Öffnung der Ortskrankenkassen: Länder schreiben erneut Brief an Spahn

Hamburg/Berlin – Die Bundesländer sträuben sich weiter mit Nachdruck gegen die bundesweite Öffnung der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKen) und eine bundeseinheitliche Aufsicht, die ihnen ihre Aufsichtsrechte entziehen würde. Das geht aus einem Schreiben an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hervor, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.
In dem Schreiben, das der Erste Bürgermeister der Stadt Hamburg, Peter Tschentscher, in Namen aller Regierungschefs verfasst hat, wird auf die Ergebnisse der Gesundheitsministerkonferenz in Leipzig verwiesen, bei der sich die Regierungschefs der Länder über Spahns Entwurf eines Gesetzes für eine faire Kassenwahl in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgetauscht hatten. Bei dem Gesetz geht es um die Reform des Finanzausgleichs zwischen den Krankenkassen (Morbi-RSA), die bundesweite Öffnung der AOKen sowie eine einheitliche Aufsicht aller Krankenkassen durch das Bundesversicherungsamt (BVA).
Die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Öffnung der bislang regional begrenzten Krankenkassen für alle Versicherten und die damit verbundene Verlagerung der Aufsicht über diese Kassen von den Ländern auf den Bund lehnten die Regierungschefs der Länder „geschlossen ab“, heißt es in dem Brief an Spahn.
Die Länder seien der Ansicht, dass mit der Verlagerung die föderalen Strukturen im Gesundheitswesen geschwächt und die Gestaltungskompetenzen verschoben werden. „Durch den Wegfall des regionalen Bezugs der Aufsicht ist mit negativen Auswirkungen auf das jeweilige Versorgungsgeschehen in den Ländern zu rechnen, unter anderem weil Modellprojekte vor Ort verhindert oder zumindest erschwert würden“, schreiben die Länder.
AOK wichtig für regionale Versorgung
Unabhängig davon werde das Ziel eines stärkeren und zielgerichteten Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen durch den bundesweit möglichen Zugang zu allen Kassen nicht erreicht. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall. „Gerade für die regionale Bewältigung der spezifischen Herausforderungen der Versorgung vor Ort ist es wichtig, dass auch der Wettbewerb in den Regionen stattfindet“, heißt es in dem Brief.
Bei nur noch bundesweiten Krankenkassen und dem Wegfall einer regionalen Ausrichtung der Träger wird sich der bisherige Wettbewerb noch stärker auf einen überregionalen Preiswett bewerb fokussieren – zulasten der Versorgung in den Ländern.
„Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder erwarten, dass die Kompetenzen und Möglichkeiten der Länder zur Gestaltung der Gesundheitsversorgung unter Berücksichti gung regionaler Besonderheiten erhalten und mit Blick auf die anstehenden Herausforderungen der Digitalisierung erweitert werden“, formuliert der Brief eine klare Forderung. Einer stärkeren Abstimmung und Harmonisierung des Aufsichtshandelns stünden die Läner „offen gegenüber“.
SPD schlägt sich auf die Seite der AOKen
Die Länder haben sich bereits vermehrt an Spahn gewendet, um dem Bundesminister ihr Anliegen darzulegen. Neben der AOK, die das Ansinnen ebenfalls ablehnen, hat sich auch die SPD im Bundestag kritisch zu den Plänen geäußert. Spahn hält bislang aber an der Reform fest. „In welcher Form auch immer“ werde das Gesetz in den nächsten Wochen in den Bundestag eingebracht, hatte SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach am vergangenen Dienstag dazu erklärt.
Lauterbach hatte angedeutet, dass der Minister „noch etwas Ballast“ am Gesetzesvorhaben „abwerfen muss“, wenn er dies durchbekommen wollen. Die SPD lehne etwa eine einheitliche Aufsicht ab. „Es kann auch sein, dass das Gesetz gar nicht kommt“, so Lauterbach. Zwar sei der Morbi-RSA reformbedürftig. Der Minister müsse aber entscheiden, wie dringend dies sei.
Rückendeckung für Spahn
Rückendeckung für die Pläne erhielt Spahn heute vom BKK Dachbervand und vom Verband der Ersatzkassen (vdek). „Das Faire-Kassenwahl-Gesetz soll sicherstellen, dass künftig für alle Kassen gleiche Regeln gelten und endlich aufhört, dass bei wettbewerbsrelevanten Themen der Krankenkassen von Bundes- und Landesaufsichten mit zweierlei Maß entschieden wird“, sagte Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbands. Dies solle über die bundesweite Öffnung der bisher regionalen Kassen erfolgen.
Knieps bezeichnete es als „völlig unverständlich“, dass die Bundesländer in diesem Zusammenhang argumentierten, eine Kassenöffnung und die damit verbundene Verlagerung der Aufsicht auf den Bund wirke sich negativ auf die regionale Versorgung aus. „Das ist nicht der Fall. Vielmehr sichern die schon heute bundesweit tätigen Krankenkassen für mehr als die Hälfte aller gesetzlich Versicherten eine regional angepasste Versorgung – etwa durch Kollektiv- und Selektivverträge, die auf die spezielle Versorgungssituation vor Ort einzahlen“, so Knieps.
Dass die Regierungschefs der Länder dies in ihrem Schreiben nicht anerkennen, sei „sehr bedenklich“. Lobend sei, dass die Länder in Sachen Aufsicht „unterschiedliches Aufsichtshandeln“ nicht länger negierten und für eine Harmonisierung offen seien.
„Die einseitige Parteinahme der Länder trägt nicht dazu bei, dass faire Wettbewerbsbedingungen in der GKV geschaffen werden können“, monierte die vdek-Vorsitzende Ulrike Elsner. Ein fairer Wettbewerb bedeute, dass die Rahmenbedingungen für alle Krankenkassen gleich seien.
Außerdem wollten die Länder offenbar nicht zur Kenntnis nehmen, dass die bundesweit geöffneten Krankenkassen die regionale Versorgung seit Jahrzehnten genauso gut sicherstellten wie die regional tätigen Krankenkassen unter Aufsicht der Länder.
„Damit negieren die Länder weiterhin, dass sich die Hälfte aller gesetzlich Versicherten bei den bundesweiten Krankenkassen sehr gut versichert und versorgt fühlen“, sagte Elsner. Völlig ausgeklammert werde zudem das Argument, dass 97 Prozent der Versorgung durch gemeinsame Verträge mit den anderen Kassenarten auf Landesebene geschlossen würden, der Rest durch spezielle Versorgungsverträge vor Ort.
Eslner nannte es wie Knieps „bemerkenswert“, dass die Länder zumindest anerkennen, dass das Aufsichtshandeln der Länder und des Bundes harmonisiert werden sollte. „Denn es ist nicht nachvollziehbar, dass gleiche Versorgungsverträge, wie etwa Hausarztverträge oder Verträge zur integrierten Versorgung von den Aufsichten in Bund und Land ungleich bewertet werden“, erklärte Elsner.
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