Medizin

Herzinsuffizienz bei ärmeren Menschen häufiger

  • Mittwoch, 22. November 2017
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Oxford – Ärmere Menschen erkranken häufiger und um Jahre früher an einer chroni­schen Herzinsuffizienz, deren Häufigkeit infolge der steigenden Lebenserwartung zunimmt. In Großbritannien ist die Zahl der Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz laut einer Studie im Lancet (2017; doi: 10.1016/S0140-6736(17)32520-5) höher als die Zahl der Erkrankungen an Lungen-, Brust-, Darm- und Prostatakrebs zusammen­genommen.

Die chronische Herzinsuffizienz gehört nicht zu den Erkrankungen, die in den Medien für Schlagzeilen sorgen. Dabei ist die Erkrankung häufig und die Prognose ungünstiger als bei den meisten Krebserkrankungen. In Deutschland werden jedes Jahr mehr als 900.000 Patienten mit der Diagnose Herzinsuffizienz im Krankenhaus behandelt.  Es bleibt allerdings offen, ob es sich um die Primärdiagnose handelt, also den Anlass für die Hospitalisierung, oder um eine Nebendiagnose).

Die Gründe für eine Zunahme sind in erster Linie in der Demografie zu suchen. Die Erkrankung tritt in der Regel erst im höheren Alter auf. Mit dem Eintritt der Baby-Boom-Generation ins Rentenalter und der allgemeinen Steigerung der Lebens­erwartung ist mit einem deutlichen Anstieg zu rechnen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Erfolg der Herzinfarktbehandlungen. Die perkutane koronare Intervention rettet vielen Menschen das Leben, sie kann aber häufig eine Schädigung des Herzmuskels nicht verhindern: Infarktnarbe und „Remodeling“ haben zur Folge, dass die Patienten frühzeitig an einer Kardiomyopathie erkranken und eine Herzinsuffizienz entwickeln.

Die zentrale Auswertung von elektronischen Krankenakten, die in Großbritannien mit dem Clinical Practice Research Datalink möglich ist, erlaubt weitere Einblicke in eine sich abzeichnende Epidemie. Die Zahl der Neuerkrankungen ist dort zwischen 2002 und 2014 um 12 Prozent gestiegen. Bei der Gesamtzahl der Erkrankungen gab es sogar eine Zunahme um 23 Prozent. Die Diskrepanz erklärt sich vermutlich aus den besseren Therapieergebnissen, die bei den einzelnen Patienten zu einer verlängerten Krank­heits­dauer führt. Eine Heilung der Herzinsuffizienz ist bis auf die wenigen Fälle, in denen eine Transplantation erfolgt, nicht möglich.

Es ist wegen der Unterschiede in der Bevölkerung und den Lebensgewohnheiten unwahrscheinlich, dass die Ergebnisse aus Großbritannien eins zu eins auf Deutschland übertragbar sind. Interessant ist jedoch der Einfluss sozioökonomischer Faktoren. Das Team um Kazem Rahimi von der Universität Oxford hat die Krankheitshäufigkeit mit dem „Index of Multiple Deprivation“ (IMD) in Beziehung gesetzt. Der IMD bewertet Einkommen, Beschäftigung, Ausbildung, Hausbesitz, Gesundheitsversorgung, Kriminali­tät und Lebensumfeld. Er wird regelmäßig für jeden Wohnbezirk errechnet und ist wegen der starken Segregation ein Maß für die Armut der Bevölkerung.

Rahimi hat nun herausgefunden, dass das untere Fünftel (Quintil), das in der größten Armut lebt, im Alter zu 61 Prozent häufiger an einer chronischen Herzinsuffizienz erkrankt (relative Inzidenzrate IRR 1,61; 95-Prozent-Konfidenzintervall 1,58–1,64). Der Unterschied war in der jüngeren Altersgruppe der 45- bis 54-Jährigen ausgeprägter (IRR 2,56; 2,30–2,85) als bei den über 85-Jährigen (IRR 1,17; 1,13–1,22). Ärmere Menschen erkrankten nicht nur häufiger, sondern nach den Berechnungen von Rahimi auch 3,51 Jahre (3,25–3,77 Jahre) früher an einer Herzinsuffizienz. 

Die Gründe hierfür kann die Studie nicht erklären. Sie liegen aber auf der Hand: Einige kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Hypertonie und Diabetes sind laut Rahimi in der Unterschicht sehr viel häufiger als bei reicheren Briten. Die sozioökonomischen Unterschiede haben sich seit 2002, dem Beginn der Untersuchung, offenbar noch vergrößert. Die Schere zwischen Arm und Reich macht sich laut Rahimi auch in zunehmenden Unterschieden in der Inzidenz der Herzinsuffizienz bemerkbar.

rme

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