Politik

Prozess wegen unerlaubter Werbung für Schwanger­schaftsabbrüche löst Reformdebatte aus

  • Montag, 27. November 2017
Die Ärztin Kristina Hänel (rechts) unterhält sich in einem Verhandlungssaal im Amtsgericht in Gießen (Hessen) mit ihrer Anwältin Monika Frommel. /dpa
Die Ärztin Kristina Hänel (rechts) unterhält sich in einem Verhandlungssaal im Amtsgericht in Gießen (Hessen) mit ihrer Anwältin Monika Frommel. /dpa

Berlin/Gießen – Der Prozess gegen eine hessische Ärztin wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche hat eine Diskussion über Gesetzesänderungen ausgelöst. Das Amtsgericht Gießen hatte die Medizinerin zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. In dem Prozess musste sie sich verantworten, weil sie laut Anklage 2015 auf ihrer Internetseite eine Datei bereitgestellt hatte, in der allgemeine Informa­tionen über Abtreibungen mit dem Hinweis auf entsprechende Dienste in ihrer Praxis verbunden wurden.

Laut Paragraf 219a Strafgesetzbuch (StGB) ist gewinnorientierte Werbung für Abtrei­bungen verboten. Das Amtsgericht wertete den Sachverhalt als unerlaubte Werbung. Die Anwältin der Ärztin kündigte Rechtsmittel gegen die Entscheidung an. Das Urteil basiere auf einem „Irrtum“. Das Gericht habe nicht zwischen Werbung und Information unterschieden.

Während Abtreibungsgegner das Urteil begrüßten, kritisierten Juristen- und Frauen­verbände den Vorgang. Vertreter von SPD, Grünen, FDP und Linken kündigten unter­dessen Vorstöße zur Abschaffung oder Reform des Paragrafen 219a StGB an. Die SPD-Bundestagsfraktion forderte eine schnelle Streichung des Paragrafen mit dem Werbe­verbot. Es schaffe in der ärztlichen Praxis große Unsicherheit, sagte Vizechefin Eva Högl den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Ihre Fraktion werde „schnell die Initiative ergreifen“.

Die FDP-Bundestagsfraktion sprach sich für Änderungen aus. In jetziger Form sei die Regelung „nicht mehr zeitgemäß“, erklärte Vizechef Stephan Thomae. Offensives Werben für Abtreibungen müsse aber verboten bleiben. Die Grünen-Bundestags­abgeordnete Ulle Schauws erklärte, eine Streichung oder Änderung sei „überfällig“. Da Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland legal seien, müssten Ärzte darauf hinwei­sen dürfen, dass sie diese vornehmen. Die Linke im hessischen Landtag forderte die Abschaffung „aller Antiabtreibungsgesetze“.

Die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen fordert den Gesetzgeber in einer einstimmig verabschiedeten Resolution dazu auf, den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches im Sinne der gesetzlich festgelegten Patientenrechte und der Rechte von Ärzten so zu überarbeiten, dass eine sachgerechte Information nicht mehr unter Strafe gestellt wird.

Zuvor hatte sich der Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää) bestürzt über das Urteil gezeigt. Bernhard Winter, einer der vdää-Vorsitzenden, sprach von einem „Anachronismus“. Die Regelung entspreche nicht mehr den gesellschaftlichen Gegebenheiten. Schwangere Frauen in einer Notlage benötigten neutrale qualifizierte Informationen zum Schwangerschaftsabbruch. Ärzte dürfen nicht kriminalisiert werden, weil sie ihrer Aufklärungspflicht Patientinnen gegenüber nachkommen, sagte er.

Juristen forderten in einem Appell ebenfalls die Abschaffung des Paragrafen 219a. Patienten seien darauf angewiesen, dass Ärzte über ihr Leistungsspektrum informieren dürften, hieß es in dem Aufruf der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen, des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins und der Internationalen Liga für Menschenrechte.

Für die Zulassung als Ärztin hat die Verurteilung aller Voraussicht nach keinerlei Konsequenzen. „Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“ sei „der Verlust der Approbation nicht wahrscheinlich“, erklärte das zuständige Regierungspräsidium in Gießen. Gleich­wohl werde bei jeder strafrechtlichen Verurteilung eines Arztes geprüft, ob ein appro­ba­tionsrechtliches Verfahren einzuleiten sei. „Im konkreten Fall bleibt noch das Urteil abzuwarten und auszuwerten“, erläuterte ein Sprecher des Regierungspräsidiums. „Nach den bisher vorliegenden Informationen liegt allerdings keine Patienten­gefähr­dung vor, ebenso wenig ein Abrechnungsbetrug.“ Diese Punkte sind neben dem Strafmaß – im konkreten Fall 40 Tagessätze – aus Sicht der Behörde die relevanten Punkte.

afp/dpa/may

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