KBV-Vorständin Steiner: Digitalisierung muss patienten- und nutzerorientiert erfolgen

Essen – Für eine patienten- und nutzerorientierte Digitalisierung im Gesundheitswesen sprach sich heute Sibylle Steiner, Mitglied des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), auf der KBV-Vertreterversammlung aus. Das KV-System sei bereit, Verantwortung für die Digitalisierung zu übernehmen und diese aktiv mitzugestalten.
In der Gemengelage aus „schlecht gemachter Digitalisierung, unzureichender Kostenerstattung und immer neuen Ankündigungen, Fristen und auch Sanktionsdrohungen“ falle es aus Sicht der Praxen schwer, der bisherigen Telematikinfrastruktur (TI) allzu viel Positives abzugewinnen. Allerdings, so Steiner, kritisiere man bezüglich der Digitalisierung nicht das Ob, sondern das Wie.
Als System der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV-System) wolle man nicht nur über das technisch Notwendige und Machbare reden, sondern vor allem über digitale medizinische Versorgungskonzepte. Benötigt werde ein Ineinandergreifen der beiden Welten, wobei der medizinische den technischen Prozess führen müsse, sagte Steiner.
Leider könne man auch bei der aktuellen Digitalstrategie des Bundesgesundheitsministerums (BMG) nur wenig inhaltliche Zielvorstellungen, die zudem hauptsächlich auf die Nutzung von Forschungsdaten ausgerichtet seien, sowie „jede Menge“ unrealistische Fristen und Quoten verzeichnen. Auch weitere Konkretisierungen ließen auf sich warten, weil das BMG die angekündigten Entwürfe für zwei Digitalgesetze immer wieder verschiebe.
Ein drängendes Anliegen der Praxen stellt aus Sicht Steiners die TI-Finanzierung dar: Hier setze man weiterhin auf volle Kostendeckung – auch im Falle neuer Anwendungen. Neben technischen Unzulänglichkeiten auch noch eine dauerhafte Unterfinanzierung der TI zu Lasten der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft hinnehmen zu müssen, werde man nicht akzeptieren, erklärte sie.
Niedergelassene gestalten Digitalisierung mit
Aktuelle Gespräche mit BMG und Gematik – etwa zur Umsetzung der Medikationsübersicht in der elektronischen Patientenakte (ePA) – würden zudem zeigen, dass die Einbindung der ärztlichen Expertise dringend notwendig sei, um theoretische, gesundheitspolitische Ideen für die praktische Versorgung tauglich zu machen. Hier bringe man sich intensiv ein und werde dies auch weiterhin energisch tun.
Selbiges gelte auch für das vom BMG angekündigte automatische Befüllen der ePA. Wenn die Praxisverwaltungssysteme entsprechend weiterentwickelt werden sollen, brauche es verbindliche Standards. Steiner bot für die Erarbeitung der Definitionen die Mitarbeit der KBV an und verwies darauf, dass das KV-System gemäß der gesetzlichen Vorschrift mit PVS-Herstellern in Rahmenvereinbarungen Leistungspflichten und Qualitätskriterien festlegen könne.
Allerdings sei zusätzlich eine unabhängige Instanz nötig, die das Einhalten der Standards überwacht und gegebenenfalls auch sanktioniert. „Echten Druck kann nur eine staatlich beauftragte Stelle aufbauen und ausüben. Auch dazu werden wir uns deutlich einbringen.“
Bezüglich des elektronischen Rezeptes (E-Rezept) forderte Steiner „einen echten Integrationstest“, der die gesamte Prozesskette mit sämtlichen Beteiligten abbilden müsse. Erst dann könne man den Roll-Out-Prozess fortsetzen. Diese Debatte werde mit Blick auf das vom BMG gewünschte Tempo „nicht einfach“ – schaffe man jedoch keine positive Nutzererlebnisse, werde der Frust und Ärger in den Praxen weiter steigen.
Regressrisiko bei Arzneimittelverordnungen
Mit dem Regressrisiko bei verordneten Leistungen, insbesondere bei Arzneimittelverordnungen, thematisierte Steiner ein weiteres Thema mit hoher Brisanz für die Praxen. Der Einsatz von Arzneimitteln im Off-Label-Use sei beispielsweise Therapiestandard bei neurologischen und onkologischen Indikationen sowie in der Pädiatrie.
Finanzielle Einsparungen bei Off-Label-Use-Verordnungen würden die Krankenkassen gerne annehmen. „Aber im umgekehrten Fall, wenn zum Beispiel in der Onkologie oder in der Kinderheilkunde entsprechend der Leitlinien-Empfehlungen „off-label“ verordnet wird, dann wollen die Krankenkassen die gesamten Verordnungskosten regressieren.“
Dabei würden sie aber nicht berücksichtigen, dass der Patient eine Therapie benötigt und eine andere – aus Sicht der Krankenkassen wirtschaftliche – Therapie mindestens gegengerechnet werden müsste. Das dürfe so nicht bleiben. Der Gesetzgeber sei zu einer Klarstellung im Sinne einer medizinisch sachgerechten und rationalen Arzneimittelversorgung aufgefordert.
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