Politik

Kritik an neuem Infektionsschutz­gesetz ebbt nicht ab

  • Dienstag, 29. März 2022
/picture alliance, dpa, Christophe Gateau
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Berlin – Im Kampf gegen die anhaltend hohen Infektionszahlen in Deutschland kommen die Länder in Zugzwang. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) forderte sie erneut auf, weitergehende Alltagsauflagen für regionale „Hotspots“ mit kritischer Lage zu erlassen.

„Wir verlieren Zeit. Aus meiner Sicht muss jetzt gehandelt werden“, sagte er gestern am Rande von Bera­tungen mit seinen Länderkollegen. Er machte erneut klar, dass die neue bundesweite Rechtsgrundlage für Schutzmaß­nah­men trotz scharfer Kritik aus den Ländern nicht nochmals geändert werde.

Für einen nahtlosen An­schluss müssten die Länder noch in dieser Woche neue Coronaregeln festlegen. Lauterbach betonte, die Länder sollten nicht darauf spekulieren, dass die Fallzahlen bald heruntergehen und sich das Problem von allein erledige. „Das wird es nicht tun.“ Dies könne auch nicht der Geist sein, in dem man versuche, die Pandemie zu überwinden.

Der Streit dreht sich um Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, die die Ampelkoalition unter Protest der Länder durchgesetzt hatte. Ihnen sind nach einer Übergangszeit bis zum kommenden Samstag (2. April) nur noch wenige allgemeine Schutzregeln etwa zu Masken und Tests in Einrichtungen wie Kran­kenhäusern, Pflegeheimen und Arztpraxen erlaubt.

Die Länder können aber für regionale Hotspots weitergehende Beschränkungen etwa mit mehr Masken­pflichten und Zugangsregeln verhängen, wenn das Landesparlament dort eine kritische Lage feststellt. Mehrere Länder beklagen, dass dafür rechtssichere Kriterien fehlten.

In der gestrigen Ge­sundheitsministerkonferenz (GMK) hatte ein Antrag mehrerer Länder, das Infektions­schutzgesetz erneut zu ändern und die Übergangsfrist um vier Wochen zu verlängern, keine Mehrheit gefunden.

Mecklenburg-Vorpommern hat sich schon landesweit bis Ende April zum Hotspot erklärt, der Stadtstaat Hamburg plant es. Weitere Länderkabinette tagen in dieser Woche. In Thüringen ist eine Sondersitzung des Landtages für übermorgen geplant.

Die rot-schwarz-grüne Koalition in Brandenburg plant nach An­gaben der SPD im Landtag eine Hotspot­regelung. Eine schnelle Umsetzung ist aber nicht absehbar. In Berlin fallen ab Freitag die meisten Coro­naregeln weg.

Sachsen will wie fast alle Bundesländer bei seiner neuen Coronaverordnung auf die Feststellung der epidemischen Lage verzichten. Stattdessen setzt der Freistaat auf Eigenverantwortung und dringliche Empfehlungen, sagte Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) nach der Kabinettssitzung.

Trotz weiter hoher Infektionszahlen lässt Schleswig-Holsteins Landesregierung die meisten Beschrän­kun­gen am Wochenende auslaufen. Künftig gilt die Maskenpflicht nur noch in Krankenhäusern, Pflege­heimen sowie im öffentlichen Nahverkehr.

In Bayern sollen trotz landesweit hoher Inzidenzen nicht auf breiter Front schärfere Regeln kommen. Man werde „keine Hotspots jetzt für ganz Bayern machen. Jedenfalls auf absehbare Zeit nicht“, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) kritisierte die Bundesregierung. Mit Blick auf die gestrige Konferenz der Ländergesundheitsminister sagte er: „In der Sache waren sich alle einig: Die Mas­kenpflicht in Innenräumen wäre zum aktuellen Zeitpunkt eigentlich noch sinnvoll – und zwar bundes­weit.“

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) zeigte sich enttäuscht. Angesichts der weiterhin hohen Infektionszahlen und der schwierigen Situation in den Krankenhäusern habe er sich „dringend mehr Praktikabilität und Rechtssicherheit gewünscht“, sagte er der Rheinischen Post. Er forderte die Beibehaltung der Maskenpflicht zumindest in öffentlichen Innenräumen.

Dieser Forderung schließt sich auch der Sozialbund VdK an. „Viele Menschen mit einer chronischen Krankheit, einer Behinderung aber auch ältere Menschen haben Angst, angesichts von aktuell bis zu 300.000 Neuinfektionen pro Tag sich mit Corona anzustecken. Ihr Schutz muss oberste Priorität haben“, betonte VdK-Präsidentin Verena Bentele.

Durch die Hotspotregelung hingegen sei „Chaos vorprogrammiert“. Ebenso kritisierte der Verband, dass ab Juni die kostenlosen Schnelltest eingestellt würden. Damit gebe die Bundesregierung „ein entschei­dendes Messinstrument in der Pandemie aus der Hand“, so Bentele.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) forderte die Bundesregierung und die Länder zur Beibe­haltung der Maskenpflicht auf und warnte vor unterschiedlichen Auslegungen der Hotspotregelung.

„Wenn innerhalb der Bundesregierung keine Einigkeit herrscht, ob ein ganzes Bundesland als Hotspot erklärt werden kann, führt das nicht dazu, dass am Ende die Bürgerinnen und Bürger die Maßnahmen mittragen“, sagte der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß der Rheinischen Post. Die Personalausfälle in der kritischen Infrastruktur, in Krankenhäusern und der „Wirtschaft insgesamt“ könnten die Versorgung gefährden, warnte Gaß.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) bemängelte fehlende Vorgaben. „Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber keine Kriterien festgelegt, unter welchen Voraussetzungen eine Hotspotregelung in Be­tracht kommt", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Rheinischen Post.

Vor allem sei unklar, ob allein die Inzidenzzahlen Maßstab sein können, oder ob die Belastung der Krankenhäuser ein wesentlicher Aspekt sein müsse. Schon unter zeitlichen Aspekten sei es fraglich, ob die Landesparlamente jeweils einzelne Bestimmungen für einzelne Regionen erlassen könnten, so Landsberg. Gegebenenfalls müsse hier nachgebessert werden.

Auch der Deutsche Städtetag sprach von erforderlichen Korrekturen des Gesetzes, das kompliziert und ungenau sei. „Das war kein Glanzstück der Ampel“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy dem Re­dak­tionsnetzwerk Deutschland.

Die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus verteidigte das Gesetz als „wichtigen Schritt Richtung Normalität“. Die Länder hätten damit zugleich die Möglichkeit, angemessen zu reagieren. „Wer etwas anderes behauptet, scheut die Verantwortung.“ Wo es geboten sei, könnten und sollten die Länder zielgenau handeln.

kna/dpa/afp/may

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