Medizinische Ethikkommissionen stecken Feld für sekundäre Datennutzung ab

Berlin – Einer sekundären Nutzung von Daten zu Forschungszwecken stehen die medizinischen Ethikkommissionen in Deutschland grundsätzlich positiv gegenüber.
„Allerdings muss bei Forschungsprojekten mit sekundärer Datennutzung der erwartete Nutzen für die Allgemeinheit gegen die Risiken für den Datenspender abgewogen werden“, sagte Georg Schmidt. Zudem müsse das Thema dringend innerärztlich und gesellschaftspolitisch debattiert werden, so der Vorsitzende des Arbeitskreises der Medizinischen Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland (AKEK) gestern zur Eröffnung der Sommertagung des AKEK in Berlin.
Bei dieser standen angesichts der Ankündigungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), in den kommenden Wochen und Monaten die Voraussetzungen dafür schaffen zu wollen, dass Deutschland als Forschungsstandort nicht weiter zurückfällt, die Chancen und Herausforderungen der sekundären Datennutzung im Fokus.
Mit dem Ziel, große Daten- und Probenmengen zu sammeln, sei in Deutschland vor einigen Jahren das Verfahren des Broad Consent unter der Führung des AKEK etabliert worden, erklärte Schmidt. Es ermögliche das Sammeln von Daten und Proben für zukünftige Forschungsprojekte, deren Ziele zum Zeitpunkt der Daten- und Probenerhebung noch nicht benannt werden könnten, setze aber eine aktive Zustimmung voraus. Durch ein Opt out-Verfahren könnte die Zahl der verfügbaren Daten und Proben weiter erhöht werden. Dies müsse jedoch sorgfältig abgewogen werden.
Damit äußern sich die medizinischen Ethikkommissionen ähnlich wie die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer (ZEKO). Diese hatte in ihrer vor einigen Wochen im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Stellungnahme zur „Bereitstellung und Nutzung von Behandlungsdaten zu Forschungszwecken“ die zwei Seiten der Nutzung von Behandlungsdaten zu Forschungszwecken betont.
Einerseits gelte es, Forschungshindernisse zu beseitigen, andererseits müssten aber auch die informationelle Selbstbestimmung und die Privatsphäre der Datengebenden geschützt werden, urteilte sie und unterstrich, dass Gesundheitsdaten, wenn sie nicht vollständig anonymisiert werden könnten, sehr sensible Daten seien.
Der Dynamik des Prozesses sind sich ZEKO und AKEK bewusst. Die Institutionalisierung eines Datentransfers von der Behandlung in die Forschung dürfe aber nicht dazu führen, dass Zeit und Aufwand zu einer Last im Arzt-Patienten-Verhältnis würden, betonen sie.
„Der Forschungsprozess ist im Wandel“, bestätigte gestern auch Harald Binder, Direktor des Instituts für Medizinische Biometrie und Statistik am Universitätsklinikum Freiburg. Es sei möglich, Evidenz aus klinischen Routinedaten zu gewinnen, allerdings sei eine sorgfältige Planung und Analyse nötig.
Unterstützung vom Gesetzgeber versprach Thomas Renner, Leiter der Unterabteilung „Digitalisierung und Innovation“ beim Bundesgesundheitsministerium (BMG): Da viele Studien zeigten, dass auch Routinedaten die Versorgung deutlich verbessern könnten, wolle man in Kürze mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) die Datenverfügbarkeit deutlich erhöhen, sagte er. „Noch gibt es zahlreiche Barrieren der Datenverfügbarkeit“, kritisierte er. Dazu gehörten mangelnde Interoperabilität, datenschutzrechtliche Unsicherheiten, eine mangelnde Verknüpfbarkeit der verschiedenen Datenquellen sowie die Tatsache, dass es noch keine strukturierten Daten in der elektronischen Patientenakte gebe.
„Wir brauchen einen vereinfachten Zugang für Forscherinnen und Forscher zu den Gesundheitsdaten“, betonte bei der AKEK-Sommertagung auch Sebastian Semler, Geschäftsführer der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF). Zudem seien die Hindernisse durch das föderale System in Deutschland bei Forschung und Datenschutz zu überwinden.
„Insbesondere brauchen wir aber eine vereinfachte Kooperation innerhalb der Europäischen Union“, so der Arzt und Medizininformatiker. Dazu müssten die bestehenden Datenräume zusammengeführt werden. Zudem sei es wichtig, dass die verschiedenen Digitalgesetze in Deutschland – beispielsweise das GDNG oder das Registergesetz – eng mit dem europäischen Datenraum (EHDS) abgestimmt seien. „Wir brauchen eine übergreifende Architektur und einen übergreifenden Rechtsrahmen“, betonte er. Semler verwies dabei auf Finnland, wo die Beforschung von Gesundheitsdaten bereits dazu beitrage, die Versorgungsqualität zu verbessern.
„In Deutschland schützen wir die Daten, nicht die Forschung“, kritisierte Christian Dierks, Fachanwalt für Sozial- und Medizinrecht in Berlin sowie Arzt und Professor für Gesundheitssystemforschung an der Charité Berlin. Er bemängelte bei der AKEK-Sommertagung die deutsche Skepsis gegen einwilligungsfreie Forschung. Nach seiner Ansicht müssten Daten, die mit den Mitteln sozialer Sicherungssysteme erhoben wurden, auch dem Gemeinwohl zur Verfügung stehen. Das Prinzip des „Daten teilen heißt heilen“ bilde sich im EHDS gut ab, meinte er.
Rein einwilligungsbasierte Forschung führe dagegen zu einer erheblichen Verzerrung in der Datengrundlage, kritisierte Dierks. Denn einwilligen könnten nur diejenigen, die dazu körperlich und psychisch in der Lage seien. Der hieraus resultierende reduzierte Datenbias führe dazu, dass wissenschaftliche Ergebnisse bestimmte Teile der Bevölkerung nicht abbilden könnten. Große Hoffnungen setzt der Arzt und Jurist deshalb auf den EHDS, der mit hohen Datenschutzstandards aufgebaut werden müsse.
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