Politik

Kritik am Bundesklinikatlas: Zu komplex und teils fehlerhaft

  • Freitag, 24. Mai 2024
/picture alliance, Soeren Stache
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Berlin – Ärztinnen und Ärzte als auch Krankenhäuser äußern deutliche Kritik am Bundesklinikatlas. Er sei nicht laienverständlich und würde Patientinnen und Patienten nicht helfen, die richtige Behandlung für ihre Erkrankung zu finden, so die Kritik. Zudem stelle der Atlas teils fehlerhafte Daten dar. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) versprach ein Update mit Verbesserungen.

Der Bundesklinikatlas ist seit einer Woche online. Er soll Patientinnen und Patienten aber auch Ärztinnen und Ärzte über die Krankenhäuser und ihre Leistungen informieren. Die knapp 1.700 somatischen Krankenhäuser (ohne Kliniken für Psychosomatik und Psychiatrie) werden mit Behandlungszahlen der jeweiligen Erkrankung und Abteilung, Pflegekräften für den gesamten Standort und Pflegepersonalquotienten, Mindestmengen, Notfallstufen sowie ausgewählten Zertifikaten, angezeigt. Eine Erweiterung mit unter anderem Arzt- und Hebammenzahlen sowie Komplikationsraten ist vorgesehen. Das Verzeichnis wird vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) betrieben.

Dem Chefarzt der Klinik für Thoraxchirurgie am AMEOS Klinikum Schönebeck, Steffen Frese, fällt auf, dass der Atlas ungefiltert auf der internationalen Klassifikation von Erkrankungen ICD 10/11 und den OPS-Codes basiere und alle Kliniken nenne, die den Code verwenden, gleichgültig ob für Diagnostik, Therapie, Palliation oder nur als Nebendiagnose. „Dies ist für medizinische Laien unverständlich, da sie nicht wissen können, welche konkreten Behandlungen sie benötigen“, sagte Frese dem Deutschen Ärzteblatt.

Die OPS-Codes seien nicht in sinnvolle Gruppen zusammengefasst, bemängelte Frese. Selbst er als Experte habe es nicht geschafft, mit dem Schlagwort „Lungenkrebs“ eine geeignete Klinik zur operativen Behandlung zu finden. Für Magdeburg und Umgebung zum Beispiel würden 18 Kliniken erscheinen, von denen viele weder eine Thoraxchirurgie noch eine Onkologie oder Radioonkologie besitzen, kritisierte Frese.

Grundsätzlich könnte der Atlas eine Möglichkeit sein, die Qualität und die Leistungen des Versorgungsangebots in psychiatrischen und somatischen Kliniken transparent und vergleichbar darzustellen, betonte er. Initiativen zur Verbesserung der Versorgungsqualität seien zu begrüßen. Den vorliegenden Atlas halte Frese in der jetzigen Form für Patientinnen und Patienten aber für „verwirrend und schädlich“.

Ärzten fehle die Zeit, sich durch komplexe Begriffe zu klicken

Der Atlas richtet sich auch an Ärztinnen und Ärzte, die Krankenhauseinweisungen vornehmen. Der Allgemeinmediziner Nicolas Kahl aus Nürnberg bemängelte, dass der Bundesklinikatlas Operationen und Behandlungen nicht in laienverständlicher Sprache, sondern in komplexen Begriffen darstellt. „Zudem werden die Behandlungen, die häufig gemacht werden, nicht oben angezeigt. Daran erkennt man, dass die Nutzerperspektive nicht an vorderster Front steht“, sagte Kahl dem Deutschen Ärzteblatt. „Kliniken, die bei uns in der Region hohe Operationszahlen haben, habe ich zudem nicht im Atlas wiedergefunden.“

Der Hausarzt Kahl habe nicht die Zeit, die vielen einzelnen komplexen Prozeduren oder Diagnosen durchzugehen, das müsste in seinen Augen besser strukturiert sein. „Wenn der Atlas keine verlässlichen Ergebnisse anzeigt, kann ich es nicht meinen Patientinnen und Patienten weiterempfehlen. So wie das Verzeichnis jetzt aufgebaut ist, bietet es keinen Mehrwert. Da war die Weiße Liste schon besser nutzbar“, sagte Kahl.

Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnt vor der Nutzung des Bundesklinikatlas. „Lauterbachs Klinikatlas erfüllt leider nicht ansatzweise sein Versprechen, mehr Transparenz in der Krankenhausbehandlung zu schaffen“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der DKG, Henriette Neumeyer. „Im Gegenteil, zahlreiche falsche und fehlende Daten leiten Patientinnen und Patienten massiv in die Irre.“ Zum jetzigen Zeitpunkt müsse die DKG den Informationssuchenden raten, den Atlas mit größter Vorsicht zu behandeln, unbedingt Rücksprache mit den behandelnden Ärzten zu halten und auf eine bewährte Plattform zurückzugreifen. „Das Bundesgesundheitsministerium fordern wir auf, Fehler so schnell wie möglich zu korrigieren und den Atlas mit einem Hinweis auf noch zu behebende Fehler zu versehen“, so Neumeyer.

Für den Standort Gehrden der KRH-Kliniken Siloah und Gehrden gebe der Atlas beispielsweise für radikale Prostatektomien eine Fallzahl von vier an. Die Fallzahl betrage eigentlich aber 156, erklärt die DKG. Suche der Laie mit verwandten Suchbegriffen werde das Krankenhaus trotz Spezialisierung nicht einmal in der Ergebnisliste angezeigt. „So macht der Klinikatlas aus einer spezialisierten Klinik mit zahlreichen Qualitätsmerkmalen eine Klinik mit Gelegenheitsversorgung.“

Lauterbach verspricht Updates und Fehlerbeseitigungen

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte heute auf einer Pressekonferenz dazu: „Die Mängel sind uns bekannt.“ Er kündigte ein heutiges Update des Atlas an, die meisten Probleme seien dann behoben. Ein Datensatz wurde ausgetauscht, der manche Eingriffe zusammenfasste und einige Kliniken missverständlich bewertete, ergänzte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf Nachfrage.

„Es gab zum Teil ein paar veraltete Angaben im Bundes-Klinik-Atlas, das liegt auch zum Teil daran, dass die Meldungen der Kliniken später kommen. Auch die Suchfunktion haben wir noch einmal optimiert, es sind ein paar Punkte, die verbessert werden mussten“, sagte Lauterbach heute. Kliniken hätten zum Teil auch falsche Angaben in den Qualitätsberichten oder im Krankenhausverzeichnis gemacht, erläuterte das BMG. „Der Aufforderung aus April, die eigenen Angaben im bundesweiten Krankenhausverzeichnis zu aktualisieren, sind nur ein gutes Dutzend Kliniken nachgekommen. Geänderte Meldungen werden umgehend eingearbeitet“, erklärte ein Ministeriumssprecher.

Wie bei jedem großen IT-Projekt gebe es in den ersten Tagen Anlaufschwierigkeiten, betonte Lauterbach. Grundsätzlich gebe der Bundes-Klinik-Atlas aber Informationen, die es in diesem Detailgrad schon jetzt nirgendwo anders gebe. Und der Klinik-Atlas werde als lernendes System immer besser werden, versprach der Minister. Korrekturbedarf könne zudem über ein Kontaktformular gemeldet werden, ergänzte das BMG.

Handwerkliche Fehler

Auch der Verband leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte (VLK) weist auf grobe handwerkliche Fehler hin. „Die aus Routinedaten verschiedener Institute entnommenen Zahlen haben mit der Realität häufig kaum etwas gemeinsam und sind nicht plausibel“, erklärte der VLK. So würden bei Maximalversorgern Fallzahlen der Koronaren Herzerkrankung – eine der häufigsten Diagnosen in der Kardiologie – mit vier bis fünf angegeben, obwohl mehrere hundert oder über tausend erbracht wurden. Es gebe außerdem große geburtshilfliche Kliniken, die dem Atlas zufolge Null Kaiserschnitte haben. „Darüber kann man nur noch staunen, insbesondere in einem Fach, das seit Jahrzehnten eine für alle transparente externe Qualitätssicherung betreibt“, schreibt der Verband.

„So eine Version kann man einfach nicht online stellen. Patientinnen und Patienten, die valide Informationen suchen kann man in dieser Situation nur raten, dass seit mehr als zwei Jahrzehnten etablierte und validierte Krankenhausverzeichnis der DKG und des DKTIG zu nutzen,“ sagte Michael Weber, Präsident des VLK.

Krankenhäuser meldeten sich ebenfalls zu Wort. Die Niels-Stensen-Kliniken, das Christliche Kinderhospital Osnabrück und das Klinikum Osnabrück kritisieren, dass der Bundesklinikatlas fehlerhafte Daten enthalte und damit den Vergleich von Kliniken verzerre.

So seien zum Beispiel Fallzahlen einzelner Abteilungen der Niels-Stensen-Kliniken, wie etwa die Anzahl von Geburten oder die Anzahl eingesetzter künstlicher Kniegelenke, veraltet. Für ein Krankenhaus im Niels-Stensen-Verbund wird sogar eine Notfallversorgung ausgewiesen, obwohl es dort keine gibt. „Solche Fehler sind grob fahrlässig und irreführend “, sagte Werner Lullmann, Geschäftsführer der Niels-Stensen-Kliniken. Patienten würden mit diesem Atlas in ihrer Suche nach Transparenz getäuscht.

Daten aus dem Jahr 2022

Bei der Vorstellung des Bundesklinikatlas vergangene Woche hatten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Claus-Dieter Heidecke, Leiter des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) auf die Datenbasis von 2022 hingewiesen. Der Zeitverzug sei durch Evaluierungen von Qualitätssicherungsdaten zu erklären, sagte Heidecke. Die Daten sollen aber in diesem Jahr noch auf die Zahlen von 2023 aktualisiert werden.

Das Klinikum Hochsauerland äußerte ebenfalls Kritik. Ganze Leistungsbereiche des Klinikums seien im Atlas nicht richtig dargestellt. Es fehlten etwa 10.000 Behandlungsfälle, also rund ein Viertel des gesamten Versorgungsspektrums. Hierzu gehörten alle bis 2023 im Klinikum Hochsauerland am Standort Marienhospital durchgeführten Versorgungsleistungen der Kliniken für Innere Medizin, Neurochirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie in Alt-Arnsberg. Im Zuge der Eröffnung des neuen Notfall- und Intensivzentrums seien die Leistungsangebote verlagert worden.

„Die Versorgungsangebote sind damit aber natürlich nicht entfallen, sondern werden vollumfänglich und gebündelt mit weiteren medizinischen Leistungen der umfassenden Notfallversorgung am größeren und nach modernsten Gesichtspunkten ausgestatteten Standort Karolinen-Hospital vorgehalten“, sagte der medizinische Direktor des Klinikums Hochsauerland, Peter Lütkes. „Im Bundesklinikatlas werden die Leistungen aber nicht ausgewiesen, ganz so als wären die Kliniken geschlossen“, kritisierte er.

Der Bundesklinikatlas vernachlässige zudem wichtige Aspekte, betonte der Bundesverband Pflegemanagement. Völlig außer Acht gelassen werde bei der rein datenbasierten Darstellung das Zusammenspiel von pflegerischen und therapeutischen Maßnahmen, das maßgeblich zu einem besseren Outcome beitrage, kritisierte der Verband. Der Gesundheitszustand von Patientinnen und Patienten bleibe unberücksichtigt, heißt es weiter. Auch die Ausstattung mit Medizintechnik sowie der Grad der Digitalisierung fänden trotz ihres nachweislichen Effekts auf die Behandlungsqualität keine Berücksichtigung. Und: „Universitätskliniken schneiden durch ihre große Bandbreite und die höhere Komplexität der behandelten Fälle bei der gewählten Darstellung schlechter ab“, erklärt der Pflegeverband.

„Eine Möglichkeit, die Daten im Vorfeld zu prüfen oder den Bundesklinikatlas in Pilot-Einrichtungen zu testen bestand nicht“, bemängelte Sarah Lukuc, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Pflegemanagement. So hätten Schwachstellen identifiziert und Fachexpertise eingebracht werden können. Der erneute Alleingang des Bundesgesundheitsministeriums verschärfe den Arbeitsalltag in den Kliniken weiter, sagte Lukuc.

cmk

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