Debatte um Abschaffung der Beihilfe: Milliardenentlastung würde von Ärzten finanziert

Berlin – Eine neue Bertelsmann-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass eine gesetzliche Krankenversicherungspflicht für Beamte und die Abschaffung der Beihilfe die Haushalte von Bund und Ländern in Milliardenhöhe entlasten würde. Die Untersuchung zeigt aber auch: Das ginge vor allem zulasten der Ärzte und Krankenhäuser. Die Analyse, die vom Berliner IGES-Institut vorgenommen wurde, hat eine heftige Debatte ausgeslöst.
Bis 2030 könnten die öffentlichen Haushalte laut Bertelsmann durch die Abschaffung des Beihilfesystems bis 2030 mehr als 60 Milliarden Euro sparen. Der Bund gab im Jahr 2014 demnach 4,5 Milliarden Euro für Beamtenbeihilfe aus, in den Ländern lagen die Ausgaben bei 7,4 Milliarden Euro. Die Studie prognostiziert, dass die jährlichen Ausgaben des Bundes bis 2030 auf 6,6 Milliarden und diejenigen der Länder auf 13,6 Milliarden Euro steigen werden.
Der Großteil der Einsparungen der öffentlichen Haushalte würde durch die geringere Vergütung der Ärzteschaft generiert. Die Studie geht von sechs Milliarden Euro jährlich aus, die die Ärzte, die Privatversicherte behandeln, nicht mehr auf der Einnahmeseite verbuchen könnten. Darüber hinaus spricht die Analyse von 3,4 Milliarden Euro zusätzlichen Einsparungen pro Jahr für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV).
Es sei zwar nicht Gegenstand der Studie gewesen, aber vorstellbar, dass die derzeitige Vergütung von Patienten der GKV und der Privaten Krankenversicherung (PKV) angeglichen werde, sagte Stefan Etgeton, Senior Expert bei der Bertelsmann-Stiftung. In der Studie sei zwar angedacht, die Einsparungen in der GKV für die Senkung des Beitragssatzes zu verwenden. Möglich sei aber auch, diese 3,4 Milliarden Euro zusätzlich in die ärztliche Vergütung zu stecken, erklärte er im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt.
PKV-Versicherte würden dezimiert
Momentan sind laut Report 85 Prozent der deutschen Beamten privat versichert. Bund und Länder zahlen dafür eine steuerfinanzierte Beihilfe. Von den derzeit gut drei Millionen privat versicherten Beamten und Pensionären wären laut Untersuchung zwei Drittel versicherungspflichtig in der GKV. Weitere 21 Prozent würden den Berechnungen zufolge aus finanziellen Gründen freiwillig wechseln. „Von den bisher in der PKV versicherten 3,1 Millionen Beamten und Versorgungsempfängern verblieben wahrscheinlich nur etwa 377.000 (zwölf Prozent); von den privat versicherten 980.000 Familienangehörigen wären es etwa 89.000“, heißt es in der Studie.
Der Zugewinn von 2,7 Millionen Beamten mit durchschnittlich fast 38.000 Euro beitragspflichtigem Jahreseinkommen würde die Finanzkraft der GKV nach Ansicht der Stiftung „deutlich stärken“. Die Beitragsmehreinnahmen von knapp 15,2 Millarden Euro pro Jahr würden die Ausgaben für die neuen Mitglieder und ihre rund 900.000 mitversicherten Angehörigen in Höhe von 11,8 Milliarden Euro um 3,4 Milliarden Euro übertreffen, heißt es in der Untersuchung.
Die Stiftung fordert auf Grundlage der Analyse, die Beihilfe für Beamte abzuschaffen. Angesichts der Schuldenbremse müsse der Ausstieg aus dem Beihilfesystem für Beamte eingeleitet werden, erklärte Etgeton. Je konsequenter die gesetzliche Versicherungspflicht umgesetzt werde, desto positiver seien die Effekte für die öffentlichen Haushalte.
Unterstützung von SPD, Opposition und DGB
Die Akteure im Gesundheitswesen bewerteten die Studie unterschiedlich. Rückenwind kommt von der Grünen-Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink. Sie wertete die Studie als Nachweis, dass die PKV durch die Regelungen für die Beamten künstlich staatlich alimentiert werde. Klein-Schmeink forderte eine Bürgerversicherung, die zu mehr Wahlfreiheit für die Beamten führe. Auch der SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach erklärte, das Gutachten der Stiftung bestätige im Großen und Ganzen bereits vorliegende Berechnungen. Die SPD-Bundestagsfraktion halte die breite Einführung einer Bürgerversicherung „weiterhin für sinnvoll“.
Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger plädierte für eine gesetzliche öffentliche Gesundheitsversicherung, in die auch Beamte und Selbstständige einzahlten. Davon profitierten alle. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sprach sich für eine Versicherungspflicht für Beamte in der GKV aus. Das sei sowohl ein Schutz für die Beamten vor den explodierenden Prämienkosten der privaten Krankenversicherung als auch insgesamt eine Entlastung für die öffentlichen Haushalte, sagte das DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.
Kritik von CDU, Ärzten und PKV
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Maria Michalk (CDU), kritisierte hingegen, dass etwa beamten- und verfassungsrechtliche Fragen nicht thematisiert worden seien. Sie zeigte sich zudem überzeugt, dass das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung sich bewährt habe. Ähnlich äußerte sich die Bundesärztekammer (BÄK). „Die Ergebnisse der aktuellen Bertelsmann-Untersuchung mögen auf den ersten Blick beeindruckend klingen“, sagte BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery. Bei genauerer Betrachtung werde jedoch deutlich, dass sich die Autoren ein Szenario zurechtgezimmert hätten, dass jeglichem rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Realitätssinn entbehre.
„Die Autoren selbst gestehen ein, dass eine verfassungs- oder beamtenrechtliche Bewertung ihres Modells nicht erfolgt ist. Das wäre aber aufschlussreich gewesen, zum Beispiel um die Frage zu klären, was aus den angesparten Alterungsrückstellungen der privat versicherten Beamten wird“, erklärte Montgomery. Unklar sei auch, wie zwei Drittel der rund drei Millionen Beamten Pflichtbeiträge zur Krankenversicherung auferlegt werden könnten, ohne dies bei der Besoldung und Versorgung finanziell zu kompensieren.
Der BÄK-Präsident bemängelte zudem, die Studie lasse Aspekte der gesundheitlichen Versorgung komplett außen vor. „In den Niederlanden oder in Großbritannien sehen wir, dass Einheitssysteme zu Rationierung, Wartezeiten und zu Begrenzungen in den Leistungskatalogen führen“, sagte Montgomery. Diejenigen, die es sich leisten könnten, sicherten sich einen exklusiven Zugang zur Spitzenmedizin als Selbstzahler oder durch teure Zusatzversicherungen.
Hinzu komme, dass die PKV die rasche Übernahme des medizinischen Fortschritts für alle Patienten ermögliche. Die Existenz der PKV führt Montgomery zufolge mit einem hohen Leistungsversprechen dazu, dass auch das GKV-System versucht, einen hohen Versorgungsstandard trotz aller Sparbemühungen aufrechtzuerhalten. „So fördert die private Krankenversicherung Innovationen bei Diagnostik und Therapie, genehmigt sie schnell und setzt damit die Krankenkassen in der Regel unter Zugzwang“, sagte er.
Nicht weiter thematisiert werde auch, dass das Bertelsmann-Modell der medizinischen Versorgung mehr als sechs Milliarden Euro pro Jahr entziehen würde. „Das trifft nicht nur Ärzte, Physiotherapeuten oder Hebammen, sondern auch und gerade die Patienten“, sagte der BÄK-Chef. Denn Privatversicherte ermöglichten mit ihrem die tatsächlichen Kosten deckenden Finanzierungsbeitrag eine hochwertige medizinische Ausstattung von Krankenhäusern und Praxen, die allen Patienten unabhängig von ihrem Versicherungsstatus zur Verfügung stehe.
Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, bezeichnete die Studie als „in hohem Maße unseriös“. Mit Blick auf den Anspruch der Stiftung an Seriosität und Glaubwürdigkeit sei es geradezu erschreckend, wie die Studie auf Basis mehr oder weniger willkürlich gegriffener Zahlen Einspareffekte generiere und leichtfüßig mit Milliardenbeträgen jongliere, so Reinhardt. „Dass diese Studie pünktlich zum Auftakt des Wahljahres 2017 präsentiert wird, kann angesichts der bevorstehenden politischen Debatte um die Zukunft der Privaten Krankenversicherung wohl kaum als Zufall bezeichnet werden“, sagte Reinhardt.
Der Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) sieht die Schlussfolgerungen aus der Studie der Bertelsmannstiftung ebenfalls kritisch. Alle Leistungserbringer und vor allem die Ärzte würden indirekt zur Kasse gebeten. „Diese Idee ist nicht umsetzbar, weil sie zu Lasten der sozial Schwachen geht und die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gefährdet“, sagte BDI-Präsident Hans-Friedrich Spies.
Heftige Kritik kam auch von der PKV. PKV-Direktor Volker Leienbach verwies darauf, dass die Stiftung auch nach eigenen Angaben die verfassungsrechtlichen Fundamente des geforderten Umbaus der Gesundheitsabsicherung gar nicht geprüft habe. „Eine solche ,Studie’ ist auf Sand gebaut und kann schon im Ansatz nicht ernst genommen werden.“ Sie blende wesentliche Kostenfaktoren aus. „Die unvollständige Datenauswahl ist augenscheinlich von der Absicht geprägt, zu einem von vornherein gewünschten Ergebnis zu gelangen“, hieß es von der PKV.
„So beziffert die Studie zwar die vermeintlichen Einsparungen der Staatshaushalte bis 2030 durch die Verlagerung der Kosten für die Versorgung der Beamten auf die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Sie verschweigt aber die Auswirkungen auf die GKV-Versicherten im selben Zeitraum.“ Dabei ist nach PKV-Darstellung „absehbar, dass die GKV-Versicherten durch steigende Beitragssätze mittel- und langfristig wesentlich stärker belastet würden“.
Darüber hinaus betonte die PKV, die Vorschläge von Bertelsmann brächten milliardenschwere Verluste für Arztpraxen ebenso wie für Hebammen, Physiotherapeuten und viele andere Gesundheitsberufe. „Schon ab dem ersten Jahr sollen sie 6,1 Milliarden Euro einbüßen – wodurch im Ergebnis die Infrastruktur und die medizinische Versorgungsqualität für alle Patienten verschlechtert würden“, sagte Leienbach.
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