Politik

Bundeswehr: Mobilmachung gegen geplante Umstrukturierung des Sanitätsdienstes

  • Freitag, 1. März 2024
Soldaten, die Verletzte simulieren, liegen anlässlich eines Antrittsbesuchs des Bundesverteidigungsministers beim Sanitätsdienst der Bundeswehr im Bundeswehrkrankenhaus Ulm auf Tragen. /picture alliance, Marijan Murat
Soldaten, die Verletzte simulieren, liegen anlässlich eines Antrittsbesuchs des Bundesverteidigungsministers beim Sanitätsdienst der Bundeswehr im Bundeswehrkrankenhaus Ulm auf Tragen. /picture alliance, Marijan Murat

Berlin – Das Bundesverteidigungsministerium (BMVG) plant Medienberichten zufolge, den Sanitätsdienst bei der Bundeswehr (SanDstBw) als eigene Organisationseinheit aufzulösen. Das stößt bei nahezu allen Akteuren im Gesund­heits­we­sen unisono auf erheblichen Widerstand.

Sie machen in einem Brief vom 27. Februar dieses Jahres an Bundesverteidigungsminister Boris Pisto­rius (SPD), der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, gemeinsam mobil gegen das Vorhaben. Das Schreiben ist auch an die Wehrbeauftragte Eva Högl und die Obleute des Verteidigungsausschusses im Bundestag gegangen. Eine Antwort steht noch aus.

Ende Februar hatte die Bild berichtet, dass Pistorius bei der Umstrukturierung der Bundeswehr vorsehe, den Sanitätsdienst und die Streit­kräftebasis in einem sogenannten Unterstützungsbereich zusammenzuführen. Die Streitkräftebasis ist ein Organisationsbereich, der unter anderem für die Logistik der Bundeswehr zuständig ist.

Nach Informationen des Onlinefachmagazins Defence Network würde eine Zusammenführung von Sanitäts­dienst und Streitkräftebasis eine Abwertung der Logistik und Gesundheitsversorgung bedeuten, da sie nicht mehr unter eigener Hoheit organisiert, ausgebildet und eingesetzt würden. Zudem solle der Unterstützungs­bereich nur noch von einem Kommandeur unterhalb des Dienstgrades der Inspekteure geführt werden.

Die Bundesärztekammer (BÄK), die Bundeszahnärztekammer (BZÄK), die Kassenärzt­liche Bundesvereinigung (KBV), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die Deutsche Kranken­hausgesellschaft (DKG) und der Marburger Bund (MB) sind besorgt und nehmen den Minister gemeinsam unter Beschuss.

Diese Einigkeit ist im Gesundheitswesen ungewöhnlich, wie die sechs Akteure in dem Schreiben selbst erklä­ren. Umso gewichtiger ist der Brief, in dem auch betont wird, dass es dafür unter anderem vom Hartmann­bund und dem Spitzenverband der Fachärzte (SpiFa) sowie allen maßgeblichen Körperschaften, Institutionen und Berufs­ver­bänden Rückendeckung gibt.

Konkret heißt es in dem Schreiben, man habe in Bezug auf die Umstrukturierungspläne „große Sorge“, dass in der Vergangenheit erfolgreiche, schlagkräftige und effiziente Aufbau- und Führungsstrukturen zerstört wür­den.

Alle Beteiligten im Gesundheitswesen seien sich einig, dass ein auf fachlich höchstem Niveau in eigenständi­gen Strukturen unter durchgehend sanitätsfachlicher Leitung arbeitender Sanitätsdienst nicht nur von hohem Wert für die Aufgabenerfüllung der Bundeswehr, sondern auch von elementarer Bedeutung für die zivil-militärische Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich sei.

Das gelte sowohl bei der Bewältigung von nationalen Krisensituationen wie auch für die Aus- und Weiterbil­dung militärischen und zivilen Personals. Darauf habe man auch schon im Mai 2021 in einem gemeinsamen Schreiben an die damalige Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hingewiesen.

Als Beispiel wird genannt, dass die Kapazitäten der Bundeswehrkrankenhäuser bei der Rückverlegung von Verwundeten aus Krisengebieten für eine gute Versorgung der Patienten nicht ausreichen würden. Nötig sei „eine absolut reibungslose Kooperation mit zivilen Einrichtungen der medizinischen Primärversorgung und Rehabilitation“. Das gelte auch für den wechselseitigen Nutzen für die Fort- und Weiterbildung des Personals.

Für die Akteure im Gesundheitswesen ist das alles in den derzeit bestehenden Strukturen – Eigenständigkeit und Fachlichkeit des Sanitätsdienstes – „in optimaler Weise gewährleistet“. Diese seien sehr effizient ausge­staltet und auch für das zivile Gesundheitswesen verfügbar. Die fachliche Kompetenz erhalte sich der Sani­täts­dienst durch die tägliche Arbeit am Patienten und nicht durch patientenfernen Drill und Übung.

Daher habe es eine „elementare Bedeutung“ die Eigenständigkeit und Fachlichkeit des Sanitätsdienstes so­wohl in der Aufbau- wie auch in der Führungsstruktur zu erhalten.

Angemahnt wird in dem Brief an den Mi­nister auch, dass die Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegerinnen und Pfleger einer „Corporate Identity“ bedürfen, die unbedingt erhalten und gestärkt werden müsse, um sie für den Dienst in der Bundeswehr zu gewinnen. Zudem ergeben sie sich aus dem Standesrecht und den damit verbun­denen disziplinaren Besonderheiten für die approbierten Berufe.

„Die bisherige Eigenständigkeit und Fachlichkeit des Sanitätsdienstes sehen wir durch die uns bekannt ge­wordenen Überlegungen zur Neustrukturierung der Bundeswehr nicht nur gefährdet, sondern im Prinzip zer­stört, sofern hier nicht noch Nachjustierungen erfolgen, die auf Überlegungen aus dem Papier ‚Eckpunkte für die Bundeswehr der Zukunft‘ aus dem Jahr 2021 aufsetzen“, schreiben BÄK, BZÄK, KBV, KZBV, MB und G-BA.

Sie monieren, wenn der Sanitätsdienst mit der Streitkräftebasis in einen Unterstützungsbereich zusammen­geführt würde, wäre er sowohl im künftigen Aufbau wie auch in der Führungsstruktur faktisch nicht mehr wahrnehmbar – obwohl sich die Bedeutung des Sanitätsdienstes künftig durch sich verschärfende Krisen weiter steigern werde.

Ärzte, Kliniken und G-BA machen auch deutlich, dass es – sollte der Minister die Eigenständigkeit des Sani­tätsdienstes dennoch aufheben – mindestens Anpassungen zu den bisherigen Plänen benötigt.

„Falls sich dies aufgrund übergeordneter fachlicher Handlungszwänge nicht realisieren lässt, so ist die auch künftig geplante Beibehaltung einer zentralen Sanitätsstruktur und damit die Abkehr von der vor einigen Jahren diskutierten Dezentralisierung grundsätzlich positiv zu bewerten“, heißt es in dem Brief.

Von besonderer Bedeutung sei dabei, dass bei der Einführung des zentralen Unterstützungsbereiches eine in der Sache fachlich negativ zu bewertende Unterbrechung der Verantwortungskette Medizin bis hin zum Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt „zu vermeiden ist“.

Um die größer werdende Bedeutung des Sanitätsdienstes und dessen Eigenständigkeit auch weiter in den Führungsstrukturen abzubilden, schlagen die Akteure im Gesundheitswesen die Ansiedlung eines „General­arztes der Bundeswehr“ unmittelbar im Bundesministerium der Verteidigung vor.

Das sei ein wichtiges Zei­chen, wenn diesem die notwendigen Leitungs- und Führungsfunktionen für den Auf­gabenbereich Gesund­heits­versorgung Bundeswehr, insbesondere auch nach unten gegenüber dem SanDstBw zugeordnet werden. Damit wäre auch die schon angesprochene Zusammenarbeit mit anderen mit Gesund­heitsfragen befassten Ministerien von Bund und Ländern, Standesorganisationen und Spitzenverbän­den in einer bruchfreien Verantwortung gewährleistet.

Die bisherigen Überlegungen ohne Nachjustierung erscheinen „für den Sanitätsdienst als einzig wirklich modernen Sanitätsdienst der NATO in höchstem Maße kontraproduktiv, weil damit die Motivation aller Mit­arbeitenden in diesem Bereich erheblich beeinträchtigt würde“, heißt es weiter. Ein „Generalarzt der Bundes­wehr“ im BMVG etwa auf der Ebene StvGI könnte dieses fatale Signal korrigieren.

Als Fazit schreiben die Akteure, dass man „den Sanitätsdienst mit seiner hohen Fachlichkeit und seinen leis­tungsfähigen Kranken­häu­sern für die Fort- und Weiterbildung ziviler Ärztinnen und Ärzte“ brauche. Umgekehrt sei auch der Sanitätsdienst fachlich auf eine enge Zusammenarbeit mit zivilen Strukturen angewiesen, um Ausbildung, Weiterbildung und Fortbildung in allen hoch spezialisierten Berufsfeldern darstellen zu können.

Das alles habe in der Vergangenheit „reibungslos funktioniert“. „Diese effiziente Struktur für die Zukunft so zu erhalten, ist unser Anliegen.“ Gerade die verstärkte Ausrichtung auf territoriale Aufgabenstellungen brauche die gute zivil-militärische Zusammenarbeit und Kooperation.

„Der Sanitätsdienst der Bundeswehr in seiner jetzigen Struktur ist wegen seiner hohen Qualität der Aufga­ben­erfüllung national und international anerkannt und hoch geschätzt“, sagte KBV-Vize Stephan Hofmeister.

Er betonte, es wäre fatal, die Eigenständigkeit und Fachlichkeit des Sanitätsdienstes aufzugeben. Dies würde die unabdingbar erforderliche Zusammenarbeit zwischen zivilem Gesundheitswesen und Bundeswehr massiv beeinträchtigen und im angespannten Arbeitsmarkt deutliche Nachteile im Wettbewerb um Mediziner und andere Gesundheitsfachberufe für die Bundeswehr bringen.

Bereits gestern hatte auch die Ärztekammer Baden-Württemberg (ÄKBW) davor gewarnt, den Zentralen Sani­tätsdienst der Bundeswehr als eigenständigen Organisationsbereich aufzulösen. „Das ministerielle Ansinnen ist aus unserer Sicht weder zweckmäßig noch nachvollziehbar, insbesondere nicht unter den frischen Ein­drücken der Ebolakrisen, der Coronapandemie und dem aktuellen Ukrainekrieg“, sagte ÄKWB-Präsident Wolfgang Miller.

„Wenn der Sanitätsdienst der Bundeswehr als eigenständiger Organisationsbereich aufgelöst und die entspre­chenden Fähigkeiten künftig unter fachfremder Führung gemeinsam mit der Logistik in einem sogenannten Unterstützungsbereich betrieben werden, ist das für das sektorenübergreifende Versorgungssystem kontra­pro­duktiv“, sagte er. Es sei wichtig, dass der Sanitätsdienst der Bundeswehr weiterhin „zentral und durch­gän­gig fachbezogen geführt“ werde.

may/hil

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