Ausland

Internationale Notlage wegen 2019-nCoV ausgerufen

  • Freitag, 31. Januar 2020
Die WHO hat wegen des 2019-nCoV die internationale Notlage ausgerufen. /picture alliance, Achmad Ibrahim, AP
Die WHO hat wegen des 2019-nCoV die internationale Notlage ausgerufen. /picture alliance, Achmad Ibrahim, AP

Genf – Die Epidemie mit dem neuartigen Coronavirus 2019-nCoV breitet sich rasant aus. Die Infektio­nen und Todesfälle in China erlebten bis heute den größten Anstieg innerhalb eines Tages. Die Zahl der Patienten kletterte um 1.981 auf 9.692, wie die Gesundheits­kommission in Peking berichtete. Die Zahl der Toten stieg um 42 auf 213.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte gestern am späten Abend die Ausbrei­tung des Virus zu einer „gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite“. Die 190 Mitgliedsländer werden damit von der WHO empfohlene Krisenmaßnahmen untereinan­der koordinieren.

Außerhalb der Volksrepublik sind mehr als 120 Infektionen in rund 20 Ländern festge­stellt worden. In Deutschland bestätigte das bayerische Gesundheitsministerium gestern am späten Abend einen fünften Fall. Der Patient ist ein Mitarbeiter der Firma Webasto aus dem Landkreis Starnberg, bei der auch die vier zuvor bekannten Infizierten beschäf­tigt sind. Die Ansteckung ging von einer Kollegin aus China aus, wo jetzt jede Provinz und Region betroffen ist.

Heute wurde ein sechster Fall bekannt. Es handelt sich um das Kind eines infizierten Mannes aus dem Landkreis Traunstein, wie das bayerische Gesundheitsministerium in München mitteilte. Somit ist zum ersten Mal in Deutschland ein Familienmitglied eines Infizierten erkrankt. Details wie das Alter des Kindes waren zunächst unklar.

Mit fast 10.000 Fällen weltweit zählt der Ausbruch der „akuten Atemwegserkrankung“, wie sie offiziell genannt wird, schon deutlich mehr Infektionen als vor 17 Jahren die ebenfalls von China ausgegangene Sars-Pandemie mit – laut WHO – 8.096 Infektionen. Durch das „Schwere Akute Atemwegssyndrom“ (Sars) 2002/2003 starben 774 Menschen. Der neue „2019-nCoV“-Erreger ist eine Variante des damaligen Sars-Virus. Vermutlich stammt er auch von Wildtieren.

Noch sei die Zahl der Infektionen außerhalb Chinas relativ gering, sagte WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus nach der Sitzung eines Expertenausschusses in Genf, auf der die Notlage ausgerufen wurde. Aber man wisse nicht, welchen Schaden das Virus in einem Land mit einem schwachen Gesundheitssystem anrichten würde. „Wir sitzen alle im selben Boot“, sagte Tedros. Das Virus könne nur gemeinsam aufgehalten werden. „Das ist die Zeit für Fakten, nicht Angst.“

In Großbritannien sind heute erstmals zwei Fälle des neuartigen Coronavirus bestätigt worden. Zwei Patienten seien in England positiv auf das Virus getestet worden, teilte der oberste englische Gesundheitsbeamte Chris Whitty mit. Es handele sich um zwei Mitglie­der derselben Familie. Wo die beiden behandelt werden, ließ Whitty ebenso offen wie weitere Details zu ihrer Identität.

Auch Russland hat erstmals Coronavirus-Infektionen offiziell bestätigt. Es handele sich um zwei chinesische Staatsbürger, die mit dem Virus infiziert seien. Das sagte die russi­sche Vize-Regierungschefin Tatjana Golikowa der Agentur Interfax zufolge. Ebenso wurde heute aus Schweden eine erste Infektion bestätigt. Das Virus wurde bei einer Patientin in Jönköping rund 300 Kilometer südwestlich von Stockholm festgestellt, wie die schwedi­sche Gesundheitsbehörde Folkhälsomyndigheten mitteilte.

Besonnenes Handeln gefragt

Die Bundesärztekammer (BÄK) betonte, im Umgang mit dem Coronavirus sei „besonnenes Handeln“ gefragt. „Entscheidend ist die klare Analyse, um konkrete Maßnahmen zum Schutz von Patienten und Ärzten ergreifen zu können“, sagte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt.

Das Bundesgesundheitsministerium sowie die nachgeordneten Behörden hätten mit der Einrichtung eines Lagezentrums im Robert-Koch-Institut (RKI), in dem die Informationen zusammenlaufen, sowie konkreten Verhaltens- und Schutzmaßnahmen sehr schnell die Initiative zur Eindämmung des Coronavirus ergriffen. Dazu zählten unter anderem eine Meldepflicht auch für Verdachtsfälle und die Ausstattung der Labore mit Virentests.

Die BÄK wies darauf hin, dass darüber hinaus BMG, RKI und Bundeszentrale für gesund­heitliche Aufklärung auf ihren Internetseiten umfangreiche und fundierte Informationen zu der Erkrankung und zum Umgang mit Verdachtsfällen anbieten. „Nach jetzigem Er­messen sind wir in unserem Gesundheitssystem mit Kompetenzzentren und Spezialklini­ken für den Umgang mit dem Virus gut aufgestellt“, so Reinhardt.

Defizite durch Sparen in Kliniken

Die Pandemiebeauftragte der BÄK, Susanne Johna, wies auf Defizite in der Aussattung der Krankenhäuser hin. Optimal für Patienten mit dem neuartigen Coronavirus seien Einzelzimmer mit Vorschleusen, von denen es aber nicht mehr sehr viele gebe, sagte sie der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Die Zahl dieser Zimmer sei im vergangenen Jahrzehnt aus Kostengründen reduziert wor­den. Johna erläuterte, dass bei dringendem Behandlungsbedarf Einzelboxen auf Intensiv­stationen benötigt würden, um die Übertragungsgefahr zu minimieren. Auch davon gebe es aus Kostengründen zu wenige.

Die Hygieneexpertin, die auch Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund ist, bezeichnete das neue Virus aus China als „Weckruf“. Nicht nur bei der Krankenhausaus­stattung gebe es Nachholbedarf. Auch der öffentliche Gesundheitsdienst sei vielerorts „massiv unterbesetzt“. Es mangele an Ärzten und Fachpersonal.

Dabei sei der öffentliche Gesundheitsdienst entscheidend, um Epidemien einzudämmen, führte Johna aus. Er müsse die Isolierung von Patienten zu Hause überwachen und sei für die gesamte Meldekette bei neuen Fällen zuständig. Sollte sich das Coronavirus zu einer wirklichen Pandemie ausbreiten, „wäre es unmöglich, alle Patienten im Krankenhaus zu behandeln“, sagte sie.

Johna warnte zugleich vor Panik. Zwar müsse das neue Virus ernst genommen werden, „weil wir noch lange nicht alles darüber wissen“. Eine aktuelle Bedrohung gebe es aber nicht.

Bessere Abstimmung

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, das Ausrufen einer Notlage durch die WHO werde dazu führen, dass sich alle Länder noch besser abstimmten. Dies sei auch ein Signal an Länder in der Nachbarschaft Chinas oder in Afrika, die Aufmerksamkeit zu erhöhen, sagte der CDU-Politiker in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“. Mit Blick auf Deutschland sagte Spahn, die Behörden gingen sehr wachsam, aber angemessen mit der momentanen Situation um.

Wie das Ministerium mitteilte haben sich Krankenkassen und Ärzte heute auch darauf verständigt, dass der Test auf das Coronavirus für bestimmte Versicherte finanziert wird. Die Kostenübernahme gilt ab diesem Samstag, hieß es. Auch Ärzte, die sich testen lassen, müssen die Kosten nicht selbst tragen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) präzisierte, dass die Kosten für Tests nur bei Patienten übernommen werden, die nach der Definition des Robert-Koch-Instituts zur Risikogruppe gehören. Zu den Kriterien zählen unter anderem ein kürzlicher Aufent­halt in China und Symptome einer Lungenerkrankung.

Ab Samstag greift demnach auch eine bereits angekündigte neue Meldepflicht für Ärzte, Krankenhäuser und Labore. Sie müssen nun schon begründete Verdachtsfälle auf das Coronavirus an das Robert-Koch-Institut melden und nicht wie bisher nur bestätigte Fälle.

Wichtig sei, schnell Infektionsketten zu unterbrechen. „Ein Gesundheitswesen wie unse­res kann das“, sagte Spahn auch angesichts der bestätigten fünften Infektion in Bayern. Für einen geplanten Rückholflug von 90 bis 100 Deutschen aus der schwer betroffenen Metropole Wuhan bemühe sich das Auswärtige Amt, die Voraussetzungen mit den Behör­den zu finalisieren. Zu klären seien etwa Start- und Landerechte, sagte Spahn. Auch die USA, Japan und andere Länder haben bereits Staatsbürger aus Wuhan geholt oder planen Rückholaktionen.

Konsularbeamte informierten Deutsche in Wuhan, dass das Flugzeug voraussichtlich am Samstag nach Frankfurt fliegen soll. Die Rückkehrer sollen 14 Tage lang auf dem Luft­waffenstützpunkt Germersheim in Rheinland-Pfalz in Quarantäne. Die Elf-Millionen-Stadt Wuhan und die Provinz Hubei sind besonders schwer von der Epidemie betroffen. Weit mehr als die Hälfte aller Fälle sind dort gezählt.

Rund 45 Millionen Menschen sind in der Krisenregion praktisch von der Außenwelt ab­ge­schottet, indem Verkehrsverbindungen gekappt wurden. Wie die Lufthansa setzen auch immer mehr Fluggesellschaften ihre Flüge nach China aus. Nach zwei bestätigten Coro­navirus-Fällen stoppte Italien seinen ganzen Flugverkehr mit der Volksrepublik.

Ministerpräsident Giuseppe Conte sagte in Rom, Italien sei das erste Land in der EU, das diese Maßnahme ergreife. Das Virus ist tückisch, weil Infizierte schon ansteckend sind, selbst wenn sie keine Symptome zeigen und nicht wissen, dass sie erkrankt sind.

Die Zahl der nachweislich Erkrankten steigt in China jetzt jeden Tag um mehr als Tau­send. Vor gut zwei Wochen waren erst 40 Fälle gezählt worden. Reisende aus China ha­ben das Virus ins Ausland getragen, wo es jetzt wie in Deutschland auch zu Ansteckun­gen kommt. Betroffen sind auch Thailand, Japan, Singapur, Australien, Hongkong, Malay­sia, die USA, Finnland, aber auch Indien und die Philippinen.

Die WHO empfiehlt nun unter anderem, dass Länder mit weniger entwickelten Gesund­heitssystemen unterstützt werden sollen. Zudem soll die Arbeit an Medikamenten und Impfstoffen beschleunigt, Wissen und Daten geteilt und gegen Gerüchte vorgegangen werden. Gleichzeitig empfiehlt die WHO aber keine Handels- und Reisebeschränkungen.

dpa/afp

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