Kurzer Abstand zur Boosterimpfung: Debatte um Alleingang von Nordrhein-Westfalen

Düsseldorf – Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen (NRW) hat angekündigt, dass Boosterimpfungen gegen SARS-CoV-2 bereits nach vier Wochen möglich sein sollen. Das bestätigte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) heute. Es gebe aber keine ausdrückliche Empfehlung dafür, sagte er. Das Vorgehen hat auf Bundesebene und bei Wissenschaftlern zu Kritik geführt.
Hintergrund ist ein in NRW unter anderem an Kreise und kreisfreie Städte versandten Erlass. Darin hieß es wörtlich: „Personen, bei denen die Grundimmunisierung weniger als fünf Monate zurückliegt, sind jedoch nicht zurückzuweisen und ebenfalls zu impfen – sofern ein Mindestabstand von vier Wochen erreicht ist.“
Wüst sagte, man habe „schon die ganze Zeit“ niemanden zurückgewiesen, der einige Tage oder Wochen vor Ablauf der fünf Monate nach der Zweit-Impfung einen Booster wollte. Nun habe man eine „Untergrenze“ von vier Wochen eingezogen. Man empfehle jetzt aber nicht, „nach vier Wochen zu laufen.“ Mit einem neuen Erlass sollten „kommunikative Fragezeichen“ nun geklärt werden.
Das verkürzte Impfintervall orientiere sich an der aktuellen Empfehlung der Ständigen Impfkommission, wonach eine Auffrischungsimpfung bei Personen mit schwer eingeschränktem Immunsystem und einer erwartbar stark verminderten Immunantwort bereits vier Wochen nach der zweiten Impfstoffdosis als Optimierung verabreicht werden könne.
Die Ständige Impfkommission empfiehlt im Regelfall bisher einen Abstand von sechs Monaten. Angesichts der erwarteten schnellen Ausbreitung der Omikron-Variante haben zuletzt aber Fachleute wie der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, Bernd Salzberger, auf eine Verkürzung des Abstands zwischen zweiter und dritter Impfung gedrängt.
Eine raschere Auffrischimpfung könne die Ausbreitung sowohl der Delta- als auch der Omikron-Variante beeinflussen, „das zeigen die Erfahrungen aus Israel sehr eindrücklich“, sagte Salzberger den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. In der Rheinischen Post hatte der Grünen-Gesundheitspolitiker und Mediziner Janosch Dahmen ebenfalls für einen vorgezogenen Zeitpunkt für die Boosterimpfungen geworben.
„Aus immunologischer Sicht sind vier Wochen Abstand zu der dritten Impfung zu früh“, mahnte die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI), Christine Falk. Das Immunsystem sei dann noch mit der „Reifung“ beschäftigt. „Wenn man diesen Vorgang zu früh durch eine dritte Impfung mit der Verabreichung des Antigens beschäftigt, stört das den Reifungsprozess eher, als dass es ihn unterstützt.“
Vier Monate Abstand zwischen Zweit- und Drittimpfung seien aus immunologischer Sicht das Minimum, betonte DGfI-Generalsekretär Carsten Watzl. Die Entscheidung in NRW sei vermutlich aus Angst vor Omikron gefallen, sagte Watzl. Er hält das aber „für nicht zielführend. Was zielführender wäre, wäre jetzt noch mal die Rate der Erst- und Zweitimpfungen zu steigern.“
„Die Politik hat hier zwei Dinge vermischt, die nicht vermischt werden dürfen“, sagte Watz. Das eine sei die Empfehlung der Ständigen Impfkommission, manche Menschen schon nach vier Wochen zu boostern. „Das bezieht sich aber nur auf Menschen mit geschwächtem Immunsystem, die auf die ersten beiden Impfungen nicht oder kaum reagiert haben“, erklärte der Immunologe. „Mit der dritten Impfung wird deren Immunität nicht geboostert – ich muss sie erst einmal herstellen.“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) betonte heute vor Journalisten, er halte es für problematisch, wenn nun alle Länder bei den Abständen für Boosterimpfungen unterschiedliche Vorgaben machen würden. Er wolle das Thema heute bei der Runde der Gesundheitsminister der Länder besprechen. Er sprach sich für eine „evidenzbasierte und bundesweit einheitliche Empfehlungen“ aus.
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