Ausland

Mehr Flüchtlinge denn je: UN rechnen mit mehr Flucht Richtung Europa

  • Donnerstag, 18. Juni 2020
/Ajdin Kamber, stock.adobe.com
/Ajdin Kamber, stock.adobe.com

Genf – Die Zahl der Menschen auf der Flucht steigt weltweit immer weiter. Ende vergan­genen Jahres war rund ein Prozent der Weltbevölkerung wegen Kriegen, Gewalt, Konflik­ten oder Angst vor Verfolgung aus ihrer Heimat vertrieben. Insgesamt waren 79,5 Millio­nen Menschen auf der Flucht, wie das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) heute in seinem Bericht zum Weltflüchtlingstag (20. Juni) mitteilte.

Das waren fast so viele Menschen wie Deutschland Einwohner hat (83,2 Millionen). Die Coronakrise und damit verbundene Armut betroffener Bevölkerungen dürfte die Flucht Richtung Europa verstärken, sagte UNHCR-Chef Filippo Grandi in Genf.

Die Zahl war ein neuer Rekord in der fast 70-jährigen Geschichte des UNHCR. Sie hat sich zwischen 2010 mit gut 40 Millionen und 2019 fast verdoppelt. Der neue Anstieg ist mit fast neun Millionen oder gut zwölf Prozent rasant. Das liegt aber auch daran, dass das UNHCR Venezolaner im Ausland erstmals in einer neuen Kategorie zählte.

Grandi sieht vor allem die Arbeitsplatzverluste durch die Coronakrise als Treiber weiterer Flucht und Migration: „Ich habe keinen Zweifel, dass die wachsende Armut und der Man­gel an Lösungen sowie die Fortsetzung von Konflikten zu mehr Bevölkerungs­bewegungen führen wird, in den Regionen und darüber hinaus, nach Europa etwa.“

Schuld am Mangel von Lösungen seien auch Länder, die eigene Interessen in Konfliktge­bie­ten verfolgten und Konfliktlösungen behinderten. Während in den 1990er-Jahren im Durchschnitt jedes Jahr 1,5 Millionen Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehrten, waren es in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt weniger als 400.000 im Jahr.

„Das ist ein Anzeichen für die Hartnäckigkeit von Konflikten, für neue Konflikte, und die Lähmung der internationalen Gemeinschaft“, sagte Grandi. Dazu zähle der Weltsicher­heitsrat, der nicht in der Lage sei, Konflikte zu lösen und Bedingungen zu schaffen, damit Flüchtlinge heimkehren könnten. Das UNHCR könne sich nur um die humanitären Folgen von Konflikten kümmern und bei der Rückkehr von Flüchtlingen helfen, wenn die Bedin­gun­gen dafür geschaffen seien.

Das UNHCR hat erstmals Venezolaner, die vor der Misere im eigenen Land geflohen sind, in einer eigenen Kategorie gezählt. Die 3,6 Millionen Venezolaner, die seit 2015 über­wie­gend in Nachbarländer flüchteten, haben zwar größtenteils keinen Flüchtlingsstatus be­antragt. Sie brauchen aber nach UNHCR-Angaben trotzdem Schutz und dürften zum Bei­spiel nicht abgeschoben werden.

Aber auch ohne die Venezolaner waren mehr Menschen auf der Flucht als ein Jahr zuvor. Die Zahl der Flüchtlinge außerhalb des eigenen Landes blieb mit 26 Millionen zwar prak­tisch konstant. Dennoch stieg die Zahl der im eigenen Land Vertriebenen von 41,3 Millionen Ende 2018 auf 45,7 Millionen.

Auch die Zahl der Asylsuchenden stieg von 3,5 auf 4,2 Millionen. Weil darunter auch Mi­granten sind, die letztlich nicht als Flüchtlinge anerkannt werden, listet das UNHCR sie gesondert auf.

Dreiviertel der Flüchtlinge leben Ende 2019 in der Nähe ihrer Heimat. In Europa waren weniger als zehn Prozent derjenigen, die ins Ausland geflohen waren. Mit 1,1 Millionen Flüchtlingen war Deutschland nach der Türkei, Kolumbien, Pakistan und Uganda das fünftwichtigste Aufnahmeland. Hinzu kamen in Deutschland nach der UNHCR-Statistik gut 309.000 Asylsuchende, über deren Status noch nicht entschieden war.

Deutschlands Entwicklungsminister Gerd Müller beklagte, dass Menschen auf der Flucht besonders hart von der Coronapandemie getroffen seien. „Durch Grenzschließungen können viele von ihnen kein sicheres Aufnahmeland mehr erreichen – Menschenhändler profitieren auf abscheuliche Weise davon“, sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auch in den Lagern seien die Zustände oft katastrophal. „Händewa­schen, Abstand zu anderen, mit dem Ersparten über die Runden kommen – all das ist für Flüchtlinge nicht möglich.“

Die Coronakrise habe aber auch internationale Solidarität gezeigt, sagte UNHCR-Chef Grandi. Aufnahmeländer hätten Flüchtlinge größtenteils in ihre Gesundheitsversorgung einbezogen. Spendenaufrufe seien erfolgreich gewesen.

Das UNHCR habe von Unter­nehmen und Einzelpersonen in diesem Jahr schon 15 Prozent mehr Geld und Sach­spenden erhalten als zum gleichen Zeitpunkt im vergangenen Jahr, sagte Grandi. Die jüngste Spendenkampagne zum muslimischen Fastenmonat Ramadan habe acht Millionen Dollar (rund sieben Millionen Euro) zusammengebracht, 250 Prozent mehr als 2019.

dpa

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung