Digitale Gesundheitsanwendungen: KBV warnt vor neuen Wirtschaftlichkeitsprüfungen

Berlin – Der geplante Ausbau Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) trifft auf Widerstand in der Selbstverwaltung. Die Bundesregierung plant mit dem Digitalgesetz (DigiG), DiGA auf höhere Risikoklassen auszuweiten und die Rolle der Krankenkassen bei der Zuverfügungstellung zu stärken. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warnt gar vor neuen Wirtschaftlichkeitsprüfungen.
Ziel des Gesetzentwurfs ist, DiGA tiefer in die Versorgungprozesse zu integrieren. Dazu soll der Leistungsanspruch auf Medizinprodukte höherer Risikoklassen, namentlich die Risikoklasse IIb, ausgeweitet und so auch weitergehende Versorgungsszenarien ermöglicht werden.
Dabei will die Bundesregierung auch die Preisgestaltung stärker an Erfolgskriterien ausrichten und so für eine Steuerung des Angebots noch besser nutzbar machen. „Es wird ein transparenter Qualitätswettbewerb etabliert“, heißt es im DigiG-Entwurf.
So soll für alle im Verzeichnis gelisteten DiGA eine anwendungsbegleitende Erfolgsmessung obligatorisch vorgegeben werden, deren Ergebnisse fortlaufend an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldet und im Verzeichnis veröffentlicht werden. Der GKV-Spitzenverband wiederum soll das Nähere über das Genehmigungsverfahren einheitlich regeln.
Letzteres lehnt die Bundesärztekammer ab. DiGA dürften nicht allein durch die Krankenkassen genehmigt und zur Verfügung gestellt werden. Ihr Einsatz erfordere wie alle anderen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen eine sorgfältige Indikationsstellung und eine partizipative Entscheidungsfindung in der Interaktion zwischen Arzt und Patient.
„Der Einsatz von DiGA muss sinnvoll in das Gesamtbehandlungskonzept integriert werden. Gerade bei DiGA höherer Risikoklassen müssen auch eventuelle Kontraindikationen geprüft werden“, stellt die BÄK klar. „All dies kann bei einer Bereitstellung ohne Einbindung des Arztes nicht gewährleistet werden.“
Der GKV-Spitzenverband stimmt dem zu: DiGA seien Teil des ärztlich verantworteten diagnostisch-therapeutischen Prozesses, bei dem die Software nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern einer sorgfältigen Indikationsstellung und Anwendung mit einem strukturierten Zusammenspiel von Arzt, Schulungsfachkraft und Patient bedürfe.
Die KBV wiederum warnt vor möglichen wirtschaftlichen Folgen für Ärztinnen und Ärzte. Sie schlägt deshalb vor, zur Gewährleistung der Verordnungssicherheit stattdessen eine Regelung zu schaffen, mit der für ärztlich verordnete DiGA ein grundsätzlicher Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen eingeführt wird.
„Damit würde, wie auch für andere ärztlich veranlasste Leistungen, wie beispielsweise Hilfsmittel oder häusliche Krankenpflege, die wirtschaftliche Verantwortung in erster Linie von den Krankenkassen getragen“, schreibt sie in ihrer Stellungnahme. „Andernfalls drohen den verordnenden Ärzten nachgelagerte Wirtschaftlichkeitsprüfungen mit aufwendigen Stellungnahmeverfahren, wie in den Verordnungsbereichen, die keiner Genehmigungspflicht unterliegen.“
Den verordnenden Ärzten würde so ein Genehmigungsvorbehalt auch vor dem Hintergrund der hohen Preise für DiGA die nötige Verordnungssicherheit geben.
Der GKV-Spitzenverband hingegegen begrüßt die geplante Neuregeleung. Es sei im Interesse der Versicherten grundsätzlich nachvollziehbar, das Genehmigungsverfahrendurch Krankenkassen im Rahmen einer rechtsverbindlichen Richtlinie zu vereinheitlichen, schreibt er in seiner Stellungnahme.
Allerdings sei es dafür zwingend erforderlich, dass die Informationen zu den Spezifika der jeweiligen DiGA – beispielsweise das Vorliegen von Kontraindikationen oder notwendige Eingangsdiagnostik – einheitlich, transparent und regelhaft zur Verfügung gestellt werden.
„Bisherige Erfahrungen haben gezeigt, dass die im Rahmen des DiGA-Verzeichnisses zur Verfügung gestellten Informationen nicht regelhaft verlässlich, zum Beispiel im Hinblick auf die Angabe von absoluten und relativen Kontraindikationen, Altersangaben oder präzisierten Diagnoseschlüsseln, sind", schreibt der Verband. Eine konkrete gesetzliche Verpflichtung zur Angabe erforderlicher Informationen im Rahmen des DiGA-Verzeichnisses sei daher unverzichtbar.
Insbesondere die Pläne zur Aufwertung von DiGA hin zu höheren Risikoklassen stoßen ebenfalls auf breite Ablehnung. Zwar erweitere das die Versorgungsmöglichkeiten und damit den potenziellen Nutzen, räumt die BÄK ein. Es erhöhe aber gleichzeitig das Risiko von Schäden durch unsachgemäße Anwendung, nicht ausgereifte oder fehlerhafte Produkte oder sonstige Ursachen.
Bereits die Erfahrungen mit der Bewertung von DiGA niedriger Risikoklassen durch das BfArM hätten gezeigt, dass diese nicht immer den Kriterien einer Methodenbewertung genügt, obwohl sie bei manchen DiGA der Risikoklasse IIa angezeigt gewesen wäre, wendet die KBV ein. Der GKV-Spitzenverband argumentiert genauso.
Die BÄK fragt aus diesem Grund, ob das BfArM die geeignete Instanz ist, oder ob nicht eher die Nutzenbewertung durch G-BA unter Beteiligung der BÄK erfolgen sollte. Das wäre schließlich nur eine Ergänzung der dort bereits etablierten Verfahren der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Zusammenhang mit der Anwendung von Medizinprodukten.
„Einer weiteren Manifestierung von Doppelstrukturen in der Zuständigkeit bei der Bewertung des Nutzens von Anwendungen sollte kein Vorschub geleistet werden“, schreibt die BÄK. Sie fordert deshalb eine Beteiligung der Selbstverwaltung bei der Bewertung und Aufnahme von DiGA der Risikoklasse IIb in das BfArM-Verzeichnis.
Auch nach Sicht der KBV ist ein Methodenbewertungsverfahren durch den G-BA erforderlich. „Die Vorgabe, dass in solchen Fällen der positive Versorgungseffekt in Form eines medizinischen Nutzens nachzuweisen sei, ist hierfür nicht ausreichend“, heißt es in der KBV-Stellungnahme.
Durch die geplante Hinzunahme von DiGA mit einer Risikoklasse IIb nach der MDR werde der bisher adressierte Bereich der „Medizinprodukte niedriger Risikoklasse“ verlassen, ohne dass eine wissenschaftliche Evaluation der bisherigen Erfahrungen vorliege.
„Auch wenn für DiGA mit einer Risikoklasse IIb nach MDR künftig der Nachweis eines medizinischen Nutzens erforderlich sein soll (…), bewegen sich diese Anwendungen regelmäßig im Bereich von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Daher sollte konsequenterweise eine Bewertung durch den G-BA vorgenommen werden“, schreibt sie in ihrer Stellungnahme.
Dieser wiederum betrachtet die Pläne „mit großer Sorge“, wie er schreibt: Selbst reine Software dieser Risikoklasse berge bereits ein erhebliches Risiko für die Patientengesundheit, weil sie nach den Einordnungskriterien der MDR „schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands einer Person oder einen chirurgischen Eingriff verursachen können“ oder sogar zu einer „unmittelbaren Gefahr für den Patienten führen kann“.
Darüber hinaus sei eine Reihe von DiGA aber auch als aktive Produkte im Sinne der MDR einzuordnen. Deshalb umfasse die Öffnung der Klasse IIb auch invasive Produkte zur langzeitigen Anwendung und Medizinprodukte für die Diagnose in klinischen Situationen, in denen der Patient in unmittelbarer Gefahr schwebt.
„Das bisherige Bild der DIGAs ist von harmlosen Apps und Pulsmessern geprägt. Die Erweiterung verändert dieses massiv hin zu Geräten mit erheblichen Gesundheits- und Haftungsrisiken“, warnt der G-BA.
Zwar würden die hauptamtlichen unparteiischen Mitglieder des G-BA in dem Zusammenhang begrüßen, dass die Anforderungen für die Anerkennung der digitalen Anwendungen angehoben werden sollen. Allerdings seien die geforderten prospektiven Vergleichsstudien methodisch nicht durchgehend hinreichend valide, um Risiken zuverlässig auszuschließen.
Auch der im Fast-Track- Verfahren erzeugte Zeitdruck für die Prüfung der eingereichten Unterlagen schaffe dabei eine zusätzliche Fehleranfälligkeit. Dabei sei zudem zu beachten, dass die vorliegende Definition des medizinischen Nutzens Risiken und Kosten nicht beinhalte.
„Im Ergebnis ist deshalb zu befürchten, dass (auch) Medizinprodukte mit schwachen Nutzenbelegen und unzureichenden Risikobewertungen im Schnellverfahren in die Versorgung aufgenommen werden“, befürchtet der G-BA. „Die hauptamtlichen unparteiischen Mitglieder sprechen sich deshalb klar und entschieden gegen die Erweiterung des Verfahrens (…) auf digitale Gesundheitsanwendungen der Risikoklasse IIb aus.“
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