Neue Ernährungsregeln: Mehr Fett, weniger Kohlenhydrate könnten Sterblichkeit verringern

Hamilton/Barcelona – Wer sich zu 35 Prozent von Fett ernährt, hat ein niedrigeres Sterblichkeitsrisiko als jene, die weniger Fett konsumieren. Hingegen steigt das Risiko zu sterben – nicht aber das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – wenn man mehr als 60 Prozent der Nahrung in Form von Kohlenhydraten zu sich nimmt. Die Forscher vom Population Health Research Institute (PHRI) of McMaster University and Hamilton Health Sciences in Kanada präsentieren die im Lancet (2017; doi: 10.1016/S0140-6736(17)32252-3) publizierten Ergebnisse letzte Woche beim Congress of the European Society of Cardiology in Barcelona. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) erklärt indes, warum die von den Forschern gewählten Referenzgruppen das Bild verzerren und aktualisiert ihre Ernährungsregeln.
Die Ergebnisse der Beobachtungsstudie erscheinen fast zeitgleich zur Aktualisierung der DGE. In den überarbeiteten 10 Regeln wurde die Warnung vor einem erhöhten Risiko für Übergewicht durch Fett beziehungsweise für Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch gesättigte Fettsäuren gestrichen. Ebenso hat sich die DGE entschieden, die Empfehlung für 60 bis 80 Gramm Fett pro Tag ersatzlos zu streichen. Die Fachgesellschaft warnt zudem nicht mehr vor „unsichtbaren“ Fetten in Milchprodukten.
„Nach einem Diskussionsprozess, in dem ganz offensichtlich lange um Kompromisse gerungen wurde, hat die DGE nun einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht und etliche überholte Empfehlungen ‚entsorgt’“, sagt Johannes Scholl, Facharzt für Innere Medizin und Vorsitzender der Deutschen Akademie für Präventivmedizin e. V., Rüdesheim. Er hatte die Empfehlungen im Frühjahr dieses Jahres kritisiert und eine Aktualisierung gefordert.
Gleichzeitig haben sich im DGE-Ernährungskreis die Referenzwerte nicht geändert: Er empfiehlt eine Ernährung mit einem moderaten Fettanteil von 30 Prozent (bei erhöhtem Energie Bedarf von PAL > 1,7 bis zu 35 Prozent) und einem Kohlenhydratanteil von mehr als 50 Prozent. Das entspreche den aus der Lancet-Studie abgeleiteten Empfehlungen, teilt die Fachgesellschaft auf Anfrage mit. Die DGE betont aber auch, dass die prozentuale Verteilung nicht im Mittelpunkt stünde: „Es geht in unserer westlichen Ernährung vielmehr um eine Verbesserung der Fett- und Kohlenhydratqualität.“
Obst und Gemüse: Mehr als 500 Gramm pro Tag haben nur geringfügigen Vorteil
Mit diesen Änderungen kommt die DGE der im Frühjahr 2017 geäußerten Kritik ein gutes Stück entgegen. Auch die aktuellen Ergebnisse der Prospective-Urban-Rural-Epidemiology-(PURE-)Studie zeigen, dass die Änderungen in die richtige Richtung gehen. Im Rahmen der Studie haben Forscher um Mahshid Dehghan die Ernährungsgewohnheiten von mehr als 135.000 Menschen von fünf Kontinenten über durchschnittlich 7,5 Jahre ausgewertet. Das niedrigste Mortalitätsrisiko hatten jene, die drei bis vier Portionen Obst, Gemüse oder Hülsenfrüchte pro Tag aßen. Das entspricht 375 bis 500 Gramm. Größere Mengen hatten nur einen geringfügigen zusätzlichen gesundheitlichen Vorteil.
Fette: Uneinigkeit über prozentualen Anteil
Darüber hinaus berichten die Forscher über eine geringere Sterblichkeit bei Menschen, die mehr Fett zu sich nahmen, als es derzeit von der DGE mit 30 Prozent empfohlen wird. Menschen die sich zu etwa 35 Prozent von Fett ernähren – egal ob gesättigt oder ungesättigt, haben ein um 23 Prozent geringeres Mortalitätsrisiko als jene, die nur 11 Prozent Fett zu sich nehmen“, erklärt Erstautor Mahshid Dehghan auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes die Ergebnisse. Bei den Todesursachen handle es sich vor allem um Krebs, Infektionen und Atemwegserkrankungen.
Für die Experten der DGE ist nur schwer nachzuvollziehen, warum in der PURE-Studie die unterste Zufuhrgruppe als Referenzgruppe ausgewählt wurde. „Dies ist beispielsweise die Gruppe mit einer medianen Fettzufuhr von nur 10,6 Energie-Prozent. Diese Gruppe weist offensichtlich ein (aus anderen Gründen) erhöhtes Krankheits- und Sterblichkeitsrisiko auf", teilt die DGE mit. Verwende man hingegen die 2. oder 3. Quintile als Referenzgruppe, so zeigten die Ergebnisse der PURE-Studie, dass bei einer Ernährung, die den Richtwerten der DGE nahekommt (also 30–35 En% aus Fett), kein erhöhtes Risiko für Mortalität und kardiovaskuläre Morbidität zu erkennen sei.
„Nur bei einer Ernährung mit einer extrem geringen Fettzufuhr (< 10 En%) beziehungsweise mit einer extrem hohen Kohlenhydratzufuhr (> 70 En%) zeigt sich eine Erhöhung des Risikos. Dies sind Zufuhrbereiche, die in westlichen Ländern unrealistisch sind und so von der DGE nicht empfohlen werden.“
Die Studienautoren gehen sogar noch weiter. Es würde keinen Unterschied machen, ob es sich bei dem Fett um gesättigte oder (mehrfach) ungesättigte Fettsäuren handle. Ausgerechnet gesättigte Fettsäuren sollen mit einem geringeren Schlaganfallrisiko in Verbindung stehen. Zu diesem Ergebnis kamen laut Erstautor Mahshid Dehghan bereits frühere Kohortenstudien aus Japan.
Kohlenhydrate: Schlechte Qualität verursachte laut DGE die hohe Sterblichkeit
Dass ein hoher Kohlenhydratanteil von mehr als 60 Prozent mit einer höheren Sterblichkeit assoziiert war, verwundert die DGE wenig: „Wie die Daten im Supplement zeigen, erfolgte die hohe Zufuhr von Kohlenhydraten in der PURE-Studie vornehmlich in Form von verarbeiteten Kohlenhydraten, wie Weißbrot, weißer Reis und zugesetzter Zucker.“ Bereits frühere Studien hätten gezeigt, dass sich eine Verminderung der Zufuhr von einfachen Zuckern und raffinierter Stärke durch eine erhöhte Zufuhr von insbesondere ungesättigten Fetten gesundheitsförderlich auswirkt. Die Qualität der Kohlenhydrate und die Zufuhr von Ballaststoffen sei jedoch in der vorliegenden Publikation nicht berücksichtigt worden.
Dehghan ist überzeugt, dass es keine guten oder schlechten Nährstoffe gebe. Vielmehr würden die Ergebnisse der Studie zeigen, dass der Zusammenhang zwischen Nährstoffen und Krankheiten weit komplexer sei, als bisher angenommen. „Das Risiko könnte allein von der konsumierten Menge abhängen“, sagt Dehghan. Wie viele Kalorien die einzelnen Vergleichsgruppen insgesamt konsumiert hatten, wurde in der Studie jedoch nicht erfasst. Dehghan geht davon aus, dass die Gruppen vergleichbar viele Kalorien zu sich nahmen.
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