Politik

Bundesverfassungs­gericht erklärt Sterbehilfe­paragrafen für nichtig

  • Mittwoch, 26. Februar 2020
Erste Verfassungsbeschwerden gegen Sterbehilfeverbot vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen
/dpa

Karlsruhe – Der vor fünf Jahren eingeführte Strafrechtsparagraf 217 zur ­geschäftsmäßi­gen Förderung der Selbsttötung ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das entschie­den heute die Rich­ter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Karlsruhe.

Sie erklärten damit das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe nach Klagen von schwer­­kranken Menschen, Sterbehelfern und Ärzten für nichtig. Es entleere faktisch weit­gehend die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung, begründen sie ihr Urteil.

Es gebe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, betonte BvefG-Präsident Andreas Voß­kuh­le heute bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe. Das schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen, und zwar unabhängig von einer bestimmten Schwere einer Erkrankung. Der Strafrechtsparagraf 217 greife in das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Sterbewilligen ein, das ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasse.

„Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen“, sagte Voßkuhle. Die Entscheidung des Einzel­nen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftig­keit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, sei als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren, betonten die Richter des Zweiten Senats in ihrem Urteil.

Zwar dürfe der Gesetzgeber die Suizidhilfe regulieren, er müsse dabei aber sicherstellen, dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt.

Dies sieht der Zweite Senat durch Paragraf 217 Strafgesetzbuch (StGB) momentan nicht gewährleitet. Denn dieser bedroht denjenigen mit Strafe, der in der Absicht, die Selbsttö­tung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig Gelegenheit verschafft. Der Tatbestand wurde 2015 in das Gesetzbuch eingefügt, um Sterbehilfevereinen die Grund­lage für deren Tätigkeit zu entziehen. Doch auch in der Ärzteschaft löste er teilweise Ver­unsicherung aus.

Leicht gemacht mit ihrer Entscheidung hatte es sich die Politik 2015 nicht. Vorangegan­gen waren mehr als drei Jahre Beratungen auf den unterschiedlichsten Ebenen. Es lagen vier verschiedene Anträge vor, die von dem Vorschlag, die bisherige Rechtslage beizube­halten bis hin zu einem kompletten Verbot einer Beihilfe zur Selbsttötung reichten.

In einer Abstimmung frei von partei- und fraktionspolitischen Zwängen votierte die Mehr­heit der Parlamentarier schließlich für ein Verbot der „geschäftsmäßigen Suizidbei­hilfe“. Mit Einführung des neuen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch drohten bei Zuwider­handlung bis zu drei Jahre Haft. Der Gesetzgeber wollte damit verhindern, dass Suizidhil­fe­vereine wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten.

Nun will die Bundesregierung das heutige Sterbehilfe-Urteil des BVerfG zunächst prüfen und auswerten. Erst danach wäre über mögliche Maßnahmen zu entscheiden, sagte Re­gie­rungssprecher Steffen Seibert nach der Urteilsverkündung.

Auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) erklärte, es solle zunächst geprüft wer­den, ob es mögliche Rückschlüsse auf Behörden in seinem Geschäftsbereich gebe. Eine Spreche­rin verwies darauf, dass das Urteil die geschäftsmäßige Förderung der Sterbehilfe betreffe.

Mit Blick auf die Abgabe von Medikamenten zur Selbsttötung gebe es ein getrenntes Ver­fahren beim Bundesverfassungsgericht. Um solche Kaufmöglichkeiten gibt es seit länge­rem Streit. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig von 2017.

Dieses verpflichtete die Behörden, leidenden Todkranken in extremen Ausnahmefällen den Zugang zu todbringenden Medikamenten zu gewähren. Es war der Ansicht, dass das zuständige Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Menschen aus­nahms­weise den Erwerb des tödlichen Gifts erlauben müsse, wenn diese „wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen" und wenn die Palliativmedizin für den Betroffenen keine Alternative darstellt. Das BMG wies 2018 das BfArM an, entsprechende Anträge von Bürgern abzulehnen.

Neu zu regeln wird auch die Stellung von Sterbehilfevereinen sein. Dem Urteil des BVerfG zufolge sind sie grundsätzlich erlaubt. Der Zweite Senat regte in seinem heutigen Urteil zudem eine „konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und der Apotheker“ und gegebenenfalls auch Änderungen beim Arzneimittel- und Betäubungsmittelrecht an. Dies könne in ein „Schutzkonzept zur Suizidhilfe" eingebunden werden.

Voßkuhle betonte, der Staat könne unabhängig vom Urteil Suizidvorbeugung betreiben und palliativmedizinische Angebote ausbauen und stärken. Er sprach von einem „breiten Spektrum an Möglichkeiten", die das Parlament trotzdem habe.

Diese reichten von proze­du­ralen Sicherungsmechanismen, etwa gesetzlich festgeschrie­bener Aufklärungs- und Wartepflichten, über Erlaubnisvorbehalte, die die Zuverlässigkeit von Suizidhilfeangebo­ten sichern, bis zu Verboten besonders gefahrträchtiger Erschei­nungs­formen der Suizid­hilfe. Diese könnten auch im Strafrecht verankert oder jedenfalls durch strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen abgesichert werden.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts sagte auch, dass Ärzte bislang nur eine ge­ringe Bereitschaft zeigten, Suizidhilfe zu leisten. „Sie sind hierzu auch nicht verpflichtet“, erklärte er. „Aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben leitet sich kein Anspruch ge­gen­über Dritten auf Suizidhilfe ab.“

Dass der ärztliche Sachverstand nicht als Argument dienen dürfe, dass die Ärzteschaft als ausführendes Organ zur Verfügung stehen müsse, hatte auch die Bundesärztekammer mehrfach betont. Sie stellte immer wieder klar, dass die Beteiligung an Selbsttötungen nicht zu den ärztlichen Aufgaben zählt.

ER

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