Ausland

Kremlkritiker soll in Charité behandelt werden, russische Ärzte lehnen Transport ab

  • Freitag, 21. August 2020
Journalisten versammeln sich vor dem Krankenhaus, in dem der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny liegt. /picture alliance, AP, Uncredited
Journalisten versammeln sich vor dem Krankenhaus, in dem der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny liegt. /picture alliance, AP, Uncredited

Berlin/Omsk – Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny kann wegen einer mög­lichen Vergiftung offenbar nicht schnell in Deutschland behandelt werden. Seine Ärzte in einem Krankenhaus in der sibirischen Großstadt Omsk hielten den 44-Jährige zunächst nicht für transportfähig.

Sein Zustand sei noch nicht stabil genug, sagte der Chefarzt Alexander Murachowski heute vor Journalisten. „Ich kann noch keine Prognosen abgeben.“ Nach Angaben von Nawalnys Team wurde in seinem Körper ein vermutlich „tödliches Mittel“ gefunden. Die Ärzte fanden nach eigenen Angaben aber kein Gift bei ihm.

Die Polizei habe den Ärzten mitgeteilt, dass sie diesen gefährlichen Stoff gefunden hätten, sagte der Chef von Nawalnys Anti-Korruptions-Fonds, Iwan Schdanow. Das Gift sei demnach nicht nur gefährlich für den 44-Jährigen selbst, sondern auch für die Umge­bung, weshalb das Tragen von Schutzanzügen angewiesen worden sei. Um welchen Stoff es sich handeln könnte, blieb aber zunächst offen.

Der Vize-Chefarzt Anatoli Kalinitschenko sagte dagegen der Agentur Interfax zufolge, im Blut und im Urin seien weder Gift noch Spuren davon nachgewiesen worden. „Wir gehen nicht davon aus, dass der Patient eine Vergiftung erlitten hat.“ Eine Diagnose liegt dem­nach vor. Diesen Befund hätten Nawalnys Frau und sein Bruder erhalten.

Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch war bereits gestern nach der plötzlichen Erkrankung überzeugt, dass der Oppositionelle „absichtlich vergiftet wurde“. Nawalny wollte nach einer politischen Reise in Sibirien zurück nach Moskau fliegen. Am Flughafen in Tomsk habe er noch einen Tee getrunken, sagte sie. Während des Flugs habe er sich unwohl ge­fühlt und noch an Bord das Bewusstsein verloren. Das Flugzeug landete außerplanmäßig in Omsk.

Nach Angaben des Chefarztes hat sich Nawalnys Gesundheitszustand über Nacht „etwas verbessert“. Er sei aber noch immer nicht bei Bewusstsein. Spezialisten aus Moskau hätten geprüft, ob er für die Verlegung in eine andere Klinik transportfähig sei. Jarmysch warf den Ärzten vor, auf Zeit zu spielen – „bis das Gift in seinem Körper nicht mehr nach­gewiesen werden kann“. Jede weitere Stunde ohne eine Verlegung sei eine Gefahr für Nawalnys Leben.

Ein Spezialflugzeug, das ihn von Omsk nach Berlin zur Charité bringen soll, war heute am frühen Morgen aus Deutschland gestartet, wie der Filmproduzent Jaka Bizilj sagte. Es sind rund 4.000 Kilometer Entfernung zwischen beiden Orten. Das Flugzeug ist inzwi­schen gelandet. Nach Angaben von Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch und Bizilj haben deutsche Ärzte Alexej Nawalny keine Bedenken für einen Transport des russischen Re­gierungskritikers von Sibirien nach Berlin.

Bereits vor zwei Jahren war der Aktivist Pjotr Wersilow, Mitglied der russischen Polit-Punk­-Gruppe Pussy Riot, aus Moskau zur Behandlung nach Berlin geholt worden. Wersi­low verdächtigte den russischen Geheimdienst, ihn vergiftet zu haben. Pussy Riot ist mit Aktionen gegen Justizwillkür und Korruption international bekannt.

Gestern hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel angeboten, dass Nawalny in deutschen Krankenhäusern behandelt werden könnte. Auch der Kreml sicherte Unterstützung bei der Genehmigung eines Fluges zu. Sprecherin Jarmysch rief die internationale Gemein­schaft zum Handeln auf, um den Transport zu erzwingen.

Chefarzt Murachowski sagte der Agentur Interfax zufolge auf die Frage von Journalisten, ob die russischen Mediziner ihre Kollegen in der Berliner Charité konsultieren werden: Er halte seine Kollegen für nicht weniger qualifiziert als die in Deutschland.

Nawalny hatte sich in Sibirien aufgehalten, um die Regionalwahlen im September vorzu­bereiten. Er warb dort für seine Strategie einer so bezeichneten „klugen Abstimmung“, die darauf gerichtet ist, jede beliebige Partei zu wählen – nur nicht die Kremlpartei Geeintes Russland. Er will damit deren Dominanz in Russland brechen. Nawalny gilt innenpolitisch als Staatsfeind Nummer eins des Kreml.

Er ist der führende Kopf der liberalen Opposition. Der studierte Jurist wirft der Regierung und Oligarchen regelmäßig Korruption und Machtmissbrauch vor. Auf den prominenten Kämpfer gegen Korruption hatte es in der Vergangenheit mehrfach Anschläge gegeben.

dpa

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