Länder stemmen sich gegen Faire-Kassenwahl-Gesetz

Berlin/Leipzig – In den Bundesländern regt sich weiterhin heftiger Widerstand gegen das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geplante Faire-Kassenwahl-Gesetz. In einem Brief an Spahn äußerten sich die Gesundheitsminister Baden-Württembergs und Hessens pünktlich zum Beginn der heutigen Gesundheitsministerkonferenz (GMK) in Leipzig kritisch zu den Plänen.
Sie legten zugleich ein zweiseitigen Eckpunktepapier zur regionalen Stärkung der Gesundheitsversorgung vor, das auf mehr Länderkompetenzen in der Gesundheit abzielt. Brief und Eckpunktepapier liegen dem Deutschen Ärzteblatt vor.
Zentraler Punkt des Faire-Kassenwahl-Gesetzes ist, über das gesetzlich Krankenversicherten größere Wahlmöglichkeiten erhalten sollen. Spahn plant konkret, die meisten regionalen Krankenkassen bundesweit zu öffnen, was insbesondere die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) betreffen würde. Die Länder, die traditionell eng mit den AOKen verbunden sind, würden die Aufsicht über die AOKen verlieren. Dagegen machen die Länder Front.
Das Faire-Kassenwahl-Gesetz zeige „unmissverständlich“, dass bundespolitisch eine „massive Zentralisierung“ der Steuerungs- und Entscheidungsstrukturen im deutschen Gesundheitswesen geplant sei, heißt es in dem Schreiben der beiden Landesgesundheitsminister Manne Lucha (Baden-Württemberg) und Kai Klose (Hessen, beide Grüne). Eine „bundesweite Zwangsöffnung aller Krankenkassen“ würde die grundgesetzlich garantierten Aufsichtszuständigkeiten der Länder beseitigen.
Das Faire-Kassenwahl-Gesetz sei „die falsche Antwort auf die seit Jahren geführte Auseinandersetzung zwischen den Geschäftsmodellen bundesunmittelbarer und der regional aufgestellten Krankenkassen“, heißt es in dem Schreiben weiter. Die verfassungsrechtlich vorgegebene ausgewogene Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in diesem Bereich würde einseitig zugunsten des Bundes verschoben. „Faktisch werden den Ländern weitere Handlungs- und Einflussmöglichkeiten, ihren Gestaltungsanspruch für die gesundheitliche Versorgung ihrer Bevölkerung effektiv wahrzunehmen, entzogen“, schreiben die beiden Landesminister.
Länder fordern Rechtsaufsicht
In dem Eckpunktepapier fordern Lucha und Klose die „Rückbesinnung“ auf die Notwendigkeit, die Angebote zur gesundheitlichen Angeboten an den Bedürfnissen der Bürger vor Ort auszurichten. Damit stelle sich der Auftrag für eine konsequente Regionalisierung von Finanz- und Steuerungsverantwortung im Gesundheits- und Pflegebereich. Es brauche eine „konsequente und umfassende Verantwortungs- und Entscheidungskompetenz auf der jeweiligen Landesebene“.
Konkret fordern die beiden Länder, das in der GMK diskutiert werden soll, dass die Länder die ausschließliche Rechtsaufsicht für Versorgungsverträge erhalten. Nach Informationen des Deutschen Ärzteblattes soll darüber am Mittwochabend im sogenannten „Kamingespräch" zwischen Bundes- und Länderminister gesprochen werden.
Derzeit ist das Bundesversicherungsamt (BVA) für Verträge der bundesunmittelbaren Krankenkassen zuständig. Die Länder für die Verträge der AOKen. Kritik gab es immer wieder daran, dass BVA und Länder ihrer Aufsicht weniger streng ausüben als das BVA.
Darüber hinaus schlagen Lucha und Klose weniger enge Vorgaben bei der Vergütungsgestaltung der vertragsärztlichen Versorgung vor. Konkret ausgeführt wird der Aspekt in dem Papier nicht. Zudem plädieren die Minister dafür, den Fremdkassenzahlungsausgleich durch eine nichtbudgetierte Vergütung abzulösen. Der Fremdkassenzahlungsausgleich ist eine Ausgleichszahlung zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen).
Länder wollen mehr Versorgungshoheit
Im Krankenhaus wollen die Länder bei den Berechnungen der Landesbasisfallwerte künftig die Tarifentwicklung im jeweiligen Bundesland zugrunde legen, heißt es in dem Eckpunktepapier weiter. Darüber hinaus wollen die Länder, dass die Heilmittelversorgung auf die Länderebene zurückverlagert wird.
Sie unterbreiten auch den Vorschlag, dass eine neue sektorenübergreifende Vertragsnorm geschaffen wird, die es den Landesverbänden der Pflegekassen und Ersatzkassen ermöglichen soll, mit Pflegeeinrichtungen Versorgungsverträge schließen zu können.
Ebenso wollen die Länder ein Präventionsbudget auf Länderebene sowie eine Stärkung der Patientensouveränität. Bei letzterem sollen die Sozialversicherungsträger zu mehr Transparenz verpflichtet werden. Diese sollten, vor allem in der medizinischen Rehabilitation „in laienverständlicher Form Übersichten über die gestellten Anträge, vor allem auf Vorsorge- und Reha-Leistungen, die Ablehnungsbescheide, die Widersprüche und die Widerspruchserfolgsquote zu veröffentlichen“.
Während die Allgemeinen Ortskrankenkassen sich wie ihrer Aufsichten, die Länder, vehement seit Bekanntwerden der Pläne gegen das Gesetz wehren, sieht der Verband der Ersatzkassen (vdek) das Anliegen positiv. Sie stützten Spahn heute in seinem Vorhaben.
Der vdek appellierte heute „eindringlich“ an die 16 Ländergesundheitsminister, das von Spahn vorgelegte Gesetz zu unterstützen und mehr Wettbewerb in der GKV zuzulassen. „Die Befürchtung der Länder, durch das neue Gesetz werde das Gesundheitswesen zentralisiert, ist unbegründet“, sagte die vdek-Chefin Ulrike Elsner. Die Versorgung werde auch bei bundesweiten Ersatzkassen regional organisiert, und zwar sowohl bei Kollektivverträgen, die 97 Prozent der Versorgung ausmachen, wie auch durch Selektivverträge, die auf die spezielle Versorgungssituation vor Ort eingehen.
Der vedek sprach sich zugleich klar gegen Zentralisierungsbestrebungen des Bundes im Vertragsbereich aus. Die geplante bundesweite Öffnung der AOKs sei allerdings keinesfalls mit einem Verlust regionaler Versorgungskompetenz verbunden, sondern bringe mehr Wahlfreiheit für die Versicherten und sorge für einen fairen Wettbewerb, so Elsner.
Kritik an Spahns Gesetz hatte zuvor bereits der GKV-Spitzenverband geübt. Spahn starte einen „Generalangriff“ auf das deutsche Sozialversicherungssystem, hatte der Verband erklärt. Die soziale Selbstverwaltung werde „entmachtet“. Diese Kritik zielte auf das ebenfalls in Spahns Entwurf vorgesehene Vorhaben ab, den Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbands künftig nicht mehr mit ehrenamtlichen Vertretern der Verwaltungsräte der Krankenkassen zu besetzen, sondern aus Vorstandsmitgliedern der Mitgliedskassen.
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