Tausende Krankenhausbeschäftigte fordern schnelle Finanzspritze vom Bund

Berlin – Tausende Krankenhausbeschäftigte haben heute in zahlreichen deutschen Städten auf die oftmals schwierige finanzielle Lage der Krankenhäuser hingewiesen. Die Protestierenden äußerten ihren Unmut mit Trillerpfeifen und lauten Rufen: „Alarmstufe Rot“.
Bei Kundgebungen in Berlin, Stuttgart, Mainz, Hannover, Düsseldorf, Frankfurt oder Saarbrücken, forderten sie kurzfristige finanzielle Hilfen in Form eines Inflationsausgleiches sowie eine vollständige Refinanzierung der Tariferhöhungen durch die Bundesregierung.
Der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zufolge protestierten in Deutschland insgesamt mehr als 30.000 Menschen. Bei einem ähnlichen Protesttag im Juni hatten sich ebenfalls bundesweit viele Klinikbeschäftigte versammelt, um für finanzielle Hilfen zu demonstrieren.
Hintergrund ist, dass dem Krankenhaus Rating Report ein Drittel der Krankenhäuser im Jahr 2021 rote Zahlen schrieb. Elf Prozent verzeichneten zudem eine erhöhte Insolvenzgefahr. Diese Zahlen dürften sich aktuell noch verschärft haben. Im ersten Halbjahr 2023 haben der DKG zufolge 50 Klinikstandorte Insolvenz angemeldet.
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, rief die Politik vor dem Brandenburger Tor auf, die Krankenhäuser nicht im Regen stehen zu lassen. Politik müsse endlich Verantwortung übernehmen, so Gaß.
Er betonte, dass die Proteste sich nicht gegen die geplante Krankenhausreform richten würden, sondern vor einem kalten Strukturwandel warnten, der bestehende Strukturen zerstöre. Stattdessen brauche es einen geordneten Prozess, in dem Standortfusionen genau geplant werden. Für diesen brauche es aber gesonderte Finanzierungen, forderte Gaß.
Er erhofft sich durch die Proteste ein Einlenken der Regierung und Parlamentarier, da der Bundestag die Energiehilfen für Krankenhäuser Ende 2022 aufgrund gestiegener Gas- und Strompreise auch erst nach Protesten ermöglicht hatte.
Krankenhäuser haben insgesamt Schulden von zehn Milliarden Euro
„Der Bedarf nach wirtschaftlicher Sicherung der Krankenhäuser eint uns alle“, rief Marc Schreiner, Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) bei der Kundgebung auf dem Pariser Platz.
Krankenhäuser hätten enorme Schulden, bundesweit sei ein Defizit von rund zehn Milliarden Euro aufgelaufen, so Schreiner. Deshalb brauche es kurzfristig zwei politische Hilfen. Er forderte eine Erhöhung des Landesbasisfallwertes für dieses Jahr um vier Prozent. Zudem brauche es eine Refinanzierung der Löhne, so Schreiner.
Der Präsident der Ärztekammer Berlin, Peter Bobbert, rief den politischen Entscheidungsträgern in der Bundesregierung, des Bundesgesundheitsministeriums sowie der Regierungskommission Krankenhaus entgegen, dass sie die Krankenhäuser retten müssten, wenn sie eine funktionierende Gesundheitsversorgung erhalten wollen.
Auch er forderte einen Inflationsausgleich sowie faire Löhne für Fachkräfte. Zudem wies er auf fehlende Maßnahmen zur Entbürokratisierung hin. Zwar werde oft über das Thema gesprochen, allerdings liege noch kein einziger konkreter Vorschlag zur Entbürokratisierung und damit Entlastung der Mitarbeitenden in den Krankenhäusern vor, bemängelte Bobbert.
Der Bundestagsabgeordnete Sepp Müller (CDU) sprach ebenfalls vor dem Brandenburger Tor und forderte die Ampelregierung auf, ein Vorschaltgesetz zur Krankenhausreform zu ermöglichen. Von den Energiehilfen seien noch 3,5 Milliarden Euro übrig, so Müller. „Herr Lauterbach, geben Sie das Geld frei“, forderte er in Richtung des Bundesgesundheitsministers. Einen entsprechenden Antrag will die CDU/CSU morgen in den Bundestag einbringen.
Fehlende Anleitung in der Weiterbildung
Eine junge Ärztin in Weiterbildung, Anna Becher aus Bremen, kritisierte die fehlenden Personalressourcen, die zulasten der jungen Ärztinnen und Ärzten, aber auch angehenden Pflegekräften gehe. Es mangele überall an Zeit, um den angehenden Medizinerinnen und Pflegern Wissen zu Behandlungen und Patientenversorgung zu vermitteln. Stattdessen übernähmen diese oftmals bürokratische Aufgaben. Becher betonte, sie mache sich deshalb Sorgen um die zukünftige Versorgung in rund zehn bis 15 Jahren. Dann werde viel Wissen und Fähigkeiten verloren gegangen sein.
Andrea Lemke, Pflegedirektorin im Evangelischen Waldkrankenhaus Spandau, wünscht sich von der Politik eine „ordnende Hand“ und keine leeren Versprechungen mehr. Die Krankenhausversorgung funktioniere mit den derzeitigen Strukturen nicht.
Auch Lemke kritisierte insbesondere den Bürokratieaufwand, der sich durch die geplante Krankenhausreform wohl noch weiter erhöhen werde. Zusammen mit dem Personalmangel führe dies zu einer immer schlechter werdenden Versorgung. Die Pflegedirektorin appellierte an die Politik, die Patientinnen und Patienten davor zu bewahren und forderte einen ehrlichen Dialog mit dem Gesundheitspersonal, welches sie als „wahre“ Expertenrunde bezeichnete.
Vor bereits heute langen Wegen zur Geburtsklinik und einer künftigen Verschärfung dieser Versorgungssituation aufgrund von weiteren Standortschließungen, warnte zudem Andrea Ramsell, Hebamme und Beirätin im Deutschen Hebammenverband. In Deutschland sei die Versorgungsstruktur in der Geburtshilfe Ramsell zufolge nicht ausreichend. Von der Politik fordert sie eine belastbare Versorgungsplanung und grundlegende Veränderungen in den Strukturen, damit jeder Patient so behandelt werden könne, wie er es verdient habe. Insbesondere Familien sollten ein Recht darauf haben, eine respektvolle Geburt zu erfahren.
Proteste auch in Düsseldorf und Hannover
In Düsseldorf warnte der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Johannes Albert Gehle: „Es brennt lichterloh!“ Wenn sich nicht schnell etwas ändere, sei die Patientenversorgung in Gefahr, so Gehle. Der bestehende Fachkräftemangel führe zu Versorgungsproblemen. Auch er forderte einen Ausgleich der Tarifsteigerungen für alle Berufsgruppen. Zudem pochte er auf eine Abschaffung der Finanzierungsgrundlage der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG).
Bei einer Kundgebung in Hannover nahm unter anderem der niedersächsische Gesundheitsminister, Andreas Philippi (SPD) teil. Er sprach die geplante Krankenhausreform an, allerdings werde die Umstellung der Finanzierung auf Vorhaltepauschalen erst in den Jahren 2025/2026 erfolgen.
„Aktuell steht vielen Kliniken das Wasser bis zum Hals“, so Philippi. Aufgrund der steigenden Betriebskosten sei für eine entsprechende Finanzierung der Bund zuständig. „Wir brauchen daher dringend ein Vorschaltgesetz, um die Liquidität insolvenzgefährdeter Kliniken kurzfristig sicherzustellen. Eine finanzielle Sicherung, die der Krankenhausreform vorgeschaltet wird, damit die meisten Krankenhäuser die geplante Reform überhaupt noch erleben“, forderte Philippi.
In Sachsen-Anhalt hat die dortige Krankenhausgesellschaft der Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) einen offenen Brief übergeben, der auf die finanzielle Not hinweist. „Es wird Kliniken geben, die schon das kommende Jahr nicht mehr erleben, weil die Geschäftsführungen wegen negativer Fortführungsprognosen in den Jahresabschlüssen gezwungen sind, einen Antrag auf Insolvenz zu stellen“, heißt es in einem Brief. Die SPD-Politikerin sagte ihre Unterstützung zu und wies darauf hin, dass der Bund die Liquidität der Krankenhäuser sichern müsse.
„Drei Viertel der Krankenhäuser im Land werden nach derzeitigem Stand im Jahr 2023 rote Zahlen schreiben“, mahnt der Vorstandsvorsitzende der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), Heiner Scheffold. Nehme man die Jahre 2022 und 2023 zusammen, summiere sich die Inflation auf voraussichtlich 13 Prozent. Die Vergütungen der Krankenhäuser seien im gleichen Zeitraum aber nur um 6,6 Prozent gestiegen.
„Einmalzahlungen der Bundesregierung haben zwar geholfen. Sie waren aber zu niedrig und sie fallen in 2024 weg, obwohl das Kostenniveau dauerhaft gestiegen ist. Die Kliniken werden mit immer größeren Löchern in ihren Bilanzen allein gelassen“, sagte Scheffold.
Weitere Krankenhausverbände, darunter viele Krankenhausgesellschaften der Bundesländer und der Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK) oder der Katholische Krankenhausverband (kkvd), stellten sich hinter die Proteste und forderten die Bundesregierung ebenfalls zum schnellen Handeln auf.
Auch der Marburger Bund (MB) unterstützt die Proteste. Susanne Johna, erste MB-Vorsitzende, betonte, dass Strukturveränderungen das Ergebnis von Krankenhausplanung in den Ländern sein müsse und nicht Zufallsprodukt einer ungesteuerten Marktbereinigung.
„Wir können es uns einfach nicht leisten, dass Krankenhäuser vom Netz gehen, die für die Sicherstellung der Versorgung gebraucht werden. Krankenhäuser, das Personal und vor allem die Patienten brauchen Planungssicherheit – diese Maxime muss Richtschnur für alle Reformen sein, die auf den Weg gebracht werden“, so Johna.
Bund unterstützt bereits mit Milliarden
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte heute im ZDF-„Morgenmagazin“, dass der Bund die Krankenhäuser durch Coronahilfen, Energiehilfen und Finanzierung der Pflegekosten bereits mit Milliarden Euro unterstütze. Zudem stünden noch 2,5 Milliarden Euro an Hilfen aus, die bis zum Frühjahr 2024 ausgezahlt werden sollen.
Damit meint er die Energiehilfen für die Krankenhäuser aufgrund der gestiegenen Energie- und Strompreise an. Zudem stellt der Bund für die Bereiche Pädiatrie und Geburtshilfe für dieses und kommendes Jahr zusätzlich jeweils Mittel in Höhe von 300 Millionen Euro, beziehungsweise 120 Millionen Euro bereit.
Die Bundesländer hingegen kämen seit zehn Jahren ihrer Verpflichtung der angemessenen Finanzierung der Investitionskosten nicht mehr nach, kritisierte Lauterbach. Er verwies zudem auf die überdurchschnittlich hohe Krankenhausdichte in Europa. Selbst wenn 50 Krankenhäuser schließen müssten, sei Deutschland hinsichtlich der Krankenhausanzahl deutlich besser versorgt als jedes andere europäische Land, so der Minister.
Der Bundestagsabgeordnete und Berichterstatter für Krankenhauspolitik, Armin Grau (Grüne), zeigte Verständnis für den Unmut vieler Krankenhäuser in Deutschland und ihre Sorge angesichts der oft angespannten wirtschaftlichen Situation. „Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass sowohl die finanziellen Mittel des Gesundheitsetats im Bund als auch die GKV-Finanzen limitiert sind.“
Grau wies auf die bereits bereitgestellten sechs Milliarden Euro zur Kompensation von Energiekostensteigerungen und etwa 22 Milliarden Euro für Corona-Unterstützungen hin. „Wir behalten die wirtschaftliche Situation der Kliniken weiter fest im Blick“. Gegebenenfalls müsse über weitere Unterstützungen nachgedacht werden“, betonte Grau.
„Perspektivisch bleibt besonders wichtig, dass wir gemeinsam mit den Ländern die Krankenhausreform auf die Schiene bekommen“, sagte Grau. Das entschärfe den wirtschaftlichen Druck auf die Kliniken mittelfristig am meisten. Zudem könne es nicht sein, dass die Länder gegen die Reform opponieren, ihrem Auftrag der Investitionsfinanzierung unzureichend nachkommen, aber zeitgleich Unterstützung für die Krankenhäuser durch den Bund fordern. „Das passt nicht zusammen“, betonte Grau.
Ähnlich zeigte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Andrew Ullmann, Verständnis für die Proteste. Allerdings sei die Richtung „vollkommen daneben“. „Statt die Bundesländer als verantwortliche anzuzählen und zum Handeln aufzufordern, polemisiert man gegen den Bund. Dabei hatte der Bundesrechnungshof zurecht die systemwidrigen Zahlungen des Bundes an die Krankenhäuser während der Pandemie kritisiert“, so Ullmann. Auch die Versorgungsaufschläge für Sonderbelastungen in Krankenhäusern, die Beiträge zum Krankenhauszukunftsfonds und auch die Ausgleiche für höhere Energiekosten sei nicht die genuine Aufgabe des Bundes.
„Es kann nicht angehen, dass der Bund zum rechtswidrigen Zahlmeister für die Krankenhäuser wird. Wer die Verantwortung für die Krankenhäuser hat, der muss sich auch um eine sachgerechte Krankenhausplanung kümmern, der muss sich um die Investitionen kümmern, der kann nicht immer nach Geld vom Bund rufen, um die eigene Unfähigkeit zu vertuschen“, so Ullmann. Stattdessen wäre es wichtig, dass Bund und Länder die Krankenhausstrukturreform konstruktiv und rasch voranbringen, forderte er.
Der bayerische Gesundheitsminister, Klaus Holetschek (CSU), hingegen sieht die Verantwortung der auskömmlichen Finanzierung ausschließlich beim Bund. Er forderte die Regierung auf, eine „tragfähige Lösung für die dramatische finanzielle Schieflage der Krankenhäuser“ zu erarbeiten.
Kritik gibt es auch von den Linken. „Karl Lauterbach ignoriert das drohende massive Kliniksterben völlig. Er muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er dies gar nicht verhindern will, sondern mutwillig und zufrieden zur Kenntnis nimmt“, erklärt Ates Gürpinar, Sprecher für Krankenhauspolitik der Linksfraktion im Bundestag.
Die Verweigerung notwendiger finanzieller Mittel führe zu unkontrollierten Schließungen. „Diese Krankenhauspolitik mit der Heckenschere wird nicht nur die Versorgung verschlechtern, sondern uns alle noch teuer zu stehen kommen“, so Gürpinar.
Gürpinar nahm unter anderem neben den Bundestagsabgeordneten Tino Sorge (CDU), Diana Stöcker (CDU), Simone Borchardt (CDU), Lars Lindemann (FDP), Emmi Zeulner (CSU) und Gesine Lötzsch (Linke) bei der Kundgebung in Berlin teil.
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