Politik

Innungskrankenkassen plädieren für nachhaltige Maßnahmen zur GKV-Finanzierung

  • Montag, 22. August 2022
/Robert Kneschke, stock.adobe.com
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Berlin – Zur nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) schlagen die Innungs­krankenkassen drei Bausteine vor: Die Nachjustierung und Dynamisierung des Bundeszuschusses für versi­cherungsfremde Leistungen, die Ausweitung der Steuerfinanzierung auf gesundheits- und umweltbezogene Lenkungssteuern sowie die Abkehr vom alleinigen Lohnkostenmodell durch Beteiligung der Digital- und Plattformökonomie an den Kosten der Sozialversicherung.

Mit diesem Konzept zur Verbreiterung der Einnahmenbasis der GKV könnten Beitragszahler entlastet und eine fairere Lastenverteilung als durch die geplanten Regelungen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetz erreicht werden, betonte heute Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK.

Der Gesetzesentwurf sei „mehr als enttäuschend“, da er einschneidende Reformen aufschiebe und Finanzie­rungslücken nur kurzfristig schließe. Der Staat müsse seiner Finanzverantwortung nachkommen, sont würden die kommenden Jahre insbesondere für kleinere Krankenkassen „problematisch“.

Auch Jürgen Wasem, Gesundheitsökonom von der Universität Duisburg-Essen, verwies darauf, dass der mehr­jährige Trend der überproportionalen Zunahme der primären Unterdeckung in der GKV durch den Entwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes nicht gestoppt werde. Seinen Berechnungen für die Einnahmen- und Aus­gabenentwicklung nach werde die primäre Unterdeckung in der GKV weiter anwachsen – von aktuell 51 Milli­arden Euro auf 75 Milliarden Euro im Jahr 2027.

Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sei schon für 2023 „bestenfalls auf knappste Kante genäht“, erklärte Wa­sem. Schon ab 2024 klaffe das strukturelle Defizit zwischen Einnahmen und Ausgaben seiner Ansicht nach wieder weit auseinander, da die kurzfristigen Effekte dann zum Großteil verpufft seien.

Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK, betonte, mit der im Gesetzentwurf einkalkulierten An­hebung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags in der GKV um mindestens 0,3 Beitragssatzpunkte werde die 40-Prozent-Marke bei den Sozialversicherungsbeiträgen überschritten. Damit würde die in der Vergangenheit zurecht als maßgeblich angesehene und von der letzten Großen Koalition noch festgeschriebene Sozialga­ran­tie aufgehoben – aus Sicht der Innungskrankenkassen ein „katastrophaler Schritt“.

Staatliche Aufgaben mit Steuergeldern finanzieren

Mit den Vorschlägen der IKK ließen sich die GKV-Finanzen auch ohne eine zusätzliche Belastung der Bei­trags­zahlenden oder Leistungskürzungen stabilisieren, so Wollseifer. Dafür müsse der Staat unter anderem seinen Verpflichtungen nachkommen und Ausgaben, die den Krankenkassen dadurch entstehen, dass sie ori­ginäre staatliche Aufgaben übernehmen, ordnungspolitisch korrekt und vollständig aus Steuermitteln über­nehmen. Allein der in diesem Sinne korrekte Ausgleich der Beiträge für ALG-II-Bezieher würde die Kassen um etwa zehn Milliarden Euro entlasten.

Zudem müsse der schleichenden Entwertung eines gleichbleibenden Bundeszuschusses durch Ausgabenstei­gerungen mit einer Dynamisierung des Zuschusses entgegengewirkt werden. Grundsätzlich sollte zudem über eine Abkehr vom alleinigen Lohnkostenmodell und die Einbeziehung neuer Finanzierungsquellen nachge­dacht werden, sagte Wollseifer.

Sowohl die Digital- als auch die Plattformökonomie könne man angemessener als bislang an der Finanzie­rungsgrundlage beteiligen. Aus Sicht der Innungskrankenkassen sollten im Fall einer Erhebung von Digital­steuern, wie sie die Europäische Kommission bereits vorgeschlagen habe, Anteile davon zur Finanzierung der Sozialversicherung herangezogen werden.

Ebenfalls Teil der IKK-Vorschläge ist die GKV-Partizipation an Steuereinnahmen auf Tabak und Alkohol. „Die Staatseinnahmen aus der Tabak-, Alkohol-, Alkopop-, und Schaumweinsteuer lagen in den vergangenen Jahren konstant bei rund 17 Milliarden Euro“, erläuterte Jörg Loth, Vorstandsvorsitzender der IKK Südwest.

Eine beispielhaft 50-prozentige Beteiligung der GKV an den genannten Steuerarten könne zu Mehreinnahmen von mehr als acht Milliarden Euro jährlich führen. Es sei legitim, über die Beteiligung der GKV an diesen Len­kungssteuern zu diskutieren, da diese das Ziel verfolgen würden, Gesundheitsrisiken und deren Kosten zumin­dest in Teilen zu kompensieren.

Aus diesem Grunde bietet sich nach Ansicht der Innungskrankenkassen auch der Bereich der Umweltsteuern zur Beteiligung an. Insgesamt könne eine Beteiligung an Genusssteuern und an umweltbezogenen Steuern, wenn man bei letzteren von einer zehnprozentigen Beteiligung ausgeht, die GKV insgesamt um 14,66 Milliar­den Euro entlasten. Darüber hinaus fordern die Innungskrankenkassen weiterhin eine Absenkung der Umsatz­steuer auf Arzneimittel von 19 auf sieben Prozent.

Zwar ließen sich derzeit noch nicht alle vorgeschlagenen GKV-Finanzierungsoptionen kalkulieren, so die Innungskrankenkassen. Aber alleine aus einer Dynamisierung des Bundeszuschusses, der Erweiterung des Steuerzuschusses, dem Ausgleich der Leistungen für ALG-II Bezieher und der Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel könne man Einsparungen in Höhe von 33,27 Milliarden Euro jährlich für die GKV realisieren – dies entspreche etwa 2,08 Zusatzbeitragspunkten.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) teilte zu der Thematik heute mit, man werde im Rahmen einer „weiteren nachhaltigen Finanzierungsreform“, die ab dem Jahr 2024 wirken solle, Empfehlungen für eine „stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung“ der GKV erarbeiten. Dabei werde man auch die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung zur Dynamisierung des Bundeszuschusses und zur Finanzierung der Beiträge für ALG-II-Bezieher aus Steuermitteln vorantreiben.

aha

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