Ärzteschaft

„Alkohol- und Tabaksteuer für Krankenversicherung verwenden“

  • Sonntag, 28. August 2022

Berlin – Das Bundeskabinett hat das Sparpaket zum Ausgleich des Milliardendefizits in der gesetzlichen Kran­kenversicherung (GKV) gebilligt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hält darin an der Abschaf­fung der Neupatientenregelung fest.

Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) /Jürgen Gebhardt
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) /Jürgen Gebhardt

5 Fragen an den Präsidenten der Bundesärztekammer Klaus Rein­hardt

Deutsches Ärzteblatt: Das Bundeskabinett hat das Sparpaket zum Aus­gleich des Milliardendefizits in der gesetzlichen Krankenversiche­rung gebilligt. Ist ausgerechnet jetzt der richtige Zeit Zeitpunkt für ein solches Spargesetz, immerhin ist die Pandemie noch nicht vorbei?
Klaus Reinhardt: Dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die GKV-Finanzen zu stabilisieren, steht völlig außer Frage. Dem GKV-Sys­tem droht im kommenden Jahr ein Defizit von mindestens 17 Milliarden Euro.

Das ifo-Institut geht sogar von einem Minus von 25 Milliarden Euro aus. Wesentliche Gründe sind die Kosten für die Pandemie und drohende Mehrausgaben zum Beispiel für Energie aufgrund des Krieges in der Ukraine. Wir alle hoffen, dass Pandemie und Krieg bald vorbei sind.

Es gibt aber auch strukturelle Ursachen für den steigenden Finanz­druck auf die Krankenkassen, unter anderem der wachsende Versor­gungsbedarf in einer Gesellschaft des langen Lebens und neue, kostenintensive medizinische Innovationen, wie hochpreisige biotechnologische Arzneimittel in der Krebstherapie.

Minister Lauterbach weiß um diese Herausforderungen, trotzdem will er einen Großteil der Finanzlücke mit Maßnahmen schließen, die nur kurzfristig wirken, vor allem aber die Patientenversorgung beeinträchtigen. Ich sehe in dem Entwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes einfach kein durchdachtes Konzept. Ich sehe nur ein mit heißer Nadel gestricktes Spargesetz, politische Flickschusterei!

DÄ: Sie spielen auf die Streichung der Neupatientenregelung und die offenen Sprechstunden an…
Reinhardt: Richtig. Die Entbudgetierung der Behandlung von Neupatienten wurde 2019 mit dem TSVG eingeführt, weil Neupatienten oftmals Schwierigkeiten hatten, einen Termin in einer Praxis zu bekommen.

Nach Inkrafttreten des TSVG haben viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ihren Praxisbetrieb umorgani­siert, Sprechstundenzeiten verlängert und zum Teil auch mehr Personal angestellt, um so neue Termine zu schaffen. Mit großem Erfolg, wie wir heute wissen. Im vierten Quartal 2021 wurden mehr Neupatienten be­han­delt als im vierten Quartal 2019.

Durch die jetzt geplante Rücknahme dieser Regelung werden der Patientenversorgung aber etwa 400 Millio­nen Euro fehlen. Diese Honorarkürzungen sind nichts anderes als Leistungskürzungen durch die Hintertür. Und die hatte der Minister ausdrücklich ausgeschlossen. Wir werden keine Gelegenheit auslassen, ihn daran zu erinnern.

DÄ: ber muss nicht jeder einen Beitrag leisten, um die Kassenfinanzen wieder in Ordnung zu bringen?
Reinhardt: Nach drei Jahren Pandemie, in denen die Ärztinnen und Ärzte wirklich Herausragendes geleistet haben, empfinden viele Kolleginnen und Kollegen diese Maßnahmen als Affront.

Sie gehen bei der Versorgung der Coronapatientinnen und -patienten und auch im Rahmen der nationalen Impfkampagne bis heute tagtäglich an ihre Belastungsgrenze. Mit wieder steigenden Infektionszahlen stehen schon im Herbst und Winter neue Herausforderungen an. Man kann doch nicht ernsthaft diejenigen, die in dieser Weise zur Bewältigung dieser Krise beitragen, nun dermaßen verprellen.

Das ist das eine. Das andere ist, dass wir als Ärzteschaft wirksame Maßnahmen für eine auf Dauer finanziell gut abgesicherte hochwertige Patientenversorgung einfordern. So wie das Gesetz jetzt ausgestaltet ist, haben wir die ganze Spardebatte im nächsten, spätestens im übernächsten Jahr wieder.

DÄ: Was schlagen Sie vor?
Reinhardt: Sinnvoller als reine Rotstiftpolitik wäre eine dauerhafte Anhebung des Bundeszuschusses an den Gesundheitsfonds. Zur Erinnerung: Der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds wurde ursprünglich nicht zur finanziellen Unterstützung der Patientenversorgung eingeführt. Mit ihm werden pauschal die zahlreichen familienpolitisch und gesamtgesellschaftlich motivierten Aufgaben der Kassen finanziert, die sogenannten versicherungsfremden Leistungen.

Nehmen Sie die beitragsfreie Versicherung während des Erziehungsurlaubs, Leistungen rund um die Schwan­gerschaft, Leistungen zur Empfängnisverhütung und vieles mehr. Seit 2012 betrug der Bundeszuschuss 14 Milliarden Euro, zwischendurch wurde er immer mal wieder gekürzt, um Löcher im Bundeshaushalt zu stopfen.

Wegen der besonderen Belastungen in der Pandemie hat der Fiskus in diesem Jahr weitere 14 Milliarden Euro draufgelegt, nur so konnten die Beitragssätze stabil gehalten werden. Das war gut und richtig. Wir müssen aber dauerhaft mehr Bundesmittel in den Gesundheitsfonds geben, die dann auch direkt der Patientenversorgung zugute kommen.

Ich sagte es grade, viele Ursachen für den Finanzdruck der Kassen sind struktureller Natur und werden nicht nach ein, zwei Jahren wieder verschwinden. Die für das Jahr 2023 vorgesehenen zusätzlichen zwei Milliarden Euro Bundesmittel reichen hinten und vorne nicht. Fünf Milliarden Euro zusätzlich sind realistisch. Und in den Folgejahren muss der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds dynamisiert und an den tatsächlichen Bedarf angepasst werden.

DÄ: Woher soll das Geld kommen?
Reinhardt: Ich halte in der gegenwärtigen Lage mit enorm steigenden Lebenshaltungskosten nichts davon, die Bürgerinnen und Bürger zusätzlich zu belasten. Wir müssen innerhalb des Bundeshaushalts umschichten und Ausgaben in anderen Bereichen begrenzen. Ich unterstütze sehr den Vorschlag, Teile der Genusssteuer, z.B. auf Tabak und Alkohol, als zweckgebundene Gesundheitsabgabe für die GKV zu verwenden.

Übermäßiges Trinken fordert Jahr für Jahr rund 74.000 Todesopfer in Deutschland und verursacht enorme Aufwendungen der GKV für Folgeerkrankungen. Beim Tabakkonsum sieht es ganz ähnlich aus. Hier belaufen sich die direkten Krankheitskosten schätzungsweise auf 30 Milliarden Euro. Gleichzeitig hat der Staat im letzten Jahr knapp 18 Milliarden Euro mit Alkohol- und Tabaksteuern eingenommen. Wenn ein Teil dieser Steuereinnahmen zurück in die Patientenversorgung fließen würde, wäre das mehr als gerechtfertigt.

Und wir müssen die Krankenkassen entlasten. Der Bund sollte endlich seiner Verantwortung gerecht werden und die Gesundheitsversorgung von ALG-II-Empfängerinnen und -Empfängern kostendeckend finanzieren. Derzeit wird für jeden Hartz IV-Empfänger eine Pauschale von gut 100 Euro vom Bund gezahlt. Das deckt etwa ein Drittel der tatsächlich im Durchschnitt anfallenden Behandlungskosten ab.

Außerdem sollte der Gesetzgeber den Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel von jetzt 19 Prozent auf sieben Prozent reduzieren, so wie schon jetzt bei Grundnahrungsmitteln und Tierarzneimitteln. Wir reden hier nicht von Peanuts. Eine Absenkung würde die Krankenkassen um rund sechs Milliarden Euro im Jahr entlasten und das gesamte System nachhaltig stabilisieren. Dann hätte das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz seinen Namen auch verdient.

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