Vermischtes

„Bestimmte Stationen oder Gebäude könnten so heiß werden, dass dort keine Patienten bleiben dürfen“

  • Montag, 3. Juni 2024

Berlin – Beeinträchtigung von Gehirn, Herz und Niere – Hitze hat Einfluss auf fast alle Organsysteme. Mit einem Hitzeaktionstag wollen Vertreter der Ärzteschaft in diesem Jahr zum zweiten Mal auf die gesundheit­lichen Gefahren durch Hitze aufmerksam machen. Der Allgemeinmediziner und stellvertretende Vorsitzende der Allianz für Klimawandel und Gesundheit (Klug), Max Bürck-Gemassmer, berichtet, wie es aktuell um den Hitzeschutz in Deutschen Praxen und Kliniken bestellt ist und welche Lücken es noch gibt.

Max Bürck-Gemassmer, Stellvertretender Vorsitzender KLUG - Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V.
Max Bürck-Gemassmer, Stellvertretender Vorsitzender KLUG - Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. /privat

5 Fragen an Max Bürck-Gemassmer, Stellvertretender Vorsitzender Klug

Was können Ärztinnen und Ärzte für den Hitze- und Klimaschutz tun?
Einer der großen Hebel ist, Verhaltensänderungen bei Patienten hervorzurufen. Dafür sollten wir Ärzte die Co-Benefits kommunizieren: aktive Bewegung, zum Beispiel mit dem Fahrrad, statt mit dem Auto zu fahren, und gesunde Ernährung: pflanzenbasierte Ernährung statt viel Fleisch. Es ist vor allem präventive Arbeit, die gleichzeitig ein enormer Benefit für Gesundheit und Klima ist.

Bei KLUG hatten wir drei Jahre lang ein Projekt zur transformativen Praxis, bei dem ich als Berater tätig war. Wir wollten Praxen darin unterstützen, den eigenen CO2-Fußabdruck ein Stück weit zu reduzieren, sind aber relativ schnell dahin gekommen, dass man auf viele Dinge gar keinen Einfluss hat. Praxen, die in gemieteten Räumen liegen, können beispielsweise nicht einfach die Gebäudestruktur verändern. Gerade in hausärztlichen Praxen spielen die Medikamente eine große Rolle. Wir als Hausärztinnen und -ärzte haben aber keinen direkten Einfluss auf die Lieferketten oder darauf, wo die Medikamente produziert werden.

In Deutschland haben wir das Glück, dass wir noch keine extreme Hitzewelle hatten, verglichen mit Kanada oder mit dem Südwesten der USA. Aber Warnstufe 1 kommt auch in Berlin vor. Und schon bei Warnstufe 1 haben wir eine extreme Belastung des Systems und natürlich auch eine Belastung des Praxisteams. Die Räume werden warm, die Patienten sind erschöpft, man muss Vieles umstrukturieren, muss Patientinnen und Patienten kontaktieren, muss Termine von vulnerablen Patienten verschieben, damit sie nicht für reine Routineuntersuchungen bei brütender Hitze in die Praxis kommen müssen.

Sowohl für Mitarbeitende als auch für Patienten sollte man Getränke bereitstellen. Das muss keine große Sache sein, das Berliner Leitungswasser ist super. Und man muss natürlich auch dem Personal und sich selbst Gelegenheit für Pausen geben und Gelegenheit, sich ein bisschen abzukühlen.

Wie gut sind Praxen oder Kliniken in Deutschland gegen Hitze aufgestellt?
Momentan können wir nicht im ausreichenden Maß kühlen. Bestimmte Stationen oder Gebäude könnten so heiß werden, dass dort keine Patienten bleiben dürfen. Aktuell sind weder Kliniken noch Praxisräume auf starke Hitze vorbereitet.

Die Praxen sind ein Spiegel der Gesellschaft und insofern sind sie Umfragen zufolge keine Vorreiter, was das Bewusstsein für Klimaschutz betrifft. Es gibt eine Umfrage vom Hitzeaktionsplan in Köln von 2023 dazu, wie wir Ärztinnen und Ärzte Beratungen durchführen und das ist leider sehr ernüchternd. Fünf bis zehn Prozent der Teilnehmenden beraten ihre Patienten aktiv, etwa zu Medikamentenanpassungen. Nur wenige haben das Problem Hitze als Gesundheitsgefährdung auch auf dem Schirm.

Wenn man sich ansieht, wie viele ICD-Codes, die im Zusammenhang mit Hitze stehen, wirklich kodiert werden, ist das eine verschwindend geringe Menge. Demnach ist das Bewusstsein noch längst nicht ausreichend vorhanden.

Das wollen wir mit dem Hitzeaktionstag ändern. Am 5. Juni wird es eine zentrale Veranstaltung in Berlin geben. Drumherum finden aber auch viele kleinere Termine statt. Es geht vor allem darum, an dem Ort, an dem man ist, möglichst dezentral aufzuklären und zu überlegen, was man für den Hitzeschutz tun kann. Wenn wir eine massive Hitzewelle kriegen sollten, werden wir da ganz schnell dringlichen Nachholbedarf haben. Wir laufen beim Thema Klimakrise immer der Zeit hinterher.

Vergangenes Jahr gab es den ersten Hitzeaktionstag. Was ist seitdem passiert?
Der letzte Hitzeaktionstag war ein ziemlicher Erfolg. Er hat dazu geführt, dass sich das Bundesgesundheitsministerium der Thematik angenommen hat und dann relativ schnell das Papier zum Hitzeaktionsplan entwickelt wurde. Konkrete Initiativen gab es zum Beispiel von der Ludwig-Maximilians-Universität in München mit Beratungen für Kommunen.

Zudem wurde die Seite www.klima-mensch-gesundheit.de von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit Informationen zum Hitzeschutz entwickelt. Außerdem bringt das Robert-Koch-Institut nun in den Sommermonaten wöchentlich Berichte zu der Zahl der Hitzetoten. Das Bundesgesundheitsministerium hat mehrere Gruppen direkt adressiert und zum Beispiel die Hausärztinnen und Hausärzte als wichtige Player ins Spiel gebracht. Aktuell laufen auch Verhandlungen mit dem Hausärzteverband.

Hausärzte sind die wichtigsten Player in der Peripherie: also wirklich an der Basis, wo wir Patienten erreichen. Sie kennen auch die vulnerablen Gruppen am allerbesten und können diese am ehesten im Zusammenspiel mit dem Pflegebereich und zivilgesellschaftlichen Organisationen erreichen. Seit kurzem gibt es nun auch in Zusammenarbeit mit dem Bundesgesundheitsministerium ein Kommunikationskonzept mit Leitfäden für Risikogruppen, das man auf der Seite hitzeservice.de abrufen kann.

Wie laufen die Verhandlungen mit dem Hausärzteverband?
Es geht darum, eine EBM-Ziffer für die Beratung zum Hitzeschutz zu entwickeln. In Baden-Württemberg gibt es so etwas bereits. Im Hausarztvertrag der AOK Baden-Württemberg wird eine Beratung über die Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und der Gesundheit mit einem Zuschlag von acht Euro auf die Chronikerpauschale vergütet.

Das hat dazu geführt, dass dort circa 2.000 Ärztinnen und Ärzte in klimarelevanter Beratung geschult wurden. Das zeigt, dass auch kleine Anreize sehr hilfreich sind, damit Hitze wirklich auch Thema in den Praxen wird. Bis zu einer EBM-Ziffer ist es allerdings noch ein weiter Weg.

Was sollte die Politik für den Klima- und Hitzeschutz tun?
Was wir bei KLUG machen, sollte eigentlich staatliche Aufgabe sein. Wir bekommen zwar Unterstützung vom Umweltbundesamt und vom Bundesgesundheitsministerium, aber im Grunde braucht es mehr staatliche Gelder oder Mittel aus der gesetzlichen Krankenversicherung, um den Klimaschutz und die klimaresiliente Versorgung effektiv zu machen. Klimaschutz ist eine Sache, die sich massiv bezahlt macht, aber es braucht diese Anfangsinvestitionen.

Hitzeschutz ist eine originär ärztliche Aufgabe. Das ist kein „nice to have“, sondern es ist eine ärztliche Pflicht. Wir sollten uns als Ärztinnen und Ärzte viel mehr einmischen, weil wir die Expertise dazu haben.

Wir müssen aber auch den Mut haben zu sagen, dass wir das nicht alleine tun können und politische Akteure mit ins Boot holen. Wir können individuell Patienten schützen, aber das System wird zusammenbrechen, wenn wir nicht Strukturen schaffen, die das unterstützen. Es gibt einige neuere Studien, die die Dringlichkeit untermauern. Die hitzebedingte Mortalität ist beispielsweise wahrscheinlich höher, wenn man tagesaktuelle und nicht wochenweise Daten nutzt.

mim

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung