Ärzteschaft

Fall Nawalny beschäftigt nun auch die Bundesärztekammer

  • Montag, 7. September 2020
Russlands Präsident Wladimir Putin (links) und Leonid Roshal, Präsident der Nationalen Ärztekammer Russlands. /Michail Metzel, TASS
Russlands Präsident Wladimir Putin (links) und Leonid Roshal, Präsident der Nationalen Ärztekammer Russlands. /Michail Metzel, TASS

Berlin – Der Fall des mit Nowitschok vergifteten russischen Kremlkritikers Alexej Nawal­ny, der nach wie vor in der Berliner Charité behandelt wird, hat die Bundesärztekammer (BÄK) er­reicht. Sie erhielt Post von der russischen Nationalen Ärztekammer.

In dem Schreiben, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, wird von russischer Seite die Einrichtung einer gemeinsamen Kommission aus Vertretern der Nationalen Ärztekammer Russlands und der BÄK vorschlagen.

Möglich sei auch die Beteiligung von Toxikologen aus anderen Ländern, hieß es in dem Brief. Ziel müsse es sein, dass die Expertenkommission eine „unparteiische endgültige Entscheidung“ darüber treffe, ob Nawalny vergif­tet worden sei oder nicht.

Grund für den Vorschlag sei, dass die Ärzte auf russischer und deutscher Seite auf Grund­lage der Untersu­chungs- und Behandlungs­er­gebnisse in Omsk und Berlin zu unterschied­lichen Schluss­folgerungen bezüglich der Ursachen der Krankheit Nawalnys gekommen seien, betonte der Präsident der Nationalen Ärztekammer Russlands, Leonid Roshal, in dem Brief an BÄK-Präsident Klaus Reinhardt.

In der medizinischen Fachwelt gebe es „Zweifel an der Schlussfolgerung von Forschern des Militärlaboratoriums der Bundeswehr über das Vorhandensein von Giftstoffen“, so die russische Ärztekammer weiter. Ärzte sollten „außerhalb der Politik stehen, und wenn kom­plexe klinische Fälle auftreten würden, müsse man „diese komplexen Fragen“ in der medizinischen Gemeinschaft lösen. Die Politik dürfe nicht ohne Beweise entscheiden.

An der Wahrheit interessiert

Roshal erklärte, alle seien an der Wahrheit interessiert. Falls man herausfinde, dass Na­wal­ny vergiftet worden sei, und es keine anderen Gründe für dessen schwerwiegende Er­kran­kung gebe, müsse ein Strafverfahren in Russland eingeleitet werden. Der Chef der russischen Ärztekammer betonte weiter, die Ärzte in Omsk hätten Nawalny das Leben ge­rettet und alles dafür getan, um den Zustand des Patienten zu stabilisieren.

Die Bundesärztekammer zeigte sich heute „sehr besorgt“ über den Gesundheitszustand von Nawalny. Man unterstütze die Forderung der Bundesregierung gegenüber der russi­schen Regierung nach lückenloser Aufklärung der Umstände, die zu dieser lebensbedroh­enden Erkrankung geführt haben. Einer gemeinsamen Kommission erteilte die BÄK aber eine Absage. Man könne sich selbst nicht an Ermittlungen beteiligen, da man „keine Er­mittlungsbehörde“ sei. Das obliege den staatlichen Stellen.

Zugleich stärkte die BÄK den deutschen Medizinern den Rücken. Die medizinischen Da­ten zum Fall Nawalny lägen vor. An der Qualität der medizinischen Untersuchungen der ärztlichen Kollegen in Deutschland habe man „keine Zweifel“. Weitere Untersuchungen könnten nach deutschem Recht allerdings nur die Angehörigen veranlassen.

Die Charité teilte heute mit, der Gesundheitszustand von Nawalny habe sich verbessert. Die Ärzte hätten das durch Medikamente aufrechterhaltene künstliche Koma beendet. „Der Patient wird schrittweise von der maschinellen Beatmung entwöhnt. Er re­agiert auf Ansprache“, schreibt die Charité. Langzeitfolgen der schweren Vergiftung seien aber „weiterhin nicht auszuschließen“.

Am vergangenen Mittwoch hatte die Bundesregierung mitgeteilt, dass ein Speziallabor der Bundes­wehr bei einer toxikologischen Untersuchung den „zweifelsfreien Nachweis eines chemischen Nervenkampfstoffes der Nowitschok-Gruppe erbracht“ habe. Die Cha­ri­té hatte Proben Nawalnys zuvor in das Labor geschickt.

Die Bundesregierung hatte den Angriff mehrfach auf das Schärfste verurteilt. Die russi­sche Regierung sei „dringlich aufge­fordert, sich zu dem Vorgang zu erklären“. Sie sei zur Aufklärung aufgerufen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte betont, das Verbrechen richte sich gegen „die Grundwerte, für die wir eintreten“. Nawalny sei „Opfer eines Verbrechens“ geworden. Man habe ihn zum Schweigen bringen wollen. Es stellten sich nun „sehr schwerwiegende Fra­gen“, die nur die russische Regierung beantworten könne und die diese nun beantworten müsse, sagte sie.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte zuletzt den Druck auf Russland, zur Aufklä­rung der Vergiftung von Nawalny beizutragen, erhöht. Mit Blick auf das Pipelineprojekt Nord Stream 2 hatte der SPD-Politiker der Bild am Sonntag gesagt: „Ich hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern.“

Nach Maas (SPD) hatte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Politik-Talk „Die richtigen Fragen“ auf Bild live die Zukunft von Nord Stream 2 mit dem Fall des ver­gifteten russischen Oppositionellen verknüpft.

Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny war am 22. Au­gust mit Vergiftungser­schei­nungen aus Russland kommend zur ärztlichen Behandlung nach Berlin geflogen worden. Russland bestreitet, in die Vergiftung des Oppositionellen verwickelt zu sein.

may/dpa

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