Ausland

Medizinprodukte­verordnung: EU-Parlament verlängert Fristen

  • Donnerstag, 16. Februar 2023
/picture alliance, European Commission, Etienne Ansotte
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Berlin – Die Fristen zur Zertifizierung von Medizinprodukten gemäß der EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Devices Regulation, MDR) werden verlängert. Das hat das EU-Parlament heute beschlossen, um massive Engpässe zu verhindern.

Die neuen Fristen sind nach einem risikobasierten Ansatz gestaffelt: Für Produkte mit hohem Risiko wie Herzschrittmacher oder Hüftimplantate wurde sie vom 26. Mai 2024 auf den 31. Dezember 2027 verlängert. Für Produkte mit mittlerem und niedrigem Risiko wie Spritzen oder chirurgischen Instrumenten gilt künftig der 31. Dezember 2028.

Das Parlament folgte damit einem Vorschlag der Europäischen Kommission aus dem Januar. Vorgestern hatte es bereits für eine Umsetzung der neuen Regelung in einem Dringlichkeitsverfahren gestimmt.

Außerdem beschloss das Parlament, die derzeit in der Medizinprodukte- sowie in der In-vitro-Diagnostika-Verordnung festgelegte Abverkaufsfrist zu streichen. Bis zu ihrem Ablauf hätten Produkte, die bereits in Ver­kehr gebracht wurden und im Handel noch erhältlich sind, vom Markt genommen werden müssen. So soll sichergestellt werden, dass sie weiterhin zur Verfügung stehen. Auch Klasse-III-Sonderanfertigungen wurden in die Fristverlängerung aufgenommen.

Grund für die nun beschlossenen Änderungen ist der Mangel an sogenannten Benannten Stellen, die für die Zertifizierung zuständig sind. Es wurde davon ausgegangen, dass Hersteller in großer Zahl Produkte vom Markt nehmen müssen, weil die überlasteten Benannten Stellen ihre Anträge nicht bis Fristablauf bearbeiten können.

„Dies gefährdet die medizinische Versorgung akut. Deswegen war eine Notfalloperation erforderlich“, erklärte der Arzt Peter Liese, der für die CDU der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament angehört.

Im Kern unterstütze er die MDR, die 2017 als Reaktion auf Skandale wie den um schadhafte Brustimplantate beschlossen worden war, dennoch, betont Liese. „Wir brauchen unangemeldete Kontrollen und Benannte Stellen, von denen einige schlampig gearbeitet haben, müssen besser kontrolliert werden“, forderte er.

Durch den Brexit und Corona seien zwar unerwartete Schwierigkeiten eingetreten. Allerdings beschuldigt Liese auch die Mehrheiten im Parlament und im Ministerrat. Die hätten „zu viele bürokratische Anforderungen in den Text hineinverhandelt“.

Dass richtigerweise das Inkrafttreten weiterer Vorschriften verschoben wurde, um das Risiko von Engpässen zu minimieren, sei zwar absolut richtig. „Das ändert aber nichts an den derzeitigen Sicherheits- und Leistungs­anforderungen der europäischen Medizinprodukteverordnung“, betonte auch der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken.

Dabei müsse aber klar sein, dass diese Verschiebung nur eine vorübergehende Maßnahme ist und endlich langfristige Lösungen benötigen würden, betont Wölken. Das sieht Liese genauso: „Wir dürfen uns mit dieser Notoperation nicht zufriedengeben. Der Patient muss jetzt in die Reha.“

Denn es gebe grundsätzliche Probleme, etwa bei Nischenprodukten wie denen für Kinder. Da lohne sich nämlich der Aufwand der Zertifizierung nicht, weil die verkauften Stückzahlen sehr niedrig sind.

Liese fordert deshalb, dass für Medizinprodukte eine Regelung entwickelt wird, die ähnlich funktioniert wie jene für Orphan Drugs im Arzneimittelbereich, denen Ausnahmen in der Preisbildung gewährt werden.

„Darüber hinaus müssen wir auch grundsätzlich noch mal an die Verordnung ran und, ohne Abstriche an der Sicherheit zuzulassen, die Bürokratie auf den Prüfstand stellen“, erklärte Liese. „Ich bin sicher, die Ziele lassen sich besser vereinen als im jetzigen Text. Die Arbeit an einer solchen Revision muss jetzt zügig beginnen.“

Die Medizinproduktebranche selbst, die nach eigenen Angaben zwischen sieben und zehn Milliarden Euro für die Umsetzung der MDR aufbringen muss, sieht das ganz ähnlich und fordert ebenfalls Entlastungen. Ansons­ten drohe Europa im schärfer werdenden Innovationswettbewerb mit den USA und asiatischen Ländern zurückzufallen.

Der Beschluss der Schweiz, künftig auch die Zulassung der US-Arzneimittelbehörde FDA – die auch für die Zertifizierung von Medizinprodukten zuständig ist – zuzulassen, verdeutliche die Gefahr, dass das EU-System mit der MDR den Innovationswettbewerb der Zukunft verliere.

„Wenn wir mehr und mehr Forschung und Entwicklung durch Abwanderung verlieren, dann verlieren wir da­mit nicht nur viele kluge Köpfe, sondern künftig auch Produktion und Wertschöpfung in Europa“, warnte der Geschäftsführer des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed), Marc-Pierre Möll.

„Wir müssen deshalb jetzt daran arbeiten, die Rolle Europas als attraktive Region für Investitionen in medi­zin­technische Innovationen wieder zu stärken. Mit unserem innovationsstarken Mittelstand haben wir dafür die besten Voraussetzungen.“

lau

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