Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems soll mit strukturellen Anpassungen gesichert werden

Berlin – Das deutsche Gesundheitssystem braucht dringend Strukturreformen. Das betonte heute Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Derzeit leiste man sich das „teuerste System in Europa“, bei „zum Teil mittelmäßiger Qualität“. Über viele Jahre sei es nicht ausreichend gelungen, entsprechende Reformen umzusetzen, so Lauterbach.
Nur wenn das System „besser und moderner“ werde, habe man auch die Möglichkeit, die Versorgung der Baby-Boomer-Generation abzubilden. Nutze man die kommenden Monate nicht zur Umsetzung struktureller Anpassungen, bleibe es bei einem teuren Gesundheitssystem „mit vielen Ineffizienzen und auch mit vielen Ungerechtigkeiten“ – man sei aber dabei, gute Arbeit zu leisten. Lauterbach verwies dazu unter anderem auf die geplante Krankenhausreform. Diese werde die Versorgung „effizienter, besser und planbarer“ machen.
„Wir brauchen eine andere Art und Weise, wie wir Hausärzte und Fachärzte honorieren“, sagte der Minister mit Blick auf den ambulanten Sektor. Die Honorierung sei derzeit oft so aufgebaut, dass beispielsweise auch Patientinnen und Patienten in die Praxen einbestellt werden müssten, bei denen es medizinisch nicht unbedingt notwendig wäre.
Einen Umbau der Vergütungssystematik – allerdings nur für hausärztliche Leistungen – hatte Lauterbach bereits vorgestern angekündigt. Mit dem bereits wiederholt angekündigten Versorgungsstärkungsgesetz I sollen demzufolge neben einer Entbudgetierung für hausärztliche Praxen auch jahresbezogene Versorgungspauschalen für chronisch erkrankte Patienten eingeführt werden. Letztere sollen den derzeit regeltechnisch erzwungenen Quartalsbezug überwinden helfen.
Zudem, so Lauterbach, brauche es eine Apothekenreform. Aktuell gebe es auf dem Land ein Apothekensterben – weshalb unter anderem die „Telepharmazie“ kommen müsse. Er wies auch auf „weitere wichtige Digitalgesetze“ hin. 2025 werde „endlich“ die elektronische Patientenakte (ePA) umgesetzt.
Zur Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hieß es heute aus BMG-nahen Kreisen, die Wahrscheinlichkeit, zusätzliche Steuermittel für die GKV zur Verfügung stellen zu können, sei aufgrund der Haushaltsprobleme des Bundes „extrem gering“. Leistungskürzungen solle es aber, wie bereits mehrfach auch vom Bundesgesundheitsminister betont, nicht geben.
In einem dem Deutschen Ärzteblatt vorliegenden Papier mit Empfehlungen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) für eine stabile GKV-Finanzierung wird darauf hingewiesen, dass das 2022 beschlossene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz das „erste echte Kostendämpfungsgesetz seit über eine Dekade“ gewesen sei – mit erheblichen Einsparleistungen seitens der Leistungserbringer.
Das Papier ist mit „31. Mai 2023“ datiert – dem Datum zu dem die Bundesregierung sich selbst verpflichtet hatte, ein Finanzierungskonzept vorzulegen. Erst jetzt allerdings wurden die Vorschläge publik.
In den Vorschlägen zählt das Ministerium abgeschlossene wie auch geplante Gesetzesvorhaben auf, die „mittel- bis langfristig die Effizienz und die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessern“ sowie Kosten einsparen sollen, heißt es in dem Papier.
Dazu zähle die geplante Krankenhausreform, die Notfallreform, die Digitalgesetze sowie die Möglichkeiten der Digitalisierung in anderen Bereichen der Gesundheitspolitik sowie die Hybrid-DRG, die seit Anfang des Jahres am Start sind.
Mit dem geplanten Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz soll die GKV durch mehr Präventionsangebote auf längere Sicht entlastet werden. Ähnliches gilt für ein geplantes Gesetz zu den Herz-Kreislauf-Krankheiten, die nach Angaben des BMG im Jahr 2020 Krankheitskosten in Höhe von 56,7 Milliarden Euro verursachten. Mit dem angekündigten Gesetz sollen auch Präventionsangebote gestärkt und damit die Gesundheitskosten längerfristig gesenkt werden.
Um weitere Ausgaben zu senken, sollen die Krankenkassen künftig homöopathische Leistungen nicht mehr als Satzungsleistung anbieten dürfen. Krankenkassen sollen dafür private Zusatzversicherungsverträge vermitteln können. Ebenso sollen die Krankenkassen ihre Verwaltungskosten prüfen und beispielsweise bei der Bildung von Altersrückstellungen „auf das notwendige, durch versicherungsmathematische Gutachten bestätigte, Niveau“ herunterfahren.
Die „Stärkung der Einnahmeseite“, die in dem BMG-Konzept angesprochen wird, zählt die Vorschläge aus dem Koalitionsvertrag auf. Die dauerhafte Anhebung von Bundesmitteln für die GKV soll umgesetzt werden, „sobald es im Lichte der wirtschaftlichen Entwicklung die haushaltspolitischen Rahmenbedingungen zulassen“, heißt es in dem Papier.
Die im Koalitionsvertrag zugesagte Erhöhung der Pauschalen für die Bezieher von Bürgergeld, womit der Staat rund zehn Milliarden Euro an die GKV überweisen würde, solle ebenfalls dann beginnen, „sobald es im Lichte der wirtschaftlichen Entwicklung die haushaltspolitischen Rahmenbedingungen zulassen“. Derzeit sieht es allerdings nicht danach aus.
Aus der Gesundheitspolitik und von den Krankenkassen gab es unterschiedliche Reaktionen. So setzt Maria Klein-Schmeink, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, darauf, dass die im Koalitionsvertrag zugesagten Dynamisierungen für Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld nun umgesetzt werden.
Das sei nur eine faire Gegenleistung für die von den Krankenkassen übernommenen originär staatlichen Aufgaben. „Wir gehen davon aus, dass Bundeskanzler Olaf Scholz und die Bundesregierung dieses Anliegen unterstützen“, erklärte sie in einer Mitteilung.
„Die starken Beitragssteigerungen bei etlichen mitgliederstarken Krankenkassen zu Beginn des Jahres 2024 zeigen, dass auch nach dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz weiter großer Bedarf für effizienzsteigernde Strukturreformen sowie eine nachhaltige Verbesserung der Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung besteht“, so Klein-Schmeink weiter. Zum Jahresbeginn hatten vor allem die Barmer und die AOK Nordost die Beiträge deutlich erhöht.
Auch andere Gesundheitspolitiker aus der Ampelkoalition fordern die Umsetzung des Koalitionsvertrages: „Wir werden unsere Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag wie die Dynamisierung des Bundeszuschusses und die Erhöhung der Zuschüsse für Bürgergeldempfangende umsetzen, natürlich stets mit Blick auf die Spielräume, die uns die Haushaltslage lässt“, sagte der stellvertretender gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Christos Pantazis.
In Kassenkreisen war man irritiert über die heutige Veröffentlichung der Vorschläge: „Enttäuschend, aber leider auch wenig überraschend ist, dass das Papier nichts Neues enthält“, erklärte Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V.
„Statt solider, innovativer Vorschläge werden im Eckpunktepapier in Bezug auf die Ausgabenproblematik Marginalien angekündigt, aber keine Aussagen zu den noch in den geplanten Gesetzen schlummernden Risiken gemacht“, so Hohnl weiter. „Darüber hinaus werden Koalitionsversprechen mit dem Verweis auf die wirtschaftliche Haushaltslage verschoben – wohl in die nächste Legislatur. Eine nachhaltige Finanzierungsreform sieht anders aus.“
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