Medizinforschungsgesetz soll klinische Studien erleichtern

Berlin – Weniger Bürokratie und eine stärkere Zentralisierung sollen klinische Studien in Deutschland erleichtern. Das sieht der Referentenentwurf des Medizinforschungsgesetzes (MFG) vor, der dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) vorliegt.
Das Gesetz soll zentraler Teil der Pharmastrategie der Bundesregierung sein, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Anfang Dezember in Berlin vorgestellt hat.
Nachdem Deutschland bei der Erforschung und Entwicklung von Arzneimitteln in den vergangenen zwei Jahrzehnten im internationalen Vergleich zurückgefallen ist, soll sie nach Lauterbachs Worten eine Aufholjagd einleiten, die bereits vor Jahren hätte beginnen müssen.
Neben mehreren bereits ergriffenen Reformen wie einem verbesserten Datenzugang für Forschung und Entwicklung durch das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) und attraktiveren Konditionen für pharmazeutische Unternehmen durch das Arzneimittellieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) sollen nun auch die administrativen Rahmenbedingungen für Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten verbessert werden.
Als Kernstück bei diesem Vorhaben sieht das Bundesgesundheitsministerium (BMG) Vereinfachungen bei Strahlenschutzvorgaben. „Mit diesem Schritt wird einem wesentlichen Anliegen der forschenden Pharmaindustrie Rechnung getragen“, heißt es im Entwurf.
Komplizierte Antragsverfahren
In der klinischen Forschung seien Strahlenschutzaspekte vor allem relevant, wenn beispielsweise Röntgenuntersuchungen zum Einschluss von Teilnehmenden in eine klinische Prüfung oder zur Verlaufskontrolle im Rahmen einer laufenden Studie notwendig sind, erklärte der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) auf Anfrage des DÄ.
„Das ist international bei vielen Studien ein Standard und war in Deutschland schwierig, weil bisher im Falle von Begleitdiagnostik in Studien ein gesondertes Anzeigeverfahren beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) notwendig wird“, sagte Thorsten Ruppert, Senior Manager Forschung, Entwicklung, Innovation beim vfa.
Dieses Verfahren laufe parallel zur Genehmigung der Studie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sowie der zuständigen Ethikkommission und könne Einfluss auf das eigentliche Genehmigungsverfahren der klinischen Prüfung haben. In anderen EU-Staaten würden all diese Verfahren in einer Hand liegen.
Bei klinischen Prüfungen mit Radiopharmazeutika sei die Situation sogar noch herausfordernder, da in diesem Bereich erst die Genehmigung der klinischen Prüfung bei BfArM oder PEI und Ethikkommission abgewartet werden müsse, bevor der Antrag beim BfS gestellt werden könne.
Dieses Genehmigungsverfahren dauere bis zu 132 Tage und in Ausnahmefällen bei Fristverlängerung sogar bis zu 222 Tage, so Ruppert. Auch hier lägen die Zuständigkeiten in anderen EU-Staaten in einer Hand, die strahlenschutzrechtliche Genehmigung werde dort im Rahmen der normalen Studiengenehmigung miterteilt.
„In der Folge ist es aktuell so, dass solche Studien in den anderen Mitgliedstaaten schon laufen, während man in Deutschland noch auf die Genehmigung wartet. Da Studien kompetitiv rekrutieren, ist die vorgesehene Anzahl an Studienteilnehmenden in den meisten Ländern bereits erreicht, bevor in Deutschland überhaupt die Genehmigung vorliegt“, erklärte Ruppert. „Daher machen solche Studien seit Jahren einen großen Bogen um Deutschland.“
Nach Schätzungen des vfa und Aussagen des BfArM könnten zehn bis 20 Prozent mehr klinische Prüfungen nach Deutschland geholt werden, wenn diese deutschen Sonderwege beim Strahlenschutz abgeschafft werden.
Bessere Verzahnung der Verfahren
Das will das BMG mit dem Gesetz erreichen. Zwar sieht der Gesetzentwurf nicht vor, alle Verfahren in einer Stelle zu vereinen. Ziel sei aber eine bessere Verzahnung des strahlenschutzrechtlichen Anzeige- und Genehmigungsverfahrens von Anwendungen radioaktiver Stoffe oder ionisierender Strahlung am Menschen zum Zweck der medizinischen Forschung mit den medizinprodukterechtlichen Genehmigungs- oder Anzeigeverfahren und den Verfahren zur Genehmigung einer klinischen Prüfung mit Arzneimitteln.
So werde ein sogenannter Single-Gate-Ansatz eingeführt, bei dem alle strahlenschutzrechtlichen Anzeige- oder Genehmigungsverfahren über dasselbe elektronische Einreichungsportal erfolgen. Die Prüfung der strahlenschutzrechtlichen Anzeigeverfahren soll vollständig an die Ethikkommissionen abgegeben werden.
Auch sollen die Prüffristen deutlich verkürzt und an die Fristen der Genehmigung einer klinischen Prüfung angeglichen werden. Dabei sollen auch Forschungsvorhaben mit Niedrigdosisanwendungen an kranken Minderjährigen in das Anzeigeverfahren einbezogen werden.
Neben den Strahlenschutzverfahren sollen auch die sonstigen Genehmigungsverfahren für klinische Prüfungen und des Zulassungsverfahrens von Arzneimitteln und Medizinprodukten vereinfacht werden. Dazu sieht der Entwurf Änderungen im Arzneimittelgesetz (AMG), im Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG), dem Strahlenschutzgesetz (StrlSchG) sowie in der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) vor.
So werde insbesondere der Weg für die Durchführung dezentraler klinischer Prüfungen geebnet, indem der Sondervertriebsweg für Prüf- und Hilfspräparate erweitert und die elektronische Einwilligung ermöglicht werden. Die Kennzeichnung von Prüf- und Hilfspräparaten werde erleichtert und die Genehmigung mononationaler klinischer Prüfungen beschleunigt.
Ministerium will Zuständigkeiten schneller regeln können
Besser koordiniert werden sollen auch die Verfahren zu Arzneimittelzulassung bei BfArM und PEI. Nicht nur soll beim BfArM eine übergreifende Koordinierungsstelle eingerichtet werden. Das BMG will vor allem sich selbst mehr Kompetenzen einräumen: Der Entwurf sieht vor, dass es ermächtigt wird, Zuständigkeiten zwischen den Arzneimittelzulassungsbehörden zum Zweck der Verbesserung der Verfahrensabläufe durch Rechtsverordnung zu ändern.
Auch die zuständigen Bundes- und Landesbehörden sollen gestärkt werden. So soll die jeweils zuständige Bundesoberbehörde ermächtigt werden, Empfehlungen zur Auslegung der EU-Grundsätze und Leitlinien Guter Herstellungspraxis zu veröffentlichen.
Das soll die zuständigen Behörden der Länder dabei unterstützen, die Auslegungspraxis in den Bereichen der Herstellung und der Prüfung von Arzneimitteln für neuartige Therapien, insbesondere von Gen- und Zelltherapeutika, weiter zu harmonisieren.
Um Fragen der Auslegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMPs) leichter und schneller klären zu können, sollen die zuständigen Behörden der Länder zudem ein Antragsrecht gegenüber der zuständigen Bundesoberbehörde erhalten.
Vertrauliche Erstattungspreise
Neben einer Reform der Ethikkommissionen sieht der Gesetzentwurf zudem noch eine Nachbesserung an den Neuregelungen des im vergangenen Jahr verabschiedeten ALBVVG vor: Pharmaunternehmen sollen demnach die Möglichkeit erhalten, vertrauliche Erstattungsbeträge bei Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu vereinbaren.
Bisher sind alle Erstattungsbeträge, die die Hersteller mit dem GKV-Spitzenverband für patentgeschützte Arzneimittel vereinbaren, öffentlich zugänglich. Aufgrund der internationalen Referenzwirkung des deutschen Erstattungsbetrags könne die erforderliche Flexibilität der Verhandlungspartner bei den Erstattungsbetragsverhandlungen jedoch eingeschränkt werden. Bleibt der Preis in Deutschland unter den Erwartungen des Unternehmens, so die Befürchtung, könne das demnach auch die Erstattungspreise in anderen Ländern drücken.
Bei Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen – das BMG geht laut Entwurf von durchschnittlich 40 Markteintritten pro Jahr aus – sollen die Unternehmen deshalb nun die Option auf eine Vertraulichkeit des Erstattungsbetrags erhalten, die bis zum Wegfall des Unterlagenschutzes gilt. So solle die Attraktivität des deutschen Arzneimittelabsatzmarktes sichergestellt werden.
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