gesetzespläne zur Digitalisierung heute noch einmal. „Wir wollen jetzt Geschwindigkeit machen, um unser Gesundheitswesen fit zu machen für die digitale Zukunft“, betonte er. Dabei gehe es darum, die Versorgung von Patienten in Deutschland konkret im Alltag durch bessere Information und durch bessere Kommunikation zu verbessern.
„Wir beschließen heute hier eine Weltneuheit“, betonte der Minister. Deutschland werde das erste Land auf der Welt sein, das das „Wildwest“ bei den Gesundheits-Apps beende und in dem die Krankenkassen Apps mit einem Mehrwert oder Zusatznutzen auch finanzieren werden. Hierfür seien auch das erste Mal Maßstäbe festzulegen, „wie man überhaupt einen Mehrwert, einen Zusatznutzen von digitalen Gesundheitsanwendungen misst“, sagte Spahn. Das sei ein Stück Neuland.
Spahn verteidigte auch erneut die geplante Weitergabe von Gesundheitsdaten der gesetzlich Versicherten an ein Forschungsdatenzentrum. „Gesundheitsdaten sind die sensibelsten Daten, die es gibt, und deshalb braucht es Datenschutz und Datensicherheit auf höchstem Niveau“, betonte er. Zudem gehe es auch darum, für Deutschland und Europa ein eigenes Modell von Patientensouveränität und von Datenschutz und Datensicherheit zu entwickeln und selbst zu gestalten, in Abgrenzung etwa zu Entwicklungen in China oder den USA.
Das Verfahren, dass für die Versorgungsforschung genutzt werden solle, gebe es zudem bereits seit 15 Jahren, betonte Spahn. Im Jahr 2004 habe die rot-grüne Regierung eingeführt, dass Abrechnungsdaten der Patienten, das heißt Daten, die ohnehin, etwa für den Risikostrukturausgleich der Kassen, verarbeitet werden, auch für Forschungszwecke genutzt werden. Jetzt werde ermöglicht, diese Daten schneller, in größerem Umfang und in besserer Qualität zu nutzen. Ziel sei es, Gesundheitsforschung zu verbessern, um für Patienten mit chronischen Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Krebs neue Erkenntnisse zu Therapiemöglichkeiten zu gewinnen.
In der Diskussion sei vieles vermischt und vermengt worden, sekundierte die Abgeordnete Sabine Dittmar (SPD). „Als Ärztin weiß ich, wie immens wichtig der effektive Schutz der persönlichen Gesundheitsdaten ist. Als Ärztin weiß ich aber auch um die Lücken und Defizite der derzeitigen Versorgungsforschung. Eine gute Datenlage zur Versorgungsrealität nützt jedem Einzelnen von uns“, betonte sie. Durch das Gesetz werde die schon existente Versorgungsforschung endlich deutlich effizienter.
Stellungnahmen aus Politik und Verbänden vor der Beratung
Karin Maag, gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, erklärte: „Wenn wir Digitalisierung gestalten und die Versorgung weiter verbessern wollen, müssen wir die Nutzung von Daten zu Forschungszwecken ermöglichen. Den Kreis der Nutzungsberechtigten – ausschließlich öffentliche Stellen und Universitätskliniken – sowie den Verwendungszweck haben wir sorgfältig festgelegt.“ Dabei sei die Datensicherheit zentral: So würden keine Klardaten, die eine Identifizierung des Versicherten ermöglichen, zu Forschungszwecken verwendet werden.
Trotz der vorgesehenen Pseudonymisierung gibt es weiterhin große datenschutzrechtliche Bedenken. So hat sich der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber für eine Widerspruchsmöglichkeit gegen die Verwendung der eigenen Daten ausgesprochen, die im jetzigen Gesetz nicht vorgesehen ist.
Ähnlich kritisch äußerte sich der Ethiker Peter Dabrock. Zwar unterstütze er die Digitalisierung des Gesundheitswesens, auch könne die Auswertung von Gesundheitsdaten massive Fortschritte für Patienten bringen, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur.
Er bedauere aber, dass Spahn das Recht der Patienten auf Datensouveränität und informierte Einwilligung nicht ernst nehme. Das sei bedenklich. Das Projekt der Nutzung von Gesundheitsdaten sei komplett an der Bevölkerung vorbei geplant und verwirklicht worden. Die Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) verlangt ebenfalls ein Widerspruchsrecht der Patienten auch bei der Nutzung pseudonymisierter Daten.
Der Paritätische Gesamtverband hat ebenso vor den Möglichkeiten des massiven Datenmissbrauchs gewarnt. „Große Datenbanken mit hochsensiblen persönlichen Gesundheitsdaten sind eine Einladung an Hacker und Datendiebe", konstatierte Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Verbandes. Patienten müssten einer Nutzung ihrer Daten für Forschungszwecke auch widersprechen können. Der Gesetzgeber habe die informationelle Selbstbestimmung mit Blick auf Gesundheitsdaten zu wahren, forderte Rosenbrock.
Der AOK-Bundesverband hat insbesondere begrüßt, dass durch einen Änderungsantrag eine verordnungsfähige digitale Gesundheitsanwendung jetzt einen medizinischen Nutzen oder eine patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserung in der Versorgung nachweisen muss. Zuvor war nur von nicht weiter definierten positiven Versorgungseffekten die Rede gewesen.
„Nicht nur für verordnete Arzneimittel, sondern auch für Apps auf Rezept müssen die Grundsätze der evidenzbasierten Medizin gelten“, betonte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Wenn die Krankenkassen künftig Medizin-Apps erstatten sollten, müssten diese einen nachgewiesenen Nutzen für Patienten haben. Insofern sei es gut, dass der Gesetzgeber dies klargestellt hat.
Negativ bewertet der AOK-Bundesverband, dass eine Krankenkasse für das Angebot einer digitalen Gesundheitsanwendung eine begründende Diagnose als Voraussetzung benötigt. „Das dürfte für viele niedrigschwellige frühzeitige Angebote, die bereits heute bei Versicherten ankommen und auch bei Ärzten angesehen sind, das Aus bedeuten“, meinte er.
Optimistisch beurteilen Industrieverbände den Gesetzentwurf. Der Industrieverband Bitkom bewertet das DVG als „Durchbruch für die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung“. Die Nutzung pseudonymisierter Gesundheitsdaten werde zu einem medizinischen Fortschritt führen, von dem Millionen Menschen profitieren könnten. „Allerdings wird diese Regelung ihren vollen Nutzen nur entfalten, wenn die Gesundheitsdaten auch für private Forschung sowie für die Hersteller von Medikamenten und Gesundheitsanwendungen verfügbar gemacht werden“, so der Verband.
Mit den im Gesetz geplanten Gesundheits-Apps auf Rezept wird Deutschland in diesem Bereich weltweit zum Vorreiter, meint auch der Bundesverband der Deutschen Industrie. Für eine erfolgreiche Digitalisierung im Gesundheitswesen seien die Nutzungsmöglichkeiten von Gesundheitsdaten entscheidend. „Die größte Gefahr besteht nicht im Datenmissbrauch, sondern darin, Daten gar nicht erst zu nutzen“, so der BDI in seiner Stellungnahme.
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