Ärzteschaft

Klimaschutz: Ärzteschaft muss Verantwortung übernehmen

  • Freitag, 11. November 2022
Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbunds und Präsident der Bundesärztekammer /Hartmannbund, Florian Schuh
Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbunds und Präsident der Bundesärztekammer /Hartmannbund, Florian Schuh

Berlin – Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, hat die Ärzteschaft dazu aufgerufen, nicht nur die Verantwortung für den einzelnen Patienten anzunehmen, sondern für die gesamte Bevölkerung. „Dieser Verantwortung müssen wir in zunehmender Weise gerecht werden“, forderte er heute auf der Hauptversamm­lung des Hartmannbundes in Berlin.

„Es gab einige Jahrzehnte, in denen wir uns – auf hohem Niveau – auf die Individualmedizin konzentriert ha­ben.“ Angesichts des voranschreitenden Klimawandels müsse sich die Ärzteschaft nun jedoch verstärkt mit Public Health beschäftigen.

„Der Klimawandel und die Gesundheit stehen in einem ganz engen Verhältnis“, betonte Reinhardt. Klima­schutz sei Gesund­heitsschutz. Deshalb müssten die deutschen Ärztinnen und Ärzte jetzt auch Verantwortung für den Klimaschutz übernehmen.

Zunächst sei es dabei wichtig, das eigene Verhalten zu ändern. In der Folge sei das Thema Klimaschutz und Gesundheit gut dafür geeignet, „um den Menschen klar zu machen, dass wir einiges anders machen müssen als in den vergangenen Jahrzehnten“. Dazu gehöre auch, dass das deutsche Gesundheitswesen klimaneutraler werden müsse.

Sehr starke Zunahme der Krankheitslast

Der Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (Klug), Christian Schulz, machte deutlich, wie groß die Gefahr für die Gesundheit ist, die vom Klimawandel ausgeht. Schon heute, bei einer Erwärmung von 1,2 °C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, habe es einen Sommer gegeben, der hitzebe­dingt zu etwa 100.000 vorzeitigen Todesfällen in Europa geführt habe.

„Das 2-Grad-Ziel ist aus medizinischer Sicht überhaupt nicht vertretbar“, betonte Schulz. Dabei sagten aktu­elle Prognosen einen Temperaturanstieg von rund 3 °C bis zum Ende des Jahrhunderts voraus. „Schon ein Anstieg von 2 °C wäre mit einer sehr starken Zunahme der Krankheitslast verbunden“, so Schulz.

Kenan Hasan, Mitbegründer der Wissenssoftware Amboss, wies darauf hin, dass die Existenz des Klimawan­dels schon seit den 1970er-Jahren bekannt sei. „Trotzdem verdrängen wir das Thema immer und immer wie­der“, sagte Hasan.

„Stattdessen haben wir alles der Ökonomie untergeordnet. Solange wir das nicht ändern, werden wir auch ökologisch nicht vorankommen.“ Vor diesem Hintergrund forderte er, im SGB V ein Nachhaltigkeitsgebot über das Wirtschaftlichkeitsgebot zu stellen.

„Heute stellen wir uns immer erst die Kostenfragen, bevor wir uns die Gesundheitsfrage stellen“, kritisierte Hasan. „Das müssen wir ändern.“ In diesem Zusammenhang forderte er, mehr Geld in die Prävention zu inves­tieren. „Volkswirtschaftlich könnten wir auf diese Weise am Ende viel Geld sparen“, meinte er.

„Wenn wir einem Raucher aus einer sozial schwachen Schicht zum Beispiel dabei helfen, mit dem Rauchen aufzuhören, verbessern wir nicht nur seine Lebensqualität, sondern sparen auch das Geld, dass wir für seine spätere Behandlung ausgeben.“

Klimaschutz eine Haltungsfrage

Die im niedersächsischen Wennigsen niedergelassene Gynäkologin Gabriela Stammer sprach sich für einen Systemwandel aus: „Einen Wandel der Art, wie wir Medizin betreiben: immer besser, weiter, detaillierter“. Denn diese Art der Medizin führe zu einem höheren Ausstoß an Treibhausgasen. „Wir müssen uns hinterfragen, in welchen Fällen wir zum Beispiel ein MRT verordnen und in welchen nicht“, meinte sie.

Zudem sei es sinnvoll, sich mit der Produktion der Arzneimittel zu beschäftigen, die Ärzte täglich verordnen. In Indien, zum Beispiel, belaste die Produktion von Arzneimittel die Umwelt vor Ort stark. Auch vor diesem Hin­ter­grund befürwortete sie, genau zu überlegen, in welchen Fällen man beispielsweise Antibiotika verordne und in welchen nicht.

„Wie wir Ärztinnen und Ärzte uns zum Klimaschutz positionieren, ist auch eine Haltungsfrage“, sagte Stammer. „Dabei können wir auch unsere Patientinnen und Patienten einbeziehen.“ Denn es sei eine ärztliche Aufgabe, mit den Patienten über alles zu sprechen, was deren Gesundheit beeinträchtige.

Heute anfangen

Der Direktor des Evangelischen Krankenhauses Hubertus, Matthias Albrecht, sprach darüber, was Kranken­häu­ser tun können, um ihren Treibhausgasausstoß zu reduzieren. „Wir sind alle in der Situation, dass wir ange­sichts der beunruhigenden Zahlen etwas unternehmen wollen, aber nicht wissen, womit wir genau beginnen sollen“, sagte Albrecht. Die Schwerpunkte lägen im stationären und im ambulanten Bereich unterschiedlich. Im ambulanten Bereich sei die Arzneimitteltherapie der größte Hebel, im Krankenhaus die Energieversorgung.

„Wenn wir bis 2045 klimaneutral werden wollen, müssen wir heute damit anfangen und uns die Arbeit in viele Teilschritte unterteilen“, erklärte Albrecht, dessen Krankenhaus das erste war, das vom BUND als „energie­spa­ren­des Krankenhaus“ zertifiziert wurde.

Die großen Hebel seien neben der Energieversorgung die Anästhesie, die Mobilität der Mitarbeitenden, die Ernährung und der Umgang mit dem Abfall. „Alle diese Aspekte muss ich durchdeklinieren und mir Ziele for­mulieren, die messbar sind“, sagte Albrecht. „Dann kann ich die Mitarbeitenden auch mitnehmen. Wichtig ist zudem ein Netzwerk von Gleichgesinnten, mit denen man Best-Practice-Beispiele austauschen kann.“

Nicht notwendige Therapien vermeiden

Klug-Geschäftsführer Schulz betonte: „Um eine nebenwirkungsarme Gesundheitsversorgung leisten zu kön­nen, müssen wir auch in den Gesundheitseinrichtungen klimaneutral werden. Das beinhaltet, bei gleichwer­tigen Behandlungsalternativen die ressourcenschonenderen zu bevorzugen.“ Noch viel wichtiger sei aller­dings die Vermeidung nicht notwendiger Therapien und Doppeluntersuchungen.

„Wir leben in einer Zeit multipler Krisen, die sich in Zukunft noch verstärken werden“, betonte Schulz. „Dazu zählt neben der Klimakrise auch der demografische Wandel, der zu einer höheren Zahl von Patienten führen wird, die von einer sinkenden Zahl von Ärztinnen, Ärzten und anderen Gesundheitsberufen versorgt werden muss – in einem System, in dem weniger Geld zur Verfügung stehen wird.

Und gleichzeitig müssen wir das System an die Folgen der Klimakrise anpassen und die Treibhausgasemis­sio­nen senken.“ Es sei wichtig, eine Vorstellung davon zu entwickeln, welche Art von Gesundheitsversorgung un­ter den wahrscheinlichen Rahmenbedingungen 2030, 2040 oder 2050 in der Lage ist, die Gesellschaft zu schützen. Davon ausgehend könne man Antworten auf heutige Fragestellungen finden.

„Auch deshalb müssen wir dafür sorgen, dass weniger Patienten ins System kommen“, betonte Schulz. „Das geht nur durch eine echte Prävention.“ Prävention beginne also im Finanzministerium: Gesunde Ernährung müsse steuerlich entlastet, ungesunde Ernährung zusätzlich besteuert werden.

Schulz zeigte sich jedoch auch zuversichtlich. „Es gibt nicht nur Kipppunkte im Klimasystem, sondern auch soziale Kipppunkte, durch die immer mehr Menschen verstehen, wie viele Gesundheitsgewinne wir mit einer grundlegenden Transformation zu einer Wirtschaftsweise innerhalb planetarer Grenzen erzielen können“, sagte er.

„Wenn wir es schaffen, uns gegenseitig im positiven Sinn anzustecken und die Verantwortung dafür nicht wegzuschieben, können wir aus dem Gesundheitswesen heraus einen riesigen Beitrag leisten – auch dahin­gehend, den zunehmenden gesellschaftlichen Fliehkräften entgegen zu wirken.“ Und aktuell gebe es eine deutliche Beschleunigung des Bewusstseins.

„Jeder von uns spielt eine Rolle“, betonte der Facharzt für Anästhesie. „Jeder hat seinen eigenen Wirkbereich und kann in diesem etwas verändern. Wir dürfen deshalb nicht länger nur nach Hilfe aus der Politik rufen, sondern wir müssen selbst aktiv werden.“

Auch Reinhardt wies darauf hin, dass das Gesundheitswesen noch vor weiteren Herausforderungen stehe, wie vor dem demografischen Wandel und Finanzierungsproblemen. Er kritisierte, dass die Bundesregierung mit dem vor kurzem beschlossenen GKV-Finanzstabilisierungsgesetz nur Flickschusterei betrieben habe, statt die Probleme strukturell zu lösen. „Wir haben jetzt für ein Jahr etwas Luft bekommen, aber im nächsten Jahr stehen wir wieder vor denselben Problemen“, betonte er.

Auch die politischen Lösungsansätze im stationären Bereich – wie die geplante Einführung tagesstationärer Leistungen – seien allenfalls Kleinstpflästerchen. Reinhardt kritisierte in diesem Zusammenhang, dass Bun­desgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) weder mit der Ärzteschaft noch mit den Krankenhäusern oder der Pflege spreche, bevor er das System ändere. So werde im Vorfeld überhaupt nicht geklärt, welche Aus­wirkungen Neuregelungen auf die Versorgung in der Praxis hätten.

fos

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