Augenärzte wollen am liebsten eigene Praxis – aber in Teilzeit

Berlin – Die Mehrheit der in Praxen oder Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) angestellten Augenärztinnen und Augenärzte wäre lieber selbstständig – scheut allerdings wegen der hohen Arbeitsbelastung davor zurück. Zu diesem Ergebnis kommt eine kürzlich veröffentlichte Umfrage der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands (BVA).
Die Realität entfernt sich immer mehr von den Idealvorstellungen der meisten jungen Augenärzte: Die wünschen sich nämlich meist Selbstständigkeit, während die Zahl der selbstständig Niedergelassenen weiter abnimmt. DOG und BVA hatten vergangenes Jahr 1.014 Augenärzte unter 49 Jahren zu ihrer aktuellen beruflichen Situation und ihren Zukunftsaussichten befragt.
Unter ihnen waren sowohl Klinikbeschäftigte und Selbstständige als auch Angestellte in Praxen oder Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Im Schnitt waren sie 39 Jahre alt, 63 Prozent von ihnen waren weiblich.
Über alle Beschäftigtengruppen hinweg ist der Wunsch nach einer eigenen Praxis stark vertreten. In MVZ und unter Angestellten in Praxen würde die Mehrheit gern in die Selbstständigkeit wechseln, von den Klinikärztinnen und Klinikärzten will mehr als der Hälfte im Krankenhaus bleiben und ein Drittel in die Niederlassung wechseln. Nur 15 Prozent von ihnen möchten sich in Praxis oder MVZ anstellen lassen.
Auf der anderen Seite ist die Zufriedenheit entsprechend groß: „Praktisch alle Selbstständigen – knapp 96 Prozent – möchten in ihrer eigenen Praxis bleiben“, erklärt Alexander Schuster, Leiter des Zentrums für ophthalmologische Epidemiologie und Versorgungsforschung der Universitätsmedizin Mainz.
Gleichzeitig ist die Zahl der Selbstständigen im Vergleich zur vorherigen Durchführung der gleichen Umfrage im Jahr 2016 deutlich gesunken: Sind es damals 60,6 Prozent gewesen, waren es sechs Jahre später nur noch 39,1 Prozent.
Die Anzahl der angestellten Augenärzte in MVZ hat sich gleichzeitig mehr als verdoppelt, von 8,3 auf 18,9 Prozent. Dabei zeigen sich klare Geschlechterunterschiede: Frauen sind demnach mit 46 Prozent häufiger in einer Anstellung tätig als Männer mit 33 Prozent. 26 Prozent von ihnen arbeiten in einer selbstständigen Praxis, während das 39 Prozent der Männer das tun.
Trotz des überwiegenden Wunsches zur Selbstständigkeit gehen also sehr viele diesen Schritt nicht. Als häufigsten Grund dafür gaben sie an, dass die zeitliche Belastung in der Selbstständigkeit zu groß sein würde. 36 Prozent sagten das. 47 Prozent der befragten Frauen wünschen sich eine Wochenarbeitszeit von 21 bis 30 Stunden, 48 Prozent der männlichen Befragten möchten 31 bis 39 Stunden arbeiten.
Die Mehrheit würde demnach einen durchschnittlichen Arbeitsumfang von fünf bis sechs Arbeitsstunden täglich beziehungsweise eine Drei- bis Vier-Tage-Woche der von einer Mehrheit präferierte Arbeitsumfang wäre.
Darüber hinaus behindern aber auch strukturelle Probleme eine Selbstständigkeit. „Als zweithäufigsten Grund gaben die Befragten an, dass ein Kassensitz in Wohnortnähe nicht verfügbar ist“, erklärt Schuster. Einer der Gründe dafür sei, dass Investorenketten für augenärztliche Kassensitze vergleichsweise hohe Summen aufbieten können.
„Es verwundert daher nicht, dass die Mehrheit der Befragten aufgrund dieser Verknappung und Verteuerung für sich kaum Chancen für die Karriereoption in einer Einzelpraxis, sehr wohl aber für eine Anstellung in einem MVZ und in Großpraxen sieht“, schlussfolgert er.
Ebenfalls positiv werden die Aussichten von Gemeinschaftspraxen beurteilt. „Hier liegt viel Zukunftspotential“, betont Schuster. Denn in ihnen sei die Vereinbarkeit von Selbstständigkeit und Teilzeittätigkeit gut möglich.
Allerdings kenne das System derzeit lediglich hälftige oder volle selbstständige Kassensitze – nur für MVZ sind auch geviertelte Kassensitze vorgesehen. Meist kämen aber nur einzelne Kassensitze in die Ausschreibung, und Nachbesetzungen in den MVZ werden überhaupt nicht ausgeschrieben, sondern vom MVZ nachbesetzt.
„Eine Änderung dieser Rahmenbedingungen könnte dazu beitragen, den Wünschen von jungen Ärztinnen und Ärzten noch besser zu entsprechen“, sagt Schuster. „Wir appellieren daher an die Politik, die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen, bei der Teilung von Praxissitzen modernere, flexiblere und pragmatischere Optionen anzubieten“, so Schuster.
Dabei sei jedoch zu bedenken, dass vermehrte Teilzeittätigkeit auch die Versorgungsprobleme in der Augenheilkunde tendenziell weiter verschärfen könne. Der Versorgungsbedarf steige durch eine Zunahme an Augenerkrankungen in Folge des demografischen Wandels und des medizinischen Fortschritts stetig an. „Da führt uns die Work-Life-Balance in neue Herausforderungen“, sagt Schuster.
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