Bei Coronaforschung Langzeitfolgen nicht aus dem Blick verlieren

Genf – Im Kampf gegen die Coronapandemie liegt derzeit das Hauptaugenmerk auf Impfstoffen und der Erforschung neuer Virusvarianten. Doch nach Einschätzung der WHO-Expertin Janet Diaz sind Forschungen über die langfristigen Folgen mancher Coronainfektionen, die unter dem Schlagwort „Long COVID“ zusammengefasst werden, genauso wichtig.
„Wir haben immer noch nicht vollständig ergründet, was Long COVID ist“, sagte Diaz in Genf. Es gebe „da noch einiges zu lernen“, sagte die Long-COVID-Beauftragte im WHO-Notfallprogramm für die Coronapandemie. Die Weltgesundheitsorganisation richtet daher am 9. Februar das erste globale Long-COVID-Seminar mit Wissenschaftlern und Ärzten aus. Danach soll der Austausch zu dem Thema in regelmäßigen Abständen fortgesetzt werden.
Bezeichnenderweise gibt es noch keinen offiziellen Namen für das Auftreten von Langzeitfolgen nach einer Coronainfektion – obwohl Millionen Menschen unter ihnen leiden, chronisch müde sind beispielsweise oder rasch die Puste verlieren. Die WHO spricht vorerst von einer „Post-COVID-Verfassung, aber auch Begriffe wie post-akutes COVID-Syndrom werden verwendet.
„Es ist ein Zustand, der einer weitergehenden Beschreibung bedarf, ein weitergehendes Verständnis, wie viele betroffen sind und wodurch er verursacht wird“, mahnt US-Intensivmedizinerin Diaz. Die Erkenntnisse könnten dann dabei helfen, Long COVID „besser vorzubeugen, damit umzugehen und es zu behandeln“.
Laut Diaz legen Studien aus Großbritannien und anderen Ländern nahe, dass etwa jeder Zehnte nach einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 noch mindestens einen Monat später unter Symptomen leidet. Während bei der akuten Coronainfektion alte Menschen und Patienten mit Vorerkrankungen besonders gefährdet sind, stellt sich die Lage bei Long COVID anders dar: Die Langzeitfolgen treffen Menschen mit unterschiedlicher Schwere der COVID-19-Erkrankungen und offenbar auch jüngere Menschen – und sogar Kinder, sagte Diaz.
Die Medizin müsse sich nicht nur mit der Vorbeugung gegen Coronaansteckungen und der Behandlung akuter Infektionsfälle beschäftigen, sondern auch mit der Folgebehandlung, „bis man seine Gesundheit vollständig wiedererlangt hat“, fordert die WHO-Beauftragte. Die häufigsten Langzeitsymptome scheinen ihren Angaben zufolge Erschöpfung und Müdigkeit zu sein, hinzu kommen Kurzatmigkeit, Herzrasen, aber auch neurologische und kognitive Probleme.
„Wie hängen diese Symptome alle zusammen – das wollen wir begreifen“, sagte Diaz. Um die Betroffenen besser behandeln zu können, müsse erforscht werden, ob die Langzeitfolgen durch das Virus selbst ausgelöst werden oder durch die Immunantwort des Körpers auf das Virus.
Mittlerweile gibt es laut Diaz einen intensiven Austausch zwischen den Betroffenen sowie mehrere Studien, für die COVID-19-Patienten über einen längeren Zeitraum beobachtet wurden. Außerdem hätten Wissenschaftler begonnen, sich mit den zugrundelegenden Faktoren zu befassen.
„Jetzt haben wir wahrscheinlich genügend Anschauungsmaterial und Daten, um damit zu beginnen, das alles zusammenzubringen“, sagte Diaz mit Blick auf die geplante Fachtagung kommende Woche.
Dort soll eine Definition und ein offizieller Name für die Coronalangzeitfolgen gefunden und Standards für die Erhebung von Daten dazu festgelegt werden. Außerdem soll die Teilnahme von Geldgebern an der Veranstaltung der Long-COVID-Forschung einen Schub geben.
Für Betroffene hat Diaz eine ermutigende Nachricht: „Es kann lange dauern, aber letzten Endes werden sie wieder ganz gesund.“
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: