Barrierefreiheit soll stärkeren gesetzlichen Rahmen erhalten

Berlin – Anbieter von privaten Produkten und Dienstleistungen sollen dazu verpflichtet werden, angemessene Vorkehrungen zur Barrierefreiheit zu treffen – so lautet ein Vorschlag, der in die Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes eingebracht werden soll. Das berichtete Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen gestern im Rahmen der Herbsttagung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Ob auch Ärztinnen und Ärzte zu solchen privaten Dienstleistern zählen, dazu gab es bisher auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes noch keine Auskunft des Behindertenbeauftragten. Dusel plädierte in seinem Vortrag stark für eine Überprüfung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Barrierefreiheit und betonte: „Das gilt für Arztpraxen, aber natürlich auch für andere Angebote von Produkten und Dienstleistungen.“
Freiwilligkeit reiche nicht aus, so Dusel. Es sei nicht nur Aufgabe des Staates, Gesetze zu schaffen, sondern auch, sicherzustellen, dass Menschen ihre Rechte wahrnehmen könnten. Artikel 25 der in Deutschland geltenden UN-Behindertenrechtskonvention sowie Paragraf 2a Sozialgesetzbuch (SGB) IV legen fest, dass Menschen mit Behinderungen einen diskriminierungsfreien Zugang zum Gesundheitssystem haben müssen.
Das sei kein Akt der Fürsorge oder ein „Nice to have“, sondern ein fundamentales Grundrecht, sagte Dusel. In der Umsetzung dieses Rechts müsse man nachsteuern. Dass neben der Stärkung der gesetzlichen Rahmenbedingungen auch ein Umdenken stattfinden muss – darin waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung einig. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion erörterten sie Perspektiven für den ambulanten Sektor.
So sei Transparenz ein wesentlicher Faktor im Zusammenhang. Auch wenn viele Praxen Barrierefreiheit nicht vollumfänglich gewährleisten könnten, hätten sie doch die Möglichkeit, ihre Fortschritte in dem Bereich transparent zu machen, sagte die Allgemeinmedizinerin Susanne Springborn.
Diese Ansicht teilte auch KBV-Dezernent Bernhard Gibis. Das Transparenzgebot stehe auf dem Weg zur Barrierefreiheit an erster Stelle. Man solle nicht auf Bestrafung setzen, vor allem weil Barrierefreiheit nicht von einem Tag auf den nächsten zu erreichen sei. Gibis zufolge soll vielmehr betrachtet werden, welche Angebote in den deutschen Praxen schon vorliegen und wo angesetzt werden könnte.
„Barrierefreiheit ist auch erstmal Barrierefreiheit in unseren Köpfen“, ergänzte Springborn. Das Thema werde vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, den Herausforderungen der Digitalisierung, des demografischen Wandels und der wachsenden Krankheitslast von vielen Kolleginnen und Kollegen als zusätzlicher „Rucksack“ betrachtet. „Das ist dem Thema nicht angemessen“, betonte sie.
Barrierefreiheit müsse in der Ärzteschaft positiver konnotiert werden und dies erreiche man vor allem durch Aufklärung in der Breite. Barrierefreiheit könne man auch gut durch den Austausch untereinander vorantreiben, es sei ohnehin ein gemeinsamer Prozess. Springborn zufolge müssten Ärztinnen und Ärzte auch den Mehrwert der Barrierefreiheit betrachten, etwa in Hinsicht auf die Qualität und Wirtschaftlichkeit ihrer Praxis.
Wolfgang Moritz, Geschäftsführer der Österreichischen Gesellschaft für Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement in der Medizin, hob im Verlauf der Diskussion hervor, dass Barrierefreiheit vor allem auch ganzheitlich angegangen werden müsse.
So sei nicht nur ein physisch barrierefreier Zugang zu den Arztpraxen für Menschen im Rollstuhl und gehbehinderte Personen wichtig, es gehe auch um Maßnahmen etwa für hör- und seheingeschränkte oder kognitiv beeinträchtigte Menschen. Der selbstständige Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen müsse allen ermöglicht werden, bekräftigte er.
Auf dem Weg zu mehr Barrierefreiheit könnte auch die Digitalisierung unterstützen. Darauf wies Gerlinde Bendzuck, Beisitzerin im Vorstand des Rheuma-Liga Bundesverbandes, hin. Durch digitale Systeme könnten Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen abgeholt und besser betreut werden.
Auch die Telemedizin bietet Bendzuck zufolge neue Chancen. Allerdings könne man Patientinnen und Patienten mit Einschränkungen nicht ausschließlich telemedizinisch behandeln, nur weil Praxen nicht barrierefrei seien. „Die Digitalisierung wird uns nicht bei der Bewusstseinsbildung helfen“, betonte sie abschließend.
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