Ministerpräsidenten sorgen sich um Arzneimittelversorgung

Berlin – Die Migrationspolitik war gestern das bestimmende Thema bei der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) und dem sich anschließenden Bund-Länder-Gipfel mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Die Länder treibt aber auch die Sorge um die Arzneimittelversorgung um, wie ein Beschluss der MPK von gestern zeigt. Das Papier liegt dem Deutschen Ärzteblatt vor.
Demnach sehen die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder einen „dringenden Handlungsbedarf“ hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Arzneimitteln.
Es habe bereits im vergangenen Winter „erhebliche Schwierigkeiten“ gegeben, bestimmte Medikamente in Apotheken zu erhalten, heißt es. Auch in diesem Herbst und Winter drohten „erneute Lieferengpässe“. Das gelte insbesondere bei Kinderarzneimitteln. „Derzeit zählt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über 500 Lieferengpässe.“
Ebenso sorgt sich die MPK-Runde darum, dass der deutsche Absatzmarkt für Arzneimittel „aufgrund der aktuellen Erstattungspreispolitik für Pharmaunternehmen nicht mehr attraktiv ist“. Es habe eine zunehmende Produktionsverlagerung in Länder außerhalb der EU-Grenzen und eine Monopolisierung bei einzelnen Herstellern stattgefunden, heißt es im Beschluss. Deutschland und die EU hätten „kaum noch Einfluss auf Produktion und Lieferketten“.
Die Länderchefs mahnen an, die Probleme dringend auf EU-Ebene und im Bund anzugehen. Dabei honorieren sie zwar die bisherigen Bemühungen, machen aber deutlich, dass diese „nicht ausreichen“ und nicht „weitreichend genug“ seien. Der Bund sei aufgerufen, alles zu tun, die Produktionsbedingungen in Deutschland und in Europa über alle Lieferketten und Versorgungsebenen hinweg zu stärken und die Abhängigkeit von Drittstaaten schnell zu reduzieren.
Um das zu erreichen, müssten ein attraktives regulatorisches Umfeld geschaffen und ein effektiver Schutz des geistigen Eigentums für den Pharma- und Forschungsstandort Deutschland und Europa garantiert werden. Die MPK schlägt unterstützend einen „Pharmadialog unter Beteiligung der maßgeblichen Verbände auf Bundesebene und unter Beteiligung der Länder“ vor.
Konkret soll sich der Bund in der laufenden Novellierung des europäischen Pharmarechts dafür einsetzen, unnötige bürokratische Hürden abzubauen, einen Ausgleich zwischen Arzneimittel- und Arzneimittelversorgungssicherheit zu schaffen sowie durch sachgerechte europäische Rahmenbedingungen den Lieferengpässen entgegenzutreten.
Auf den Prüfstand gehört aus Ländersicht auch das bestehende Vergütungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung im Hinblick auf die Arzneimittelversorgung. Es seien Fehlanreize zu identifizieren, Transparenz zu schaffen sowie Anpassungen der Vergütungsstrukturen vorzunehmen, betont die MPK im Beschluss.
Eine Lanze brechen die Länderchefs für die inhabergeführte Apotheke vor Ort. Diese müssten wohnortnah, in ihrer jetzigen Form dauerhaft in der Fläche erhalten werden. Der Bund müsse gemeinsam mit den Beteiligten und den Ländern dafür sorgen, dass unter anderem die Vergütung auskömmlich sei.
Kein Votum zur Klinikentlastung
Keinen Beschluss gab es zur Situation der Krankenhäuser. Es gab lediglich ein „Vorläufiges Ergebnisprotokoll“, aus dem hervorgeht, dass man das Thema „Krankenhausreform und finanzielle Lage der Krankenhäuser“ erörtert habe. Vor der Ministerpräsidentenkonferenz hatten Fraktionsvorsitzende der Union auf finanzielle Entlastungen gedrängt.
Schon vor der von der Ampelkoalition geplanten Krankenhausreform müssten Kliniken im Bereich der Betriebskosten durch ein sogenanntes Vorschaltgesetz schnell und wirksam entlastet werden, hieß es in einem gestern veröffentlichten Papier der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzendenkonferenz aus Europa, Bund und Ländern.
Kliniken fordern schon länger Finanzhilfen vor der geplanten großen Reform – vor allem wegen gestiegener Kosten durch die Inflation. Vor einigen Tagen reihten sich die Ministerpräsidenten ein und forderten vom Bund für existenzbedrohte Kliniken fünf Milliarden Euro Nothilfe – ebenfalls über ein Vorschaltgesetz noch in diesem Jahr.
Hinter dem Forderungspapier stehen unter anderem der CDU-Fraktionsvorsitzende im baden-württembergischen Landtag, Manuel Hagel, und der bayerische CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek. Sie verlangen vom Bund neben der milliardenschweren Nothilfe auch mehr Kompetenzen für die Bundesländer nach der Krankenhausreform.
Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, hatte Bund und Länder aufgefordert, sich auf Soforthilfen für Kliniken zu einigen. „Wir benötigen jetzt einen Inflationsausgleich und endlich eine solide finanzielle Grundlage, um die stationäre Versorgung aufrechterhalten zu können“, sagte er der Rheinischen Post. „Die Krankenhäuser und die Menschen in den Regionen erwarten von den Ministerpräsidenten gemeinsam mit dem Bundeskanzler jetzt Handlungen, um die Krankenhausversorgung zu stabilisieren.“
Gaß warnte, ansonsten könne es ein Kliniksterben geben. „Die Krankenhäuser befinden sich bereits mitten in der Insolvenzwelle. Bund und Länder haben die Gelegenheit, diese Welle noch zu brechen und die Ausmaße in Grenzen zu halten“, sagte er. „Wenn dies nicht gelingt, drohen uns noch mehr Insolvenzen und Schließungen, die zunehmend die flächendeckende Versorgung gefährden.“
Migrationspolitik im Fokus
Bestimmendes Theme gestern im Kanzleramt beim Bund-Länder-Gipfel war die Migrationspolitik. Stundenlang hatten Bund und Länder im Kanzleramt über den Kurs in der Migrationspolitik gerungen. Sie einigten sich in der Nacht schließlich auf eine neues Finanzierungssystem zur Versorgung Geflüchteter und vereinbarten Leistungskürzungen für Asylbewerber.
Anstatt jedes Jahr neu über die milliardenschwere Beteiligung des Bundes zu verhandeln, beschlossen beide Seiten nun eine Pauschale von 7.500 Euro pro Geflüchtetem und Jahr. Dieses „atmende System“ trägt damit automatisch der Zahl der zu versorgenden Menschen Rechnung. Die Länder bezifferten den dadurch erwarteten Betrag im kommenden Jahr auf rund 3,5 Milliarden Euro pro Jahr. Sie hatten vor dem Treffen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) allerdings noch 10.000 Euro pro Flüchtling gefordert.
Asylbewerber sollen künftig Analogleistungen in Höhe der Sätze der regulären Sozialhilfe erst nach 36 und nicht mehr nach 18 Monaten bekommen. Das dürfte auch bedeuten, dass der Anspruch auf die Grundversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erst später gilt. Durch den späteren Wechsel komme es auch bei den Gesundheitsleistungen zu zusätzlichen Einsparungen der Länder und Kommunen im dreistelligen Millionenbereich, hieß es.
Derzeit haben Asylbewerber während der ersten 18 Monate ihres Aufenthalts einen eingeschränkten Anspruch auf gesundheitliche Versorgung, sie sind in dieser Zeit nicht gesetzlich krankenversichert. Nach der sogenannten Wartezeit werden sie von den Krankenkassen betreut und erhalten nahezu dieselben Leistungen wie gesetzlich Krankenversicherte.
Die Grünen im Bundestag haben zurückhaltend auf die Beschlüsse der Regierungschefs der Länder und der Bundesregierung zur Eindämmung der Migration reagiert. Fraktionschefin Katharina Dröge sagte zu den geplanten Einschnitten bei den Leistungen für Asylbewerber, es gebe keine wissenschaftlichen Belege, dass Menschen wegen Sozialleistungen nach Deutschland kommen. „Auch wir als Grüne-Bundestagsfraktion halten das für eine These, die immer wieder vorgetragen wird, die aber nicht haltbar ist“, sagte Dröge vor einer Fraktionssitzung.
Zudem sollen Leistungen wie Essen in staatlichen Unterkünften fortan auf Zahlungen angerechnet werden. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) schrieb im Online-Dienst X, vormals Twitter, dies könne zu Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Euro führen. Dadurch würden „nicht nur Länder und Kommunen entlastet“. Es werde „auch die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert“.
Bund und Länder wollen darüber hinaus für Geflüchtete Bezahlkarten einzuführen, womit diese Güter des täglichen Bedarfs bargeldlos einkaufen können sollen. Dies würde Möglichkeiten für Asylbewerber einschränken, Geld zurück in ihre Heimatländer zu überweisen, was teils als Anreiz zur Flucht nach Deutschland gesehen wird. Die Länder sollen nun „bundeseinheitliche Mindeststandards“ für die Bezahlkarte ausarbeiten, der Bund will sie dabei unterstützen. Bis Ende Januar 2024 soll ein Modell zur Einführung stehen.
Weitere Einigung gab es bei Planungs- und Genehmigungsverfahren. Bund und Länder einigten sich auf einen Beschleunigungspakt zur Verschlankung von Verfahren und zur Reduzierung von Genehmigungsverfahren. Scholz (SPD) sprach von rund 100 Einzelregelungen, die das Paket umfasse.
Zur Finanzierung des Deutschlandtickets im Nahverkehr sollen in diesem Jahr nicht verbrauchte Mittel 2024 für den Ausgleich finanzieller Nachteile bei Verkehrsunternehmen eingesetzt werden können. Außerdem sollen die Verkehrsminister beauftragt werden, ein Konzept zur Durchführung des Tickets ab 2024 vorzulegen. In den Blick rückt dabei auch der Preis von bisher 49 Euro im Monat, der von vornherein als „Einführungspreis“ bezeichnet worden war.
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