Politik

Gesundheitsdaten: Europa und USA arbeiten an transatlantischem Austausch

  • Donnerstag, 22. Juni 2023
/ipopba, stock.adobe.com
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Berlin – Gesundheitsdaten für Forschung und Versorgung sollen in Zukunft besser zwischen Europa und den USA ausgetauscht werden können. Deutsche und amerikanische Wissenschaftler und Regierungsvertreter wollen dazu nun auf Initiative des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) Lösungen zum transatlantischen Datenaustausch erarbeiten.

Es handele sich um nicht weniger als eine Zeitwende, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): So wie der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine neue sicherheitspolitische Ära eingeläutet habe, so beginne mit dem Durchbruch generativer Künstlicher Intelligenz (KI) ein neues Zeitalter in medizinischer Forschung und Versorgung.

Auf europäischer Ebene werde dem mit dem Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) Rechnung getragen, dessen landesspezifische Ausgestaltung die Bundesregierung mit mehreren Gesetzen vom Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) bis zum Registerdatengesetz vornimmt.

Doch das werde nicht reichen, so Lauterbach: „Wenn wir nicht zurückbleiben wollen, müssen wir uns zusammenschließen und Daten sowohl innerhalb Europas als auch transatlantisch miteinander teilen“, sagte er bei der Data for Health Conference, die das BMG gemeinsam mit der Harvard Medical School veranstaltete.

Es habe in der jüngsten Vergangenheit eine Explosion wissenschaftlicher Erkenntnisse gegeben. So würden es Large Language Modules (LLM) – das bekannteste davon ist ChatGPT – mittlerweile ermöglichen, bedeutend einfacher und umfangreicher als je zuvor mit riesigen Datensätzen zu arbeiten.

„Deshalb befinden wir uns am Vorabend großer Ereignisse“, betonte Lauterbach. „Wenn man diese Möglichkeiten nutzen möchte, muss man aber auch das entsprechende Umfeld dafür schaffen.“

Die Konferenz sollte deshalb den Auftakt dazu bilden, auf akademischer und politischer Ebene die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen zu erarbeiten, unter denen Akteuren in den beteiligten Gesundheitswesen der Zugang zu sensiblen Gesundheitsdaten ermöglicht werden kann.

Ein erstes Ergebnis ist das Vorhaben, an synthetischen – also künstlich erzeugten – Daten den Austausch zu erproben. Man wolle „das System mit synthetischen Daten durchspülen“, um sowohl technische als auch regulatorische Potenziale und Schwierigkeiten zu identifizieren, sagte Lauterbach.

Dabei sollen Verfahren, Mustertexte und Vorlagen für künftige Strukturen zum Datenaustausch entwickelt werden, die unter anderem die Antragsprozesse für Forschende massiv erleichtern. Dazu brauche es auch institutionelle Einrichtungen, also konkrete Instrumente auf EU-Ebene, die den transatlantischen Datenzugang zwischen Behörden und Forschungseinrichtungen rechtssicher ermöglichen.

Das sei auch im Interesse der USA, erklärte Robert Eiss, Senior Global Health Adviser der US National Institutes of Health. Der transatlantische Datenaustausch sei beispielsweise künftig entscheidend, um bei klinischen Studien repräsentative Patientengruppen für seltene und komplexe Indikationen zusammenzutragen.

Er bot der Bundesregierung dazu Verhandlungen an: „Die National Institutes of Health sind absolut gewillt, gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium und anderen Institutionen in Europa zusammenzuarbeiten, um Lösungen für regulatorische Fragestellungen zu finden.“

Auch die US-Arzneimittelbehörde FDA verfolge die Entstehung des EHDS und stehe für Beratungen gern zur Verfügung, betonte Shannon Thor vom FDA Europe Office. Die Regierung sehe das nicht anders: „Die US-Administration begrüßt die Schaffung des EHDS und den Willen Europas Daten zu teilen und gemeinsam zu nutzen“, erklärte Clark Price, der Gesandte – also stellvertretende Botschafter – der US-Botschaft in Berlin.

Neben der technischen Harmonisierung der Daten – also beispielsweise der Einigung auf gemeinsame Standards – sahen die Konferenzteilnehmer unisono die europäische, insbesondere die deutsche Handhabung des Datenschutzes als zentrales Problem und mahnten große Reformen an.

Es herrsche eine „Imbalance von Datenschutz und Datennutzung“, betonte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx. Die Verantwortung liege hier bei einer ganzen Reihe von Stakeholdern, das zu ändern. Es brauche nicht nur einen politischen und wirtschaftlichen, sondern grundlegenden gesellschaftlichen Wandel.

Es müsse auf die Bevölkerung eingewirkt werden, um eine konstruktivere und stärker nutzen – statt gefahrenorientierte Auffassung von Datenschutz zu erreichen. „Ärztinnen und Ärzte sind hier großartige Multiplikatoren“, erklärte Buyx. „Es ist deshalb eine wichtige Aufgabe, sie zu überzeugen, auch wenn das ein harter Kampf ist.“ Sie forderte, künftig bei allen Datenzugängen konsequent auf Opt-out-Verfahren zu setzen.

„Wir schützen in Deutschland keine Daten, sondern wir vernachlässigen sie“, erklärte auch Michael Hallek, der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Er schlug vor, bessere Anreizsysteme für Datenerfassung und -austausch zu schaffen.

Der Datenfluss im Gesundheitswesen folge meist dem Geldfluss, betonte er: „Ich denke deshalb, es wäre ein kluger Schritt, die Datenbereitstellung mit Vergütung und Erstattung zu verbinden.“

Noch deutlicher wurde Lawrence Lessig, Professor für Rechtswissenschaften an der Harvard Law School und einer der weltweit renommiertesten Urheberrechtsexperten. „Es werden unzählige Menschenleben geopfert für das abstrakte und letztendlich bedeutungslose Konzept der Einwilligung zur Datenverarbeitung“, betonte er mit Blick auf den hiesigen Datenschutz.

Der werde hierzulande „als eine Kostbarkeit gesehen, als hätte er dieselbe Heiligkeit wie das menschliche Leben selbst. Es wurde eine riesige Maschinerie geschaffen, um Wohltaten sicherzustellen, die niemand wirklich will.“

Es brauche deshalb einen Paradigmenwechsel, wie sich beispielsweise konkret bei der Debatte um die mögliche Re-Identifizierung anonymisierter oder pseudonymisierter Forschungsdaten erkennen lasse.

Statt aufgrund dieser theoretischen Möglichkeiten über weitere Beschränkungen für die Datennutzung zu diskutieren, sei es weit zielführender, konsequent die Kriminalisierung und Verfolgung von Geschäftsmodellen und anderen Tätigkeiten voranzutreiben, die auf der Re-Identifizierung sensibler Gesundheitsdaten beruhen, so Lessig.

lau

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