Lebensmittelkonzerne planen Nährwertampel, die selbst bei Nutella nicht Rot anzeigt

Berlin – Nach jahrelanger Gegenwehr wollen sechs große Lebensmittelkonzerne jetzt eine eigene EU-weite Nährwertampel einführen. Das unter anderem von Nestlé und Coca-Cola vorgeschlagene System soll den Gehalt der wichtigsten Nährwerte in Ampelfarben auf der Vorderseite der Verpackung zeigen. Jedoch würde diese Ampel selbst bei Süßigkeiten wie Nutella, das zu rund 90 Prozent aus Zucker und Fett besteht, oder fettig-salzigen Snacks wie Tuc-Crackern nicht auf Rot springen. Zu diesem Ergebnis kommt foodwatch bei einem Ampel-Vergleichstest.
Die Verbraucherorganisation hat die Pläne der Lebensmittelkonzerne daher scharf kritisiert. Die Kriterien seien lasch und irreführend. „Was für ein fieses Lobbymanöver: Nestlé, Coke und Co. kapern die eigentlich sinnvolle Idee einer verbraucherfreundlichen Nährwertkennzeichnung und führen sie mit ihrer Pseudoampel ad absurdum: Anstatt Zuckerbomben und fettige Snacks zu entlarven, lässt die Industrieampel die Produkte gesünder aussehen, als sie es in Wahrheit sind. Das darf nicht zum europäischen Standard werden“, sagt Oliver Huizinga, Leiter Recherche und Kampagnen bei foodwatch.
Die Lebensmittelkonzerne Coca-Cola, Mars, Mondelez, Nestlé, PepsiCo und Unilever hatten kürzlich ihre genauen Pläne für eine eigene Nährwertampel vorgestellt. Im Gegensatz zu dem erstmals 2007 von der britischen Lebensmittelbehörde FSA konzipierten Original-Ampelsystem zeigt die Industriekennzeichnung allerdings deutlich weniger rote Ampeln. Mit dem System der FSA bekäme Nutella hingegen drei rote Ampeln, die auf einen hohen Gehalt an Fett, gesättigten Fettsäuren und Zucker hinweisen. Auch Tuc-Cracker des Herstellers Mondelez hätten mit dem Industriemodell statt zwei überhaupt keine rote Ampel. Ähnlich bei den Nesquik-Frühstücksflocken von Nestlé: Auch hier würde durch das Modell der Lebensmittelkonzerne die rote Ampel für den hohen Zuckergehalt verschwinden.
Industrieampel rechnet mit Portionsgrößen statt einheitlich 100 Gramm
Grund für die geringere Anzahl roter Ampeln ist ein Trick: Die Originalampel der FSA berechnet die Ampelfarbe auf Grundlage von einheitlich 100 Gramm. Sie springt zum Beispiel beim Zuckergehalt auf Rot, sobald ein Produkt mehr als 15 Prozent Zucker enthält. Im Gegensatz dazu berechnet die Industrieampel die Farbgebung auf Basis von Portionsgrößen.
Bei allen Portionen bis zu 60 Gramm zeigt die Industrieampel erst dann Rot, wenn mehr als 13,5 Gramm Zucker in einer Portion enthalten sind. Bei Frühstücksflocken mit einer 40-Gramm-Portion ist dies erst bei einem Zuckergehalt von mehr als 33,7 Prozent der Fall. Bei dem Industriemodell muss also in Frühstücksflocken mehr als doppelt so viel Zucker enthalten sein wie beim Originalmodell, bevor die Ampel auf Rot springt. Ein süßer Brotaufstrich wie Nutella mit einer vorgesehenen Portionsgröße von 15 Gramm müsste demnach zu mehr als 90 Prozent aus Zucker bestehen, damit die Ampel Rot zeigt.
Noch im Jahr 2010 verhinderte die Lebensmittelwirtschaft infolge einer Lobbykampagne erfolgreich eine EU-weit verbindliche Ampelkennzeichnung für den Nährwertgehalt bei verarbeiteten Lebensmitteln. Ärzteverbände, Krankenkassen und Verbraucherorganisationen forderten damals die Umsetzung des Modells der britischen FSA: Für jedes Produkt sollte der Gehalt an den wichtigsten Nährwerten (Fett, gesättigte Fettsäuren, Zucker und Salz) in absoluten Grammzahlen angegeben werden – und zwar einheitlich pro 100 Gramm beziehungsweise 100 Milliliter.
Zur Orientierung sollte jeder dieser vier Werte mit einer der bekannten Signalfarben Rot, Gelb und Grün hinterlegt werden. Die Industrie entwarf hingegen für die Verpackungsvorderseite ein eigenes, sogenanntes GDA-Modell (Guideline Daily Amounts), das oft auf unrealistisch kleinen Portionsgrößen basiert und in Prozentangaben Anteile am selbstgewählten „Richtwert für die Tageszufuhr“ für verschiedene Nährwerte angibt. Das Europäische Parlament stimmte 2010 gegen die Einführung der Ampelkennzeichnung und übernahm das GDA-Modell der Industrie.
Mittlerweile haben jedoch zwei EU-Länder, Frankreich und Großbritannien, eine farbige Nährwertkennzeichnung auf freiwilliger Basis eingeführt. Nach Meinung von foodwatch steht die Lebensmittelwirtschaft massiv unter Druck, da immer mehr Regierungen Lebensmittelfirmen mit gesetzlichen Vorgaben in die Pflicht nehmen.
„Dass die großen Konzerne nun eine Pseudoampel aus dem Boden stampfen, ist der dreiste Versuch, eine wirklich verbraucherfreundliche Nährwertkennzeichnung zu verhindern. Mit ihrer neuen Initiative präsentieren sich die Lebensmittelriesen als Teil der Lösung – doch in Wahrheit sind sie Kern des Problems“, erklärte Oliver Huizinga von foodwatch.
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