Heilberufe erneuern Schulterschluss gegen Lauterbach

Berlin – Die Spitzen der Heilberufe haben ihren Schulterschluss gegenüber der Politik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erneuert. Gemeinsam warnten Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) heute in Berlin davor, dass es schon bald zu dramatischen Versorgungslücken kommen könnte.
Bereits vor einem halben Jahr hatte sich der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen mit seinem KZBV-Amtskollegen Martin Hendges und ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening gemeinsam an die Öffentlichkeit gewandt und Lauterbach vor allem vorgeworfen, taub für die Anliegen der Heilberufe zu sein.
Diesmal war ihre Runde um den DKG-Vorstandsvorsitzenden Gerald Gaß angewachsen, doch weder habe sich etwas an der Lage gebessert noch am Stil, mit dem das Bundesgesundheitsministerium (BMG) seine politischen Reformen vorantreibt. „Uns vier eint die Sorge um die Gesundheitsversorgung in Deutschland, weil wir kurz- und mittelfristig Einschränkungen erwarten, die alle Patientinnen und Patienten betreffen werden“, erklärte Gaß zum Auftakt.
Die Zahl der Krankenhausinsolvenzen werde kontinuierlich steigen, aktuellen Zahlen zufolge plane mehr als die Hälfte der Häuser Einschränkungen bereits Einschränkungen wie Stellenabbau oder Stationsschließungen. Die Mehrheit plane das bereits für die kommenden zwölf Monate.
Lauterbachs Krankenhausreform werde seitens des Ministeriums so schlecht gemanagt, dass man praktisch von einem Scheitern sprechen müsse, betonte er. Es liege noch nicht einmal ein offizieller Entwurf vor und das, was bisher an Vorhaben bekannt sei, würde zu einem Aufwuchs an Bürokratie führen, ohne dass die zentralen Ziele des Gesetzes auch nur ansatzweise erreicht würden.
„Es gibt überhaupt kein Element im jetzigen Gesetzentwurf, das kurzfristig eine Stabilisierung bringen würde“, erklärte Gaß. Stattdessen bleibe es bei einer „extremen Fallzahlabhängigkeit“. Berechnungen würden zeigen, dass die Unterschiede zum heutigen System marginal seien.
Das hätte verhindert werden können. Die DKG habe das Gespräch gesucht und angeboten, auch den Rat ihrer eigenen Finanzierungsexperten hinzuziehen – diese seien schließlich diejenigen, die die tatsächlichen Bedürfnisse am nächsten seien.
Doch seit Dezember 2022 sei die DKG kein einziges Mal offiziell zu einem Gespräch geladen gewesen. Auch auf der Fachebene gebe es keinen Austausch mit dem Ministerium, da den dortigen Referenten ein Sprechverbot auferlegt worden sei. „Es gibt ein eklatantes Kommunikationsdefizit“, kritisierte er.
Zwar habe die KBV mehr Kontakt zu Lauterbach, aber auch ihr gegenüber verweigere er sich konsequent dem fachlichen Gespräch, erklärte Gassen. Es gebe zwar ständig „Gesprächskreise“, deren Ergebnisse würden aber schon vorher feststehen. „Ein echter inhaltlicher Austausch mit dem Ministerium findet nicht statt“, betonte er. „Es werden Reformen am Reißbrett entworfen, die aber am Rendez-vous mit der Realität scheitern.“
Fast alle Gesetzentwürfe seien zu kompliziert, nicht zu Ende gedacht und mit kaum absehbaren gewaltigen Folgen behaftet. Und ein weiteres Muster sei zu erkennen: Alle Entwürfe würden eine standardisierte und zentrierte Versorgung favorisieren, und zwar mit Standards, deren Sinnhaftigkeit sich aus Versorgungssicht nicht erschließt.
„Ich habe nicht das Gefühl, dass man im BMG auf eine dezentrale Versorgung durch inhabergeführte Praxen setzt, sondern auf ein zentralisiertes staatliches System, wie wir es aus anderen Ländern kennen und – offen gesagt – auch fürchten“, sagte Gassen.
Das System der ärztlichen und psychotherapeutischen Praxen werde von selbstständigen Freiberuflern geführt, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten an ihrem Standort und mit ihrem Personal individuell passend das Bestmögliche machten. Das passe in keine bundesweite Schablone, unterstrich Gassen.
Statt einer Berücksichtigung dessen würden völlig praxisferne Vorgaben formuliert, die bis ins Detail ins Praxismanagement gingen und den Praxen immer mehr Leistungen abverlangten. Wenige schnell umsetzbare Regelungen wie eine pragmatische Entbudgetierung der Hausärzte oder eine Abschaffung der TI-Sanktionen könnten demgegenüber erste richtige Impulse setzen, würden aber nicht angegangen, kritisierte der KBV-Vorstandsvorsitzende.
In der zahnärztlichen Versorgung sei die Budgetierung 2022 sogar wieder eingeführt worden, betonte KZBV-Vorstandschef Hendges: „Eine flächendeckende zahnärztliche Versorgung, wie es sie bislang gab, ist unter den desaströsen politischen Rahmenbedingungen kaum noch zu gewährleisten.“ Davon sei vor allem die präventionsorientierte Parodontitistherapie betroffen.
Zudem sei noch immer keine gesetzliche Regulierung für Medizinische Versorgungszentren, die von versorgungsfremden Investoren betrieben würden, geschaffen worden. Der Anteil von investorenbetriebenen MVZ an allen zahnärztlichen MVZ liege mittlerweile bei rund 30 Prozent. Mit deren Fokus auf schnelle Rendite würden diese eine erhebliche Gefahr für die Patientenversorgung darstellen.
Auch die Arzneimittelversorgung werde immer schlechter, mahnte ABDA-Präsidentin Overwiening: „Im vergangenen Jahr sind 500 Apotheken weggefallen. Das ist ein neuer Negativrekord und entspricht der Apothekenzahl in Thüringen.“ Die Zahl der nicht lieferbaren Arzneimittel steige unterdessen immer weiter. Das Apothekenhonorar sei seit elf Jahren nicht angepasst und zuletzt sogar gekürzt worden.
Hinzu kämen die Probleme bei der Einführung des elektronischen Rezeptes (E-Rezepts). Ständige Ausfälle würden dazu führen, dass Patienten regelmäßig stundenlang gar nicht mit Arzneimitteln versorgt werden können, sagte sie. All diese Probleme würden die Apothekenteams trotz des sich immer weiter verschärfenden Fachkräftemangels bewältigen müssen.
Dass sie mit alldem beim Minister durchdringen könnten, würden sie nicht mehr glauben, erklärte Gaß. „Wir haben nahezu die Hoffnung aufgegeben, bei Karl Lauterbach Einsicht zu schaffen“, sagte er. Die Adressaten der Kommunikation seien deshalb mittlerweile eher die Wahlkreisabgeordneten der Regierungsparteien, die sich oft vor Ort für den Erhalt der Krankenhäuser einsetzen.
Auch innerhalb der Regierungsfraktionen im Bundestag gäre es mittlerweile, betonte demgegenüber Gassen. „Da ist eine gewisse Entfremdung zu spüren“, sagte er. „Der parlamentarische Prozess ist da etwas entkoppelt.“ Zudem müssten die Heilberufler verstärkt auf die Patienten zugehen. „Wir haben jeden Tag Millionen Kontakte und vier Wahlen in diesem Jahr.“
Overwiening legte Wert darauf, dass die verschiedenen Helberufe dabei stärker an einem Strang ziehen müssten. Bisher sei immer versucht worden, einzelne Versorgungsbereiche herauszupicken „und ihnen einen Brotkrumen hinzuwerfen“, um sie auseinanderzutreiben.
Zumindest hier zeigte Gaß sich optimistisch: „In der Vergangenheit war es ja oft so, dass Praxen und Krankenhäuser sich als Wettbewerber verstanden haben“, erklärte er. „Das hast sich geändert.“ Man könne im Detail anderer Meinung sein, betonte auch Gassen. Aber in den fundamentalen Anliegen stimme man mittlerweile überein.
Während aus der Politik umgehend Zustimmung kam – Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) mahnte an, den Appell als Weckruf zu verstehen – verteidigte der AOK-Bundesverband Lauterbach.
DKG, KBV, KZBV und ABDA hätten „zuletzt immer wieder schrille Töne angestimmt“, erklärte die Vorstandsvorsitzende Carola Reimann. Zwar sei es zutreffend, dass Lauterbach Expertise und regionale Kompetenz ernstnehmen müsse. Jedoch leide das Gesundheitswesen nicht an fehlenden finanziellen Ressourcen, sondern vor allem an veralteten Strukturen, hierarchischen Arbeitsweisen und verschleppten Reformen, kritisierte sie.
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