Politik

Innovationsfonds: Erkenntnisse stärker in die Öffentlichkeit bringen

  • Mittwoch, 10. April 2024
Der Vorsitzende des Innovationsausschusses, Josef Hecken (Archivbild, 2017). /picture alliance, Soeren Stache
Der Vorsitzende des Innovationsausschusses, Josef Hecken (Archivbild, 2017). /picture alliance, Soeren Stache

Berlin – Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Josef Hecken, will Er­kenntnisse aus Innovationsfondsprojekten künftig stärker in die Öffentlichkeit bringen als bisher. Das kün­digte er gestern auf einem Kongress des G-BA in Berlin an, der anlässlich der Verstetigung des Innovations­fonds stattfand.

„In der Vergangenheit haben wir es versäumt, die Ergebnisse der Arbeit des Innovationsausschusses öffentlich zu machen“, sagte Hecken. Als Beispiel nannte er das Projekt „Gendervasc – Geschlechtsspezifische reale Ver­sorgungssituation von Patienten mit arteriosclerotischen kardiovaskulären Erkrankungen in Deutschland“.

Die Ergebnisse des Projekts deuten darauf hin, dass medikamentöse und invasive Therapieverfahren bei Frau­en im Vergleich zu Männern seltener Anwendung finden. „Gendervasc hat gezeigt, dass Frauen in der Kardio­logie systematisch untertherapiert sind“, sagte Hecken. „Das ist ein Ergebnis, das der Öffentlichkeit kundgetan werden muss, dass nicht folgenlos verhallen darf.“

Innovationsfonds wird verstetigt

Der Innovationsfonds wurde im Jahr 2016 mit dem Ziel eingerichtet, innovative Ansätze für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zu erproben und neue Erkenntnisse zum Versorgungsalltag zu gewinnen. Seither können Förderanträge in den Bereichen neue Versorgungsformen (NVF) und Versorgungsforschung (VSF) ge­stellt werden.

Der beim G-BA eingerichtete Innovationsausschuss entscheidet, welche Projekte gefördert und welche nach ihrem Abschluss in die Regelversorgung überführt werden sollten.

In dem Ausschuss vertreten sind der GKV-Spitzenverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), das Bundesge­sundheitsministerium (BMG) und das Bundesforschungsministerium (BMBF). Hecken sitzt dem Ausschuss vor.

Bislang gab es zwei begrenzte Förderphasen: von 2016 bis 2019 und von 2020 bis 2024. Mit dem Digitalge­setz wurde der Innovationsfonds nun zum 26. März 2024 verstetigt. Dem Innovationsausschuss stehen dabei 200 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung, um Projekte zu fördern.

„Das ist ein gigantischer Betrag“, verdeutlichte Hecken und betonte zugleich: „Wir sind der Versichertenge­mein­schaft Rechenschaft darüber schuldig, dass das Geld auch vernünftig angelegt wird.“

643 geförderte Projekte

Wie Hecken erklärte, wurden in den achteinhalb Jahren seit Einrichtung des Innovationsausschusses 643 Pro­jekte aus Mitteln des Innovationsfonds gefördert: 230 Projekte im Bereich neue Versorgungsformen und 413 Projekte im Bereich Versorgungsforschung.

Bis heute wurden 326 Projekte abgeschlossen, davon 114 NVF-Projekte und 212 Projekte im Bereich VSF. Die Ergebnisberichte wurden bislang von 196 Projekten ausgewertet: 65 im Bereich NVF, 131 im Bereich VSF.

Aus Sicht von Hecken sollten 15 bis 30 Prozent der geförderten Projekte in die Regelversorgung überführt werden, damit die Verwendung der Versichertengelder gerechtfertigt ist.

Von den NVF-Projekten, deren Ergebnisberichte bislang ausgewertet wurden, wurden 27 Prozent vom Inno­vationsausschuss zur Überführung in die Regelversorgung empfohlen. Weitere zwölf Prozent wurden zur Kenntnisnahme an Akteure des Gesundheitswesens verschickt. 61 Prozent der Projekte erhielten keine Em­pfehlung.

Hecken betonte, dass Projekte, die keine Überführungsempfehlung erhalten haben, nicht zwangsläufig schlecht gewesen seien. Auch einzelne Erkenntnisse aus einem Projekt seien verwertbar. Zudem sei die Erkenntnis, dass ein Ansatz nicht umsetzbar ist, ebenfalls eine positive Erkenntnis.

Empfehlungen sind Teil der Krankenhausreform

Wenn der Innovationsausschuss ein Projekt für die Überführung in die Regelversorgung empfiehlt, benennt er dabei die Akteure im Gesundheitswesen, die für die jeweilige Überführung zuständig sind. Bei den bislang 105 empfohlenen Projekten war der G-BA in 18 Prozent der Fälle der Adressat. In 17 Prozent waren es die Trägerorganisationen des G-BA, in 16 Prozent der Fälle das BMG beziehungsweise nachgeordnete Behörden.

In zehn Prozent der Fälle wurde die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesell­schaf­ten (AWMF) und/oder medizinische Fachgesellschaften adressiert, in neun Prozent der Fälle Vertrags­part­ner auf Landesebene und in sieben Prozent Ministerien der Bundesländer und/oder die Gesundheits­minis­terkonferenz (GMK).

Thomas Renner, Unterabteilungsleiter Digitalisierung und Innovation im BMG, betonte: Es sei der Königsweg, wenn der G-BA die Ergebnisse aus einem Projekt direkt in den Leistungskatalog der GKV aufnehme. Wenn dies nicht geschehe, bedeute das aber nicht, dass die Ergebnisse nicht in der Versorgung ankämen, so Renner: „Von den 17 Empfehlungen, die wir als BMG bekommen haben, befinden sich acht in der Umsetzung, zum Beispiel im Zuge der derzeit geplanten Krankenhausreform.“

Projekte haben die Strukturen verändert

Sibylle Steiner, Mitglied im Vorstand der KBV, nannte ein weiteres Projekt, dessen Ergebnisse in der Versor­gung angekommen seien, auch, wenn der G-BA sie nicht als Ganzes in den Leistungskatalog aufgenommen hat: „Resist – Resistenzvermeidung durch adäquaten Antibiotikaeinsatz bei akuten Atemwegserkrankungen“.

So existiere eine Vereinbarung zwischen dem GKV-Spitzenverband und der KBV zu diesem Thema, es gebe regionale Vereinbarungen und die Inhalte seien in die ärztliche Fortbildung aufgenommen worden.

Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin des GKV-Spitzenverbandes, erklärte: „Am Anfang sind wir stärker davon aus­gegangen, dass die Ergebnisse aus den Projekten über den G-BA eins zu eins in die Versorgung übernommen werden. Das ist so aber nicht immer möglich.“ Doch auch Teilelemente eines Projektes, die von einzelnen Akteu­ren umgesetzt werden, könnten strukturverändernd wirken.

Sie nannte als Beispiel das Projekt „Translate-Namse – Verbesserung der Versorgung von Menschen mit selte­nen Erkrankungen durch Umsetzung von im nationalen Aktionsplan (Namse) konsentierten Maßnahmen“. Dieses Projekt habe Kooperationen zwischen Universitäten und behandelnden Ärztinnen und Ärzten bei der Diagnostik von seltenen Erkrankungen gefördert. Die Inhalte des Projekts seien in viele Selektivverträge übernommen worden.

Lernkurve durchlaufen

Hecken berichtete von der Lernkurve, die die Mitglieder des Innovationsausschusses seit dessen Einrichtung durchlaufen haben. „Am Anfang waren wir zu optimistisch, dass die Adressaten wissen, was sie bei der Über­führung der Projektergebnisse zu tun haben“, sagte er.

„Wir haben gelernt, dass es nicht in jedem Fall ausreicht, die jeweiligen Akteure darum zu bitten, unsere Em­pfehlungen zur Überführung eines Projektes in die Regelversorgung umzusetzen. Wir müssen deshalb jetzt wesentlich genauer darauf achten, exakt zu definieren, auf welche Weise die Überführung durchgeführt wer­den soll.“

Deshalb habe er sich bei der Verstetigung des Fonds mehr konkrete Berichtspflichten für die Adressaten ge­wünscht, damit nachvollziehbar sei, in welcher Weise die Projekte in die Regelversorgung überführt wurden. Renner betonte: „Wir müssen grundsätzlich besser darin werden, wie wir das Wissen aus den Projekten künftig weiterverwerten können.“

Vielzahl von Kooperationen

Grundsätzlich lobten die Mitglieder des Innovationsausschusses dessen Einrichtung. „Es ist sehr wichtig, im Gesundheitswesen eine Institution zu haben, die sich gezielt damit befasst, wie Innovationen erprobt und evaluiert werden können“, sagte der Bundesgeschäftsführer der BAG Selbsthilfe, Martin Danner. „Die Projekte haben eine Vielzahl von Kooperationen gestiftet und das Verständnis der Akteure im Gesundheitswesen untereinander gestärkt.“

„Mit dem Innovationsfonds haben wir erreicht, dass sich viele Akteure des Gesundheitswesens, Menschen aus ganz unterschiedlichen Sektoren, zusammengesetzt und darüber nachgedacht haben, wie sie die Versorgung verbessern können“, sagte Renner. „Dieses Zusammenarbeiten hat einen Kulturwandel hervorgerufen, der schon für sich genommen sehr wichtig ist.

Begeisterung und Engagement

Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der DKG, berichtete aus seiner Zeit, als er als Vorstandsvorsitzender des Landeskrankenhauses Rheinland-Pfalz an Innovationsfondsprojekten mitgewirkt hat. „Ich habe dabei erlebt, wieviel Begeisterung und Engagement von denjenigen ausgegangen ist, die an Projekten des Innovations­fonds beteiligt waren“, sagte er. „Sie hatten das Gefühl, endlich einmal das tun zu können, was sie in unserem extrem regulierten System sonst nicht tun können, aber schon immer einmal machen wollten.“

Steiner wies darauf hin, dass schon vor dem Innovationsfonds neue Versorgungsansätze in Selektivverträgen Eingang in das Gesundheitswesen gefunden haben. „Was dabei aber gefehlt hat, ist die wissenschaftliche Begleitung“, sagte sie. „Das leistet jetzt der Innovationsfonds.“ Zudem habe die Versorgungsforschung durch den Fonds einen anderen Stellenwert erhalten.

Und Hecken betonte: „Wichtig ist, dass wir durch den Innovationsfonds eine Finanzierung für die Versorgungs­forschung in Deutschland implementiert haben, die es zuvor so noch nicht gegeben hat. Im internationalen Vergleich hatten wir da noch einen großen Aufholbedarf.“

Artifizielle Realität

Bei allem Lob gab Danner von der BAG Selbsthilfe zu bedenken, dass in den jeweiligen Projekten eine „artifi­zi­elle Realität“ gebildet werde, in der zum Beispiel die Frage der Vergütung oder die Einbindung verschiede­ner Gesundheitsberufe in die Therapie in einer Weise geklärt seien, die später in der Regelversorgung nicht zwangsläufig geklärt sei.

Deshalb sei es wichtig, sich schon zu Beginn des Projekts zu überlegen, welche Chancen es habe, in die Regelversorgung überführt zu werden.

Es sei daher am besten, so Danner, wenn ein Projekt als Ganzes über den G-BA Eingang in die Regelversor­gung finde und nicht einzelne Fragmente dieses Projektes, die von verschiedenen Akteuren umgesetzt wür­den. Denn es sei nicht sicher, ob der Nutzennachweis des Gesamtprojekts auch für seine einzelnen Fragmente gelte.

Dank an Lauterbach

Hecken dankte auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für dessen Einsatz im Rahmen der Verstetigung des Innovationsfonds. „Wenn er nicht für dieses Projekt gekämpft hätte, hätten wir keine Ver­stetigung bekommen“, so Hecken.

„Wir haben durch die Verstetigung des Fonds nun eine große Chance. Die müssen wir gemeinsam wahrneh­men“, fuhr Hecken fort. „Das Beharrungsvermögen des Systems ist groß. Aber die Mühe lohnt sich, insbeson­dere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Strukturveränderungen herbeizuführen, die dabei helfen, mit weniger Personal eine gute Versorgung zu ermöglichen.“

fos

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