Milliardendefizit in der gesetzlichen Krankenversicherung

Berlin – Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hat zum Start ins Jahr ein Milliardendefizit verbucht. Nach den ersten drei Monaten ergab sich ein Minus von 1,3 Milliarden Euro, wie das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) heute in Berlin mitteilte.
Die Finanzreserven der 105 Krankenkassen betrugen Ende März noch 18,3 Milliarden Euro. Das entsprach im Schnitt 0,83 Monatsausgaben – gesetzlich vorgesehen sind mindestens 0,2 Monatsausgaben.
„Die Pandemie wirkt sich auch auf die Finanzen der Krankenkassen aus“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Die aktuellen Zahlen seien aber wenig aussagekräftig. Belastbare Prognosen seien erst im Herbst zu treffen. „Nach vielen Jahren finanzieller Stabilität müssen wir uns aber darauf einstellen, dass die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben größer werden wird“, sagte Spahn.
Im Detail verzeichnete die GKV im 1. Quartal des laufenden Jahres Einnahmen in Höhe von rund 65,1 Milliarden Euro. Die Ausgaben beliefen sich auf rund 66,4 Milliarden Euro. Damit sind die Einnahmen der Krankenkassen, die sie durch Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds erhalten, um 4,0 Prozent gestiegen.
Die Ausgaben für Leistungen und Verwaltungskosten verzeichneten bei einem Anstieg der Versichertenzahlen von rund 0,2 Prozent einen Zuwachs von 5,6 Prozent.
Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz lag wie im Vorjahr bei 1,0 Prozent und damit um 0,1 Prozentpunkte unterhalb des vom BMG zum 1. November 2019 bekannt gegebenen ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatz von 1,1 Prozent für 2020.
Defizite bei fast allen Kassenarten
Den Zahlen des BMG zufolge verzeichneten bis auf die Landwirtschaftliche Krankenkasse (LKK), die ein ausgeglichenes Finanzergebnis erzielte, alle Krankenkassenarten Defizite. Allerdings in unterschiedlicher Ausprägung.
Das Minus bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) lag demnach bei 435 Millionen Euro, bei den Ersatzkassen bei 542 Millionen Euro und bei den Betriebskrankenkassen (BKK) von 198 Millionen Euro. Die Innungskrankenkassen (IKK) verzeichneten ein Defizit von 99 Millionen Euro und die knappschaftliche Krankenversicherung von 58 Millionen Euro.
Das BMG wies darauf hin, dass die Defizite bei den Ersatzkassen vor allem auf die Gründung eines Pensionsfonds einer „großen Krankenkasse“ zurückzuführen sei. Welche Kasse das ist, sagte das BMG nicht. Nach Informationen des Deutschen Ärzteblattes handelt es sich dabei um die Techniker Krankenkasse (TK).
Entwicklungen bei den Ausgaben
Den Ausgabenzuwachs für das 1. Quartal 2020 bezifferte das BMG bei den Kassen auf 5,6 Prozent. Die Leistungsausgaben stiegen demnach um 5,7 Prozent, die Verwaltungskosten um 4,0 Prozent. Das Ministerium wies wie immer darauf hin, dass es sich bei den Zahlen in vielen Leistungsbereichen um Schätzungen handelt, da Abrechnungsdaten häufig noch nicht oder nur teilweise vorliegen.
Als „auffällig“ tituliert das Ministerium die zweistellige Ausgabenzuwächse bei Arzneimitteln, Krankengeld und Heilmitteln. Diese hätten die Veränderungsrate der Gesamtausgaben „deutlich erhöht“. Der Ausgabenzuwachs für Arzneimittel von 11,5 Prozent sei zu wesentlichen Teilen auf Mengenentwicklungen und Vorzieheffekte in den letzten Wochen des 1. Quartals zurückzuführen, heißt es.
So habe die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) im März 2020 gegenüber dem Vorjahresmonat einen Anstieg der GKV-Umsätze von 25 Prozent, der „offenkundig mit einem überproportionalen Zuwachs der Verordnungszahlen und einer verstärkten Verordnung von Großpackungen einherging“. Im April verzeichnete die ABDA hingegen im Vorjahresvergleich wieder einen Ausgabenrückgang von rund einem Prozent.
Den Zahlen zufolge hat sich darüber hinaus die Entwicklung beim Krankengeld deutlich verschärft. Die Ausgaben sind im ersten Quartal mit 11,3 Prozent stark gestiegen. Die Zuwachsraten bei Heilmitteln in Höhe von 10,3 Prozent führt das Ministerium auf vom Gesetzgeber vorgegebenen Honorarsteigerungen zurück.
Bei den Krankenhäusern und der ärztlichen Behandlung macht das BMG nur vage Angaben. So könne der Ausgabenanstieg für Krankenhausbehandlungen von 2,6 Prozent angesichts der sich ab Mitte März verstärkt auswirkenden COVID-19-Pandemie und der vielfältigen Einflussfaktoren ebenso wenig bewertet werden wie die Ausgabenzuwächse für ärztliche Behandlung von 4,3 Prozent, bei denen für das 1. Quartal noch keinerlei Abrechnungsdaten vorliegen, schreibt das BMG.
Die Krankenkassen haben wegen der Coronakrise nicht nur mit Mehrkosten zu kämpfen, sondern wegen wachsender Arbeitslosigkeit auch mit sinkenden Beitragseinnahmen. Deshalb werde es in diesem Jahr einen zusätzlichen Bundeszuschuss von 3,5 Milliarden Euro an die GKV geben, sagte Spahn.
Das BMG wies auch darauf hin, dass die Bundesregierung sich in ihrem Konjunkturprogramm darauf verständigt habe, dass zur Vermeidung einer Belastung von Arbeitnehmern und Betrieben die Sozialversicherungsabgaben in den Jahren 2020 und 2021 eine Grenze von 40 Prozent der Löhne und Gehälter nicht überschreiten solle.
„In welchem Umfang dafür im Jahr 2021 zusätzliche Bundesmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung bereitgestellt werden müssen, wird im Herbst zu entscheiden sein“, so das Ministerium.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: