Politik

Debatte über Influenzaimpfstoff und Verteilung

  • Montag, 12. Oktober 2020
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Berlin – Der Chef des Berliner Hausärzteverbandes hat dazu aufgerufen, dass zunächst nur Risikogruppen gegen die Grippe geimpft werden. „Bei 26 Millionen Impfstoffdosen und einer Bevölkerung von 80 Millionen Menschen können zunächst nur Risikogruppen geimpft werden“, sagte Wolfgang Kreischer den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Nur wenn der Impfstoff nicht verbraucht werde, sollten andere Personen geimpft werden. „Sonst reicht der Impfstoff womöglich nicht für die, die ihn wirklich brauchen“, sagte Kreischer. Auch Martin Terhardt, Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut (RKI), sieht die Gefahr, dass in diesem Winter zu wenig Grippe-Impf­stoff zur Verfügung stehen könnte.

„Mein Wunsch wäre tatsächlich eine abgestufte Empfehlung, dass man jetzt erst mal bis Mitte Dezember wirklich den Vorrang denjenigen gibt, die zu den Risikogruppen gehö­ren“, sagte er dem rbb-Verbrauchermagazin „Super.Markt“. „Und wenn dann die Situation so ist, dass der Rest der Risikogruppe sich wirklich nicht impfen lassen möchte und es noch genug Impfstoff gibt, dann könnte man das von mir aus auch gerne freigeben.“

Die STIKO empfiehlt die Impfung für Risikogruppen – Menschen ab 60, Schwangere, Personen mit Vorerkrankungen, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sowie Berufs­gruppen mit erhöhtem Infektionsrisiko. Zur Versorgung aller Menschen aus diesen Grupp­en bräuchte es rund 40 Millionen Impfdosen. Allerdings nehmen längst nicht alle von ihnen das Angebot in Anspruch – in der Altersgruppe ab 60 lag die Impfrate in der Grippe­saison 2014/15 bei etwa 40 Prozent.

Bestellt wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums bislang 26 Millionen Dosen. Das RKI betonte im August, auch Menschen außerhalb der Risikogruppen könnten die Im­pfung erhalten. Es stellte aber gleichzeitig klar: „Die uns bekannten Informationen zu den voraussichtlich verfügbaren Influenza-Impfstoffmengen können die Versorgung der wich­tigsten Zielgruppen gewährleisten, nicht jedoch der gesamten Bevölkerung.“

Engpässe im Norden

Unterdessen vermeldete die Apothekerkammer Schleswig-Holstein bereits Engpässe. Tausende Schleswig-Holsteiner könnten sich wegen Mangels an Impfstoff derzeit nicht gegen Grippe impfen lassen. Täglich beklagten sich deshalb Patienten, sagte Geschäfts­führer Frank Jaschkowski.

Das Gros der 630 Apotheken im Land habe keinen Impfstoff mehr. Das treffe besonders auch Privatversicherte, da es für sie keine Einzelpackungen mehr gebe. Der Unmut sei insgesamt groß, sagte Jaschkowski. Im November werde eine zweite Tranche erwartet. „Aber ich gehe davon aus, dass es bei weitem nicht ausreichen wird - nach meiner Ein­schätzung ist das im Dezember alle.“

Der Hausärzteverband Schleswig-Holstein bestätigte, dass die erste Impfstofflieferung weitgehend verbraucht ist. Seine Praxis in Leck (Kreis Nordfriesland) sei seit Freitag „blank“, sagte der Landesvorsitzende Thomas Maurer. Die 700 Dosen aus der ersten Tranche seien verbraucht.

Angesichts der erwarten Nachfragesteigerung habe seine Praxis für diese Saison die Zahl der georderten Dosen von 700 auf 1.120 erhöht. „Auf die restlichen warten wir jetzt“, sagte Maurer. Ob dies ausreiche, sei offen. In diesem Jahr habe die Nachfrage sehr viel früher eingesetzt als sonst. „Vielleicht kommen zum Ende hin nicht so viele.“

Aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung (KVSH) dagegen kann von einem Impfstoff­mangel nicht die Rede sein. Die nächste Charge werde jetzt an die Großhändler geliefert und von dort an die Praxen weitergeleitet, sagte Sprecher Nikolaus Schmidt. „Bis Ende des Jahres wird alles ausgeliefert sein, was bestellt wurde.“ Insgesamt seien das 20 Pro­zent mehr gewesen als im vergangenen Jahr.

Es ließen sich auch viele Menschen impfen, die keinen Impfschutz gegen Grippe bräuch­ten, sagte Jaschkowski. Aus seiner Sicht sollten nur über 60-Jährige und besondere Risi­ko­gruppen geimpft werden. „Der Hauptfehler besteht darin, dass Bundesgesundheits­mi­nister Jens Spahn und einzelne Ärzteverbände im Blick auf Corona dazu aufgefordert ha­ben, auch Menschen zu impfen, die keinen Schutz brauchen“, sagte Jaschkowski.

Deshalb stehe jetzt nicht ausreichend Impfstoff zur Verfügung. Es seien sicher auch Pa­tien­ten geimpft worden, die nicht zu Risikogruppen gehörten, sagte der Hausärztever­band­vorsitzende Maurer. Diese folgten schlicht der Empfehlung Spahns. Er selbst gehe aktiv nur auf Risikopatienten zu, sagte Maurer. Spahns Aufruf sei wenig hilfreich gewe­sen, sagte auch KVSH-Sprecher Schmidt. Richtschnur sollten weiter die Empfehlungen der Impfkommission sein.

Die Grippewellen fallen von Jahr zu Jahr oft unterschiedlich aus. In der vorigen Saison gab es relativ wenige Kranke, zwei Jahre davor sehr viele. Influenzaviren, die die Grippe hervorrufen, zirkulieren nach Angaben des Robert Koch-Instituts zwischen Anfang Okto­ber und Mitte Mai.

Auch nach Einschätzung der Ständigen Impfkommission ist in Deutschland voraussicht­lich nicht genügend Impfstoff vorhanden. Für die Saison 2020/21 sollen rund 25 Millio­nen Dosen zur Verfügung stehen, aber allein für die Versorgung der Menschen mit Impf-Empfehlung würden rund 40 Millionen Dosen benötigt.

dpa

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