Ausland

Charité: Klinische Befunde weisen auf Vergiftung von Nawalny hin

  • Montag, 24. August 2020
Sanitäter vom Bundeswehr Rettungsdienst bringen die Spezialtrage, mit der Nawalny in die Charite eingeliefert wurde, zurück in den Krankenwagen. /picture alliance, Kay Nietfeld
Sanitäter vom Bundeswehr Rettungsdienst bringen die Spezialtrage, mit der Nawalny in die Charite eingeliefert wurde, zurück in den Krankenwagen. /picture alliance, Kay Nietfeld

Omsk/Berlin – Klinische Befunde weisen auf eine Vergiftung des schwerkranken Kreml­kritikers Alexej Nawalny hin. Die Untersuchungen deuteten auf eine Substanz aus der Wirkstoff­gruppe der Cholinesterase-Hemmer hin, gab die Charité – Univer­sitäts­medizin Berlin soeben bekannt.

Die konkrete Substanz sei bislang nicht bekannt. Es sei eine weitere breitgefächerte Ana­lytik initiiert. Die Wirkung des Giftstoffes, das heißt die Cholinesterase-Hemmung im Organismus, sei „mehrfach und in unabhängigen Laboren nachgewiesen“ worden, hieß es.

Entsprechend der Diagnose wird der Patient der Charité zufolge mit dem Gegenmittel Atro­pin behandelt. Der Ausgang der Erkrankung bleibe aber „unsicher“. Spätfolgen, ins­be­sondere im Bereich des Nervensystems, könnten „zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausge­schlossen werden“.

Seit dem Wochenende behandeln Ärzte der Charité Nawalny. Zuvor hatte ein Spezialflie­ger den 44-Jährigen aus Omsk ausgeflogen, ein Intensivtransporter der Bundeswehr hatte ihn unter starkem Polizeischutz in die Klinik gebracht. Er soll derzeit vom Bundeskrimi­nal­amt bewacht werden.

Den Ärzten zufolge befindet sich der Patient auf einer Intensivstation und ist weiterhin im künstlichen Koma. „Sein Ge­sundheitszustand ist ernst, derzeit besteht jedoch keine akute Lebensgefahr“, schreibt die Charité.

Die behandelnden Ärzte sind mit der Ehefrau von Alexei Nawalny in engem Austausch. Im Einvernehmen mit seiner Ehefrau gehe die Charité davon aus, dass die öffentliche Mitteilung zum Gesundheitszustand in seinem Sinne ist, hieß es weiter.

Der Nervenkrieg um Russlands prominenten Regie­rungs­kritiker hatte sich zu­letzt etwas beruhigt. Als vorgestern Morgen kurz vor neun Uhr der Rettungsflug mit Nawalny in Ber­lin-Tegel landete, waren seine Mitarbeiter erleichtert. Stundenlang hatten Familienange­hörige des Kremlkritikers noch im sibirischen Omsk um eine Ausreise des vermutlich ver­gifteten Politikers gerungen.

Am Freitagabend hatten die russischen Mediziner ihre Bedenken gegen einen Transport nach Deutschland aufgegeben. Der Zustand des Kremlkritikers sei „stabil“, hieß es. Na­wal­ny liegt seit dem vergangenen Donnerstag im Koma. Sein Team geht davon aus, dass er vergiftet wur­de. Nawalnys engster Kreis hatte den russischen Behörden und Ärzten vor­­geworfen, mit einer Verzögerungstaktik einen raschen Transport verhindert und so mögli­che Beweise ver­tuscht zu haben.

Die Ärzte in Sibirien haben die Vorwürfe seines Teams zurückgewiesen. „Wir haben den Patienten versorgt, und wir haben ihn gerettet. Es gab keinen Einfluss von außen auf die Behandlung des Patienten“, sagte heute der Chefarzt der Kli­nik in Omsk, Alexander Murachowski.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich erleichtert, dass Nawalny nun „in einem Krankenhaus und von Ärzten behandelt wird, die das Vertrauen der Familie genie­ßen“. Es sei wichtig, „dass die Frage nach der Ursache der dramatischen Verschlech­terung seines Gesundheitszustandes“ beantwortet werde.

Vize-Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte dem Onlineportal der Neuen Westfälischen, er wün­sche sich, „dass Herr Nawalny wieder gesund wird. Und wir werden deutlich machen, dass wir als Demokraten es nicht akzeptieren, dass das Leben von Oppositionellen in Gefahr gebracht wird“.

Bundestagsabgeordnete mehrerer Parteien haben Konsequenzen gefordert. Der Fall Na­walny trage „eindeutig die Handschrift des russischen Regimes“, sagte der FDP-Außen­politik­experte Bijan Djir-Sarai den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft heute. Deutschland müsse „konkrete personenbezogene Sanktionen gegen die Hinter­männer von Anschlägen auf Oppositionelle ergreifen“.

Der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, verwies auf Deutschlands Rolle als amtierender Präsident des Europäischen Rates. „Der Kreml macht auch vor der Souveränität anderer Staaten nicht halt“, beklagte er. Bei aller Notwendigkeit eines kriti­schen Dialogs mit Russland müsse die Bundesregierung „dies im Klartext benennen und als Ratspräsident eine europäische Linie koordinieren“.

Der Außenpolitikexperte Jürgen Hardt (CDU) erklärte, Russland sei „kein vertrauens­würdi­ger Partner“. Daher sei es wichtig, dass die EU „eine gemeinsame klare Sprache gegen­über Russland findet, die auch die Wirtschaftsbeziehungen mit einbezieht“.

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Nils Schmid mahnte: „Wir dür­fen uns keine Illusionen machen: Putin ist bereit, für den Machterhalt über Leichen zu gehen.“

dpa/afp/may

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